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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. III. SECTIO XXVII.
kan/ so ist auch dieses ein stück unserer Christlichen freyheit/ daß wir an keinen
menschen gebunden/ alles prüffen mögen/ das gute zubehalten. Aber ich
erinnere mich dabey hinwieder des lieben Pauli regel: ich habe es alles
macht/ aber es frommet und bessert nicht alles:
so ist auch nicht jegli-
chem die gabe und maß des geistes gegeben/ pretiosum a vili allemahl zu
unterscheiden/ sondern weiß ich/ daß zu weilen lieben gut meinenden seelen/ die
lesung und gebrauch solcher bücher unvermerckt eines und anders beyge-
bracht/ so ihnen nicht nützlich gewesen: ja sie an dem dienst ihres GOttes
etwa nicht wenig nachmahl gehindert hat. Dahero ich gäntzlich davor halte/
wir haben uns vor lesung solcher bücher wohl zu entscheiden/ wie weit sich
unser maaß erstrecke/ und was vor speisen wir zu ertragen vermögen/ daß
nicht zuweilen etwas unter süssem zucker verborgen stecken möge/ das uns
selbs schädlich seyn könte. Mein geliebter bruder wird dieses zum besten ver-
stehen/ nicht daß denselben beschuldige/ als der ich weder weiß was er vor bü-
cher bißher gelesen: noch das ihm gegebene gnaden-maaß zu urtheilen habe:
sondern allein aus den eigenen worten eine gelegenheit dieser erinnerung ge-
nommen habe/ bey den büchern wohl acht zugeben/ ob dieselbe allein von
fleischlichen leuten vor seltzam geachtet worden/ oder wahrhafftig dergleichen
dinge in sich fassen/ aus denen man unvermuthet etwas schöpffen könte/ dar-
aus manchmahl andere uns anzugreiffen ziemlich fug bekämen/ da sie etwas
an der reinigkeit unserer lehre zu straffen finden. Jm übrigen habe mich
nicht genug verwundern können über das jenige/ daß man nunmehr so un-
verschämt werde/ und vor einen duellanten/ daher einen welcher in offenbah-
rem vorsatz einer frevelen und/ will nicht sagen in göttlichem gesetz/ sondern
so gar den weltlichen rechten verbottenen that stehet/ das gemeine gebeth zu-
thun begehren möge. Es wäre dann sach/ daß man GOtt bäte/ der einen
solchen zur wahren buß bewegen und von seinen bösen wegen zurück führen
wolte/ welches endlich wohl eines gemeinen gebeths so viel würdiger seyn
möchte/ als die seelen gefahr eines solchen armen menschen grösser ist/ weil er
sie nicht sihet noch erkennet. Letzlich so ist in der that eine grosse göttliche
wohlthat/ die er rühmet/ wo uns der Herr die viele fehler unsers so übel be-
dienten predigamts und Christenthums recht zu erkennen/ gibet: dann kei-
ner wirds erkennen/ der nicht so bald daraus zu einer begierde wird bewogen
werden/ daß die sache möchte gebessert werden/ und deßwegen so bey sich als
andern nach solcher besserung seuffzen und sich bestreben: so mercket auch
GOtt bey keinem solche erkäntnüß und begierde/ daß nicht dieselbe stracks mit

etwel-

ARTIC. III. SECTIO XXVII.
kan/ ſo iſt auch dieſes ein ſtuͤck unſerer Chriſtlichen freyheit/ daß wir an keinen
menſchen gebunden/ alles pruͤffen moͤgen/ das gute zubehalten. Aber ich
erinnere mich dabey hinwieder des lieben Pauli regel: ich habe es alles
macht/ aber es frommet und beſſert nicht alles:
ſo iſt auch nicht jegli-
chem die gabe und maß des geiſtes gegeben/ pretioſum à vili allemahl zu
unterſcheiden/ ſondern weiß ich/ daß zu weilen lieben gut meinenden ſeelen/ die
leſung und gebrauch ſolcher buͤcher unvermerckt eines und anders beyge-
bracht/ ſo ihnen nicht nuͤtzlich geweſen: ja ſie an dem dienſt ihres GOttes
etwa nicht wenig nachmahl gehindert hat. Dahero ich gaͤntzlich davor halte/
wir haben uns vor leſung ſolcher buͤcher wohl zu entſcheiden/ wie weit ſich
unſer maaß erſtrecke/ und was vor ſpeiſen wir zu ertragen vermoͤgen/ daß
nicht zuweilen etwas unter ſuͤſſem zucker verborgen ſtecken moͤge/ das uns
ſelbs ſchaͤdlich ſeyn koͤnte. Mein geliebter bruder wird dieſes zum beſten ver-
ſtehen/ nicht daß denſelben beſchuldige/ als der ich weder weiß was er vor buͤ-
cher bißher geleſen: noch das ihm gegebene gnaden-maaß zu urtheilen habe:
ſondern allein aus den eigenen worten eine gelegenheit dieſer erinnerung ge-
nommen habe/ bey den buͤchern wohl acht zugeben/ ob dieſelbe allein von
