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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
binden lassen/ daß er ohne begebung etwas in der sache selbs/ sich nicht nur
aller lästerungen und scheltwort/ welche ohne das Christlichen Theologis
nicht anstehen/ enthalte/ sondern insgesamt in dem stylo und redens-art nicht
die hefftigste formuln/ und die jenige wort/ so in einer gantzen freyen kirche
ihm noch passiret werden könten/ gebrauche/ sondern das an sich härteste/
da von er auch nichts nachlassen darff/ doch noch mit den gelindesten worten
auszutrucken befliessen seye. Wie ich selbs ohne andere als die gemeine
obligation, daß wir gegen die irrende mehr eine erbarmende und sie zu ge-
winnen suchende liebe/ als hefftigen zorn und bitterkeit hegen und erweisen
sollen (wie ich dann der wahrheit selbst mehr durch jene als diese nutzen ge-
schafft zu werden finde) stets in meinen predigten zwahr nach nothdurfft
und gelegenheit des textes die irrthume der widersacher widerlege/ auch
die gefahr denselben zeige/ aber hefftiger und schimfflicher worte mich ent-
halte/ und also rede/ daß wo solche leute selbst da wären sie nicht dadurch
zu haß und grimm bewogen/ sondern bey solchem sinn bleiben möchten/ daß
sie auffs wenigste keine mehrere hitterkeit gegen uns und unsere lehr
dadurch fassen. 5. Jch pflege selbst den reformirten nichts vor ihre lehre
zuzuschreiben/ wozu sie sich nicht bekennen: was aber dinge sind/ die aus
ihren bekantlichen lehrsätzen folgen/ messe ich sie ihnen nicht als ihre bekänt-
nüß zu/ sondern brauche sie also/ daß ich weise wie diese und diese dinge aus die-
ser oder jener thesi fogleten/ weil sie nun solche selbst verwürffen/ so solten sie
die sache fleißiger untersuchen/ und erkennen/ daß dann auch die jenige sätze
irrig müssen seyn/ aus welchen die folgen entstehen. Damit begebe ich der
sache nichts/ und gebe ihnen doch nicht ursach/ sich über mich zu beschweh-
ren. 6. Weil sie selbst in einigen puncten/ sonderlich was die gnaden-
wahl und davon dependirende materien anlangt/ unter sich nicht einig
sind/ brauche ich gern diese auffrichtigkeit/ daß ich nicht alle mit den mey-
nungen belade/ die auch nicht von allen behauptet werden/ sondern be-
zeuge/ daß mir lieb seye/ wo immer einige etwas der andern irrthümer
verlassen/ denen ich dann das jenige/ was ihnen selbs entgegen seye/ nicht
zu schreiben/ noch daß sie sich der jenigen harten dinge/ so andere ihrer com-
munion statui
ret/ theilhafftig machen/ nöthigen möge: vielmehr wün-
schende/ was nicht auff einmahl geschehen kan/ daß allgemach geschehe/
und die zahl der irrthume und irrenden weniger werde. Dieses ist meine
eigene art und methodus, also auch mein rath an andere welche ihr

gewissen

Das andere Capitel.
binden laſſen/ daß er ohne begebung etwas in der ſache ſelbs/ ſich nicht nur
aller laͤſterungen und ſcheltwort/ welche ohne das Chriſtlichen Theologis
nicht anſtehen/ enthalte/ ſondern insgeſamt in dem ſtylo und redens-art nicht
die hefftigſte formuln/ und die jenige wort/ ſo in einer gantzen freyen kirche
ihm noch paſſiret werden koͤnten/ gebrauche/ ſondern das an ſich haͤrteſte/
da von er auch nichts nachlaſſen darff/ doch noch mit den gelindeſten worten
auszutrucken beflieſſen ſeye. Wie ich ſelbs ohne andere als die gemeine
obligation, daß wir gegen die irrende mehr eine erbarmende und ſie zu ge-
winnen ſuchende liebe/ als hefftigen zorn und bitterkeit hegen und erweiſen
ſollen (wie ich dann der wahrheit ſelbſt mehr durch jene als dieſe nutzen ge-
ſchafft zu werden finde) ſtets in meinen predigten zwahr nach nothdurfft
und gelegenheit des textes die irrthume der widerſacher widerlege/ auch
die gefahr denſelben zeige/ aber hefftiger und ſchimfflicher worte mich ent-
halte/ und alſo rede/ daß wo ſolche leute ſelbſt da waͤren ſie nicht dadurch
zu haß und grimm bewogen/ ſondern bey ſolchem ſinn bleiben moͤchten/ daß
ſie auffs wenigſte keine mehrere hitterkeit gegen uns und unſere lehr
dadurch faſſen. 5. Jch pflege ſelbſt den reformirten nichts vor ihre lehre
zuzuſchreiben/ wozu ſie ſich nicht bekennen: was aber dinge ſind/ die aus
ihren bekantlichen lehrſaͤtzen folgen/ meſſe ich ſie ihnen nicht als ihre bekaͤnt-
nuͤß zu/ ſondern brauche ſie alſo/ daß ich weiſe wie dieſe und dieſe dinge aus die-
ſer oder jener theſi fogleten/ weil ſie nun ſolche ſelbſt verwuͤrffen/ ſo ſolten ſie
die ſache fleißiger unterſuchen/ und erkennen/ daß dann auch die jenige ſaͤtze
irrig muͤſſen ſeyn/ aus welchen die folgen entſtehen. Damit begebe ich der
ſache nichts/ und gebe ihnen doch nicht urſach/ ſich uͤber mich zu beſchweh-
ren. 6. Weil ſie ſelbſt in einigen puncten/ ſonderlich was die gnaden-
wahl und davon dependirende materien anlangt/ unter ſich nicht einig
ſind/ brauche ich gern dieſe auffrichtigkeit/ daß ich nicht alle mit den mey-
nungen belade/ die auch nicht von allen behauptet werden/ ſondern be-
zeuge/ daß mir lieb ſeye/ wo immer einige etwas der andern irrthuͤmer
verlaſſen/ denen ich dann das jenige/ was ihnen ſelbs entgegen ſeye/ nicht
zu ſchreiben/ noch daß ſie ſich der jenigen harten dinge/ ſo andere ihrer com-
munion ſtatui
ret/ theilhafftig machen/ noͤthigen moͤge: vielmehr wuͤn-
ſchende/ was nicht auff einmahl geſchehen kan/ daß allgemach geſchehe/
und die zahl der irrthume und irrenden weniger werde. Dieſes iſt meine
eigene art und methodus, alſo auch mein rath an andere welche ihr

