Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO LXII.

dem A.T. wegen des hertzens härtigkeit u. anderer unwissenheit manches auch
bey denen in denen sein glaube bliebe/ übersehen hat/ so wir sonsten mit der art
des glaubens schwehrlich vor uns selbs vergleichen könten) lasse ich es lieber
dabey/ daß ich sie GOttes überschwenglicher barmhertzigkeit empfehle/ wel-
che zwahr wider seine gerechtigkeit auch nichts thut/ aber diese beyde mitein-
ander zuvergleichen meistens in dergleichen intricaten fällen allen unsern be-
griff übertreffen kan/ und also mir bey annoch ziemlichen ursachen/ welche sie
der göttlichen gnade nicht gantz unfähig zu machen scheinen/ nicht thunlich
seyn will/ ihnen diese bloß dahin abzusprechen/ sondern es dem jenigen heim-
zuweisen/ welcher das urtheil selbs sprechen solle. Jch bin nicht in abrede/
daß mich zu dieser mehrern sorg in dem urtheil über diese höchstbedrangte so
vielmehr treibet/ wenn ich bedencke/ daß hinder diesem gantzen werck und
verfolgung vieler göttlicher rath mag verborgen seyn/ den wir vorher nicht
zur gnüge zu erkennen vermögen. Jnsgemein zwahr hoffe ich/ werde nie-
mand seyn/ der mit einigem fleiß alle umstände/ wie Babel bis daher die ver-
folgung auff so gantz andere art als vormahlen gegen unsre beyderseits reli-
gionen angestellet/ vor GOtt überleget/ daß er nicht solte bewogen werden/
zu glauben/ daß GOtt auch etwas sonderbahres vorhaben müsse; um so
viel mehr/ nach dem aus unterschiedlichem zu hoffen seyn mag/ daß der fall
Babels so weit nicht entfernet seyn möchte. Und wie/ wenn GOtt nach sei-
ner wunderbahren weißheit/ welche manchmal durch gantz widersinnische
mittel die gröste dinge ausgeführet hat/ das jenige/ womit Babel sich groß
zu machen trachtet/ zu einem mittel eines anfangs dessen falles machen wolte?
dabey ich mich zweyer dinge erinnere: das eine ist/ daß einsmals ein geschei-
der Papist/ oder vielmehr eusserliches glied der Römischen kirchen/ so in dem
übrigen auf den Pabst wenig hielte/ zu mir sagte/ es möchte dem Pabst und Rö-
mischen stuhl von niemand ein nachtrücklicher stoß geschehen/ der nicht in der
eusserlichen gemeinschafft der kirchen wäre/ so wenig als dem drachen zu Ba-
bel die küchlein würden geschadet haben/ da sie ihm über den kopff ja über
die mauren zu Babel hinausgeworffen worden wären/ die ihn gleichwol/ da
sie ihm in den leib kommen/ bersten machten: also müste was eigentlich ihn
bersten machen solte/ in seinem bauch eusserlicher gemeinschafft seyn. Das
andere ist/ daß gleichfals einer dem vorigen an dem sinn nicht ungleicher sich
gegen einen guten freund vernehmen ließ/ daß das Römische Babel nicht
kräfftiger gefället werden könte/ als wenn auff einmahl alle secten sich
resolvirten/ wiederum in die gemeinschafft der Römischen kirchen einzuge-
hen/ da sich mit denselben/ wo sie nunmehr in dem schooß der kirchen wären/
in kurtzem alles/ was noch jetzt wahrhaftig den Herrn sucht in dem Pabstthum
selbs mit denselben vereinigen/ und alsdenn in der kirchen eine viel nachtruck-
lichere reformation folgen würde/ als welche bisher versucht worden/ damit

also

N n 3

SECTIO LXII.