fleiſchlichen leuten vor ſeltzam geachtet worden/ oder wahrhafftig dergleichen
dinge in ſich faſſen/ aus denen man unvermuthet etwas ſchoͤpffen koͤnte/ dar-
aus manchmahl andere uns anzugreiffen ziemlich fug bekaͤmen/ da ſie etwas
an der reinigkeit unſerer lehre zu ſtraffen finden. Jm uͤbrigen habe mich
nicht genug verwundern koͤnnen uͤber das jenige/ daß man nunmehr ſo un-
verſchaͤmt werde/ und vor einen duellanten/ daher einen welcher in offenbah-
rem vorſatz einer frevelen und/ will nicht ſagen in goͤttlichem geſetz/ ſondern
ſo gar den weltlichen rechten verbottenen that ſtehet/ das gemeine gebeth zu-
thun begehren moͤge. Es waͤre dann ſach/ daß man GOtt baͤte/ der einen
ſolchen zur wahren buß bewegen und von ſeinen boͤſen wegen zuruͤck fuͤhren
wolte/ welches endlich wohl eines gemeinen gebeths ſo viel wuͤrdiger ſeyn
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wohlthat/ die er ruͤhmet/ wo uns der Herr die viele fehler unſers ſo uͤbel be-
dienten predigamts und Chriſtenthums recht zu erkennen/ gibet: dann kei-
ner wirds erkennen/ der nicht ſo bald daraus zu einer begierde wird bewogen
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[727/0743] ARTIC. III. SECTIO XXVII. kan/ ſo iſt auch dieſes ein ſtuͤck unſerer Chriſtlichen freyheit/ daß wir an keinen menſchen gebunden/ alles pruͤffen moͤgen/ das gute zubehalten. Aber ich erinnere mich dabey hinwieder des lieben Pauli regel: ich habe es alles macht/ aber es frommet und beſſert nicht alles: ſo iſt auch nicht jegli- chem die gabe und maß des geiſtes gegeben/ pretioſum à vili allemahl zu unterſcheiden/ ſondern weiß ich/ daß zu weilen lieben gut meinenden ſeelen/ die leſung und gebrauch ſolcher buͤcher unvermerckt eines und anders beyge- bracht/ ſo ihnen nicht nuͤtzlich geweſen: ja ſie an dem dienſt ihres GOttes etwa nicht wenig nachmahl gehindert hat. Dahero ich gaͤntzlich davor halte/ wir haben uns vor leſung ſolcher buͤcher wohl zu entſcheiden/ wie weit ſich unſer maaß erſtrecke/ und was vor ſpeiſen wir zu ertragen vermoͤgen/ daß nicht zuweilen etwas unter ſuͤſſem zucker verborgen ſtecken moͤge/ das uns ſelbs ſchaͤdlich ſeyn koͤnte. Mein geliebter bruder wird dieſes zum beſten ver- ſtehen/ nicht daß denſelben beſchuldige/ als der ich weder weiß was er vor buͤ- cher bißher geleſen: noch das ihm gegebene gnaden-maaß zu urtheilen habe: ſondern allein aus den eigenen worten eine gelegenheit dieſer erinnerung ge- nommen habe/ bey den buͤchern wohl acht zugeben/ ob dieſelbe allein von fleiſchlichen leuten vor ſeltzam geachtet worden/ oder wahrhafftig dergleichen dinge in ſich faſſen/ aus denen man unvermuthet etwas ſchoͤpffen koͤnte/ dar- aus manchmahl andere uns anzugreiffen ziemlich fug bekaͤmen/ da ſie etwas an der reinigkeit unſerer lehre zu ſtraffen finden. Jm uͤbrigen habe mich nicht genug verwundern koͤnnen uͤber das jenige/ daß man nunmehr ſo un- verſchaͤmt werde/ und vor einen duellanten/ daher einen welcher in offenbah- rem vorſatz einer frevelen und/ will nicht ſagen in goͤttlichem geſetz/ ſondern ſo gar den weltlichen rechten verbottenen that ſtehet/ das gemeine gebeth zu- thun begehren moͤge. Es waͤre dann ſach/ daß man GOtt baͤte/ der einen ſolchen zur wahren buß bewegen und von ſeinen boͤſen wegen zuruͤck fuͤhren wolte/ welches endlich wohl eines gemeinen gebeths ſo viel wuͤrdiger ſeyn moͤchte/ als die ſeelen gefahr eines ſolchen armen menſchen groͤſſer iſt/ weil er ſie nicht ſihet noch erkennet. Letzlich ſo iſt in der that eine groſſe goͤttliche wohlthat/ die er ruͤhmet/ wo uns der Herr die viele fehler unſers ſo uͤbel be- dienten predigamts und Chriſtenthums recht zu erkennen/ gibet: dann kei- ner wirds erkennen/ der nicht ſo bald daraus zu einer begierde wird bewogen werden/ daß die ſache moͤchte gebeſſert werden/ und deßwegen ſo bey ſich als andern nach ſolcher beſſerung ſeuffzen und ſich beſtreben: ſo mercket auch GOtt bey keinem ſolche erkaͤntnuͤß und begierde/ daß nicht dieſelbe ſtracks mit etwel-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 727. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/743>, abgerufen am 22.11.2024.