gewiſſen
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[744/0760] Das andere Capitel. binden laſſen/ daß er ohne begebung etwas in der ſache ſelbs/ ſich nicht nur aller laͤſterungen und ſcheltwort/ welche ohne das Chriſtlichen Theologis nicht anſtehen/ enthalte/ ſondern insgeſamt in dem ſtylo und redens-art nicht die hefftigſte formuln/ und die jenige wort/ ſo in einer gantzen freyen kirche ihm noch paſſiret werden koͤnten/ gebrauche/ ſondern das an ſich haͤrteſte/ da von er auch nichts nachlaſſen darff/ doch noch mit den gelindeſten worten auszutrucken beflieſſen ſeye. Wie ich ſelbs ohne andere als die gemeine obligation, daß wir gegen die irrende mehr eine erbarmende und ſie zu ge- winnen ſuchende liebe/ als hefftigen zorn und bitterkeit hegen und erweiſen ſollen (wie ich dann der wahrheit ſelbſt mehr durch jene als dieſe nutzen ge- ſchafft zu werden finde) ſtets in meinen predigten zwahr nach nothdurfft und gelegenheit des textes die irrthume der widerſacher widerlege/ auch die gefahr denſelben zeige/ aber hefftiger und ſchimfflicher worte mich ent- halte/ und alſo rede/ daß wo ſolche leute ſelbſt da waͤren ſie nicht dadurch zu haß und grimm bewogen/ ſondern bey ſolchem ſinn bleiben moͤchten/ daß ſie auffs wenigſte keine mehrere hitterkeit gegen uns und unſere lehr dadurch faſſen. 5. Jch pflege ſelbſt den reformirten nichts vor ihre lehre zuzuſchreiben/ wozu ſie ſich nicht bekennen: was aber dinge ſind/ die aus ihren bekantlichen lehrſaͤtzen folgen/ meſſe ich ſie ihnen nicht als ihre bekaͤnt- nuͤß zu/ ſondern brauche ſie alſo/ daß ich weiſe wie dieſe und dieſe dinge aus die- ſer oder jener theſi fogleten/ weil ſie nun ſolche ſelbſt verwuͤrffen/ ſo ſolten ſie die ſache fleißiger unterſuchen/ und erkennen/ daß dann auch die jenige ſaͤtze irrig muͤſſen ſeyn/ aus welchen die folgen entſtehen. Damit begebe ich der ſache nichts/ und gebe ihnen doch nicht urſach/ ſich uͤber mich zu beſchweh- ren. 6. Weil ſie ſelbſt in einigen puncten/ ſonderlich was die gnaden- wahl und davon dependirende materien anlangt/ unter ſich nicht einig ſind/ brauche ich gern dieſe auffrichtigkeit/ daß ich nicht alle mit den mey- nungen belade/ die auch nicht von allen behauptet werden/ ſondern be- zeuge/ daß mir lieb ſeye/ wo immer einige etwas der andern irrthuͤmer verlaſſen/ denen ich dann das jenige/ was ihnen ſelbs entgegen ſeye/ nicht zu ſchreiben/ noch daß ſie ſich der jenigen harten dinge/ ſo andere ihrer com- munion ſtatuiret/ theilhafftig machen/ noͤthigen moͤge: vielmehr wuͤn- ſchende/ was nicht auff einmahl geſchehen kan/ daß allgemach geſchehe/ und die zahl der irrthume und irrenden weniger werde. Dieſes iſt meine eigene art und methodus, alſo auch mein rath an andere welche ihr gewiſſen

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 744. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/760>, abgerufen am 21.11.2024.