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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. IV. SECT. XVI.
gel an den alten/ weil sie nicht befragt würden/ spühren folte/ ein ander mittel
an die hand giebet/ nemlich solche leute lieber zu sich und in sein hauß zuerbitten/
und durch freundliches gespräch und examen sie zu unterrichten. Will nun ein
Prediger weiter gehen/ und die gemeinde folget nicht mit guten willen/ so muß
er doch endlich ablassen/ als dem es an vermögen mangelt sie dazu zu nötigen/
so ohne daß auch nicht nützlich achtete. Was das andere anlangt/ folgt aus
obigem/ daß er lieber bald/ nachdem er die sache nicht durch treiben kan/ zurück
halte/ und waß er durch das examen der alten selbs zu ihrer erbauung vorge-
habt/ auff die andere art einzubringen suchte. Hingegen wo er auff seinem vor-
haben beharren wolte/ darauß aber geschehe/ daß die leute gar auch von dem
hören wegblieben/ richtete er damit ja weniger aus/ als wo er sie nur zu dem an-
hören anweisende darbey und bey dem lust behielte: dessen verantwortung/ wo
als denn klage darüber kommen solte/ auff einen solchen Prediger/ der durch ei-
gen sinnige beharrung auff einer art/ damit er auffzukommen nicht vermocht/ die
vorgeschriebene art zum theil frucht-loß gemacht hätte/ kommen würde. Wann
also die erbauung der zuhörer der vornehmste zweck des Predigers ist und seyn solle/
verbindet ihn sein gewissen/ dieselbe zusuchen nicht allemahl auff die beste art/ als
es an sich selbs seyn könte/ da es ihm an der bewerckstelligung mangelt/ sondern
auf die beqvemste art/ als sichs seines orts thun lässet: welches thuende er an
göttlichem segen nicht zweiffeln darff.

Die II. Frage.
Ob ein Prediger befugt seye/ bey herumgehenden seuchen als
haupt-kranckheiten/ rothe ruhr und dergleichen/ die
patienten aus
ihren häusern auff die gärten und freye dorff tragen zu lassen/ sie all-
da unter freyem himmel zu
absolviren/ und ihnen das H. Abendmahl
zureichen/ weil nicht allein die einheimische sondern auch fremde leut
davor abscheu haben/ und zu sperrung alles handels und wandels
ursache gibet/ die
patienten auch hiebey grossen schaden an
ihrer gesundheit leiden.

HJerauff kan allerdings mit nein gegntwortet werden: denn ob wol ein
seelsorger/ soviel es seyn amt und christliche liebe zugibet/ seiner gesund-
heit so wohl als andere/ um sein und anderer willen/ zu schonen hat/
daher nicht ohne noth oder da man seiner wahrhafftig bedarff/ sich in die gefahr
begeben/ noch länger als dero erbauung erfordert/ bey solchen patienten/ bleiben
darff: ob wol auch mit ansteckenden kranckheiten behafftete selbs hinwieder der

Pre-

ARTIC. IV. SECT. XVI.
gel an den alten/ weil ſie nicht befragt wuͤrden/ ſpuͤhren folte/ ein ander mittel
an die hand giebet/ nemlich ſolche leute lieber zu ſich und in ſein hauß zuerbitten/
und durch freundliches geſpraͤch und examen ſie zu unterrichten. Will nun ein
Prediger weiter gehen/ und die gemeinde folget nicht mit guten willen/ ſo muß
er doch endlich ablaſſen/ als dem es an vermoͤgen mangelt ſie dazu zu noͤtigen/
ſo ohne daß auch nicht nuͤtzlich achtete. Was das andere anlangt/ folgt aus
obigem/ daß er lieber bald/ nachdem er die ſache nicht durch treiben kan/ zuruͤck
halte/ und waß er durch das examen der alten ſelbs zu ihrer erbauung vorge-
habt/ auff die andere art einzubringen ſuchte. Hingegen wo er auff ſeinem vor-
haben beharren wolte/ darauß aber geſchehe/ daß die leute gar auch von dem
hoͤren wegblieben/ richtete er damit ja weniger aus/ als wo er ſie nur zu dem an-
hoͤren anweiſende darbey und bey dem luſt behielte: deſſen verantwortung/ wo
als denn klage daruͤber kommen ſolte/ auff einen ſolchen Prediger/ der durch ei-
gen ſinnige beharrung auff einer art/ damit er auffzukommen nicht vermocht/ die
vorgeſchriebene art zum theil frucht-loß gemacht haͤtte/ kommen wuͤrde. Wann
alſo die erbauung der zuhoͤrer der vornehmſte zweck des Predigers iſt und ſeyn ſolle/
verbindet ihn ſein gewiſſen/ dieſelbe zuſuchen nicht allemahl auff die beſte art/ als
es an ſich ſelbs ſeyn koͤnte/ da es ihm an der bewerckſtelligung mangelt/ ſondern
auf die beqvemſte art/ als ſichs ſeines orts thun laͤſſet: welches thuende er an
goͤttlichem ſegen nicht zweiffeln darff.

Die II. Frage.
Ob ein Prediger befugt ſeye/ bey herumgehenden ſeuchen als
haupt-kranckheiten/ rothe ruhr und dergleichen/ die
patienten aus
ihren haͤuſern auff die gaͤrten und freye dorff tragen zu laſſen/ ſie all-
da unter freyem himmel zu
abſolviren/ und ihnen das H. Abendmahl
zureichen/ weil nicht allein die einheimiſche ſondern auch fremde leut
davor abſcheu haben/ und zu ſperrung alles handels und wandels
urſache gibet/ die
patienten auch hiebey groſſen ſchaden an
ihrer geſundheit leiden.

HJerauff kan allerdings mit nein gegntwortet werden: denn ob wol ein
ſeelſorger/ ſoviel es ſeyn amt und chriſtliche liebe zugibet/ ſeiner geſund-
heit ſo wohl als andere/ um ſein und anderer willen/ zu ſchonen hat/
daher nicht ohne noth oder da man ſeiner wahrhafftig bedarff/ ſich in die gefahr
begeben/ noch laͤnger als dero erbauung erfordert/ bey ſolchen patienten/ bleiben
darff: ob wol auch mit anſteckenden kranckheiten behafftete ſelbs hinwieder der

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[63/0863] ARTIC. IV. SECT. XVI. gel an den alten/ weil ſie nicht befragt wuͤrden/ ſpuͤhren folte/ ein ander mittel an die hand giebet/ nemlich ſolche leute lieber zu ſich und in ſein hauß zuerbitten/ und durch freundliches geſpraͤch und examen ſie zu unterrichten. Will nun ein Prediger weiter gehen/ und die gemeinde folget nicht mit guten willen/ ſo muß er doch endlich ablaſſen/ als dem es an vermoͤgen mangelt ſie dazu zu noͤtigen/ ſo ohne daß auch nicht nuͤtzlich achtete. Was das andere anlangt/ folgt aus obigem/ daß er lieber bald/ nachdem er die ſache nicht durch treiben kan/ zuruͤck halte/ und waß er durch das examen der alten ſelbs zu ihrer erbauung vorge- habt/ auff die andere art einzubringen ſuchte. Hingegen wo er auff ſeinem vor- haben beharren wolte/ darauß aber geſchehe/ daß die leute gar auch von dem hoͤren wegblieben/ richtete er damit ja weniger aus/ als wo er ſie nur zu dem an- hoͤren anweiſende darbey und bey dem luſt behielte: deſſen verantwortung/ wo als denn klage daruͤber kommen ſolte/ auff einen ſolchen Prediger/ der durch ei- gen ſinnige beharrung auff einer art/ damit er auffzukommen nicht vermocht/ die vorgeſchriebene art zum theil frucht-loß gemacht haͤtte/ kommen wuͤrde. Wann alſo die erbauung der zuhoͤrer der vornehmſte zweck des Predigers iſt und ſeyn ſolle/ verbindet ihn ſein gewiſſen/ dieſelbe zuſuchen nicht allemahl auff die beſte art/ als es an ſich ſelbs ſeyn koͤnte/ da es ihm an der bewerckſtelligung mangelt/ ſondern auf die beqvemſte art/ als ſichs ſeines orts thun laͤſſet: welches thuende er an goͤttlichem ſegen nicht zweiffeln darff. Die II. Frage. Ob ein Prediger befugt ſeye/ bey herumgehenden ſeuchen als haupt-kranckheiten/ rothe ruhr und dergleichen/ die patienten aus ihren haͤuſern auff die gaͤrten und freye dorff tragen zu laſſen/ ſie all- da unter freyem himmel zu abſolviren/ und ihnen das H. Abendmahl zureichen/ weil nicht allein die einheimiſche ſondern auch fremde leut davor abſcheu haben/ und zu ſperrung alles handels und wandels urſache gibet/ die patienten auch hiebey groſſen ſchaden an ihrer geſundheit leiden. HJerauff kan allerdings mit nein gegntwortet werden: denn ob wol ein ſeelſorger/ ſoviel es ſeyn amt und chriſtliche liebe zugibet/ ſeiner geſund- heit ſo wohl als andere/ um ſein und anderer willen/ zu ſchonen hat/ daher nicht ohne noth oder da man ſeiner wahrhafftig bedarff/ ſich in die gefahr begeben/ noch laͤnger als dero erbauung erfordert/ bey ſolchen patienten/ bleiben darff: ob wol auch mit anſteckenden kranckheiten behafftete ſelbs hinwieder der Pre-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/863>, abgerufen am 24.11.2024.