dem A.T. wegen des hertzens haͤrtigkeit u. anderer unwiſſenheit manches auch
bey denen in denen ſein glaube bliebe/ uͤbeꝛſehen hat/ ſo wir ſonſten mit der art
des glaubens ſchwehrlich vor uns ſelbs vergleichen koͤnten) laſſe ich es lieber
dabey/ daß ich ſie GOttes uͤberſchwenglicher barmhertzigkeit empfehle/ wel-
che zwahr wider ſeine gerechtigkeit auch nichts thut/ aber dieſe beyde mitein-
ander zuvergleichen meiſtens in dergleichen intricaten faͤllen allen unſern be-
griff uͤbertreffen kan/ und alſo mir bey annoch ziemlichen urſachen/ welche ſie
der goͤttlichen gnade nicht gantz unfaͤhig zu machen ſcheinen/ nicht thunlich
ſeyn will/ ihnen dieſe bloß dahin abzuſprechen/ ſondern es dem jenigen heim-
zuweiſen/ welcher das urtheil ſelbs ſprechen ſolle. Jch bin nicht in abrede/
daß mich zu dieſer mehrern ſorg in dem urtheil uͤber dieſe hoͤchſtbedrangte ſo
vielmehr treibet/ wenn ich bedencke/ daß hinder dieſem gantzen werck und
verfolgung vieler goͤttlicher rath mag verborgen ſeyn/ den wir vorher nicht
zur gnuͤge zu erkennen vermoͤgen. Jnsgemein zwahr hoffe ich/ werde nie-
mand ſeyn/ der mit einigem fleiß alle umſtaͤnde/ wie Babel bis daher die ver-
folgung auff ſo gantz andere art als vormahlen gegen unſre beyderſeits reli-
gionen angeſtellet/ vor GOtt uͤberleget/ daß er nicht ſolte bewogen werden/
zu glauben/ daß GOtt auch etwas ſonderbahres vorhaben muͤſſe; um ſo
viel mehr/ nach dem aus unterſchiedlichem zu hoffen ſeyn mag/ daß der fall
Babels ſo weit nicht entfernet ſeyn moͤchte. Und wie/ wenn GOtt nach ſei-
ner wunderbahren weißheit/ welche manchmal durch gantz widerſinniſche
mittel die groͤſte dinge ausgefuͤhret hat/ das jenige/ womit Babel ſich groß
zu machen tꝛachtet/ zu einem mittel eines anfangs deſſen falles machen wolte?
dabey ich mich zweyer dinge erinnere: das eine iſt/ daß einsmals ein geſchei-
der Papiſt/ oder vielmehr euſſerliches glied der Roͤmiſchen kirchen/ ſo in dem
uͤbꝛigen auf den Pabſt wenig hielte/ zu mir ſagte/ es moͤchte dem Pabſt uñ Roͤ-
miſchen ſtuhl von niemand ein nachtruͤcklicher ſtoß geſchehen/ der nicht in der
euſſerlichen gemeinſchafft der kirchen waͤre/ ſo wenig als dem drachen zu Ba-
bel die kuͤchlein wuͤrden geſchadet haben/ da ſie ihm uͤber den kopff ja uͤber
die mauren zu Babel hinausgeworffen worden waͤren/ die ihn gleichwol/ da
ſie ihm in den leib kommen/ berſten machten: alſo muͤſte was eigentlich ihn
berſten machen ſolte/ in ſeinem bauch euſſerlicher gemeinſchafft ſeyn. Das
andere iſt/ daß gleichfals einer dem vorigen an dem ſinn nicht ungleicher ſich
gegen einen guten freund vernehmen ließ/ daß das Roͤmiſche Babel nicht
kraͤfftiger gefaͤllet werden koͤnte/ als wenn auff einmahl alle ſecten ſich
reſolvirten/ wiederum in die gemeinſchafft der Roͤmiſchen kirchen einzuge-
hen/ da ſich mit denſelben/ wo ſie nunmehr in dem ſchooß der kirchen waͤren/
in kurtzem alles/ was noch jetzt wahrhaftig den Herrn ſucht in dem Pabſtthum
ſelbs mit denſelben vereinigen/ und alsdenn in der kirchen eine viel nachtruck-
lichere reformation folgen wuͤrde/ als welche bisher verſucht worden/ damit

alſo

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[285/0301] SECTIO LXII. dem A.T. wegen des hertzens haͤrtigkeit u. anderer unwiſſenheit manches auch bey denen in denen ſein glaube bliebe/ uͤbeꝛſehen hat/ ſo wir ſonſten mit der art des glaubens ſchwehrlich vor uns ſelbs vergleichen koͤnten) laſſe ich es lieber dabey/ daß ich ſie GOttes uͤberſchwenglicher barmhertzigkeit empfehle/ wel- che zwahr wider ſeine gerechtigkeit auch nichts thut/ aber dieſe beyde mitein- ander zuvergleichen meiſtens in dergleichen intricaten faͤllen allen unſern be- griff uͤbertreffen kan/ und alſo mir bey annoch ziemlichen urſachen/ welche ſie der goͤttlichen gnade nicht gantz unfaͤhig zu machen ſcheinen/ nicht thunlich ſeyn will/ ihnen dieſe bloß dahin abzuſprechen/ ſondern es dem jenigen heim- zuweiſen/ welcher das urtheil ſelbs ſprechen ſolle. Jch bin nicht in abrede/ daß mich zu dieſer mehrern ſorg in dem urtheil uͤber dieſe hoͤchſtbedrangte ſo vielmehr treibet/ wenn ich bedencke/ daß hinder dieſem gantzen werck und verfolgung vieler goͤttlicher rath mag verborgen ſeyn/ den wir vorher nicht zur gnuͤge zu erkennen vermoͤgen. Jnsgemein zwahr hoffe ich/ werde nie- mand ſeyn/ der mit einigem fleiß alle umſtaͤnde/ wie Babel bis daher die ver- folgung auff ſo gantz andere art als vormahlen gegen unſre beyderſeits reli- gionen angeſtellet/ vor GOtt uͤberleget/ daß er nicht ſolte bewogen werden/ zu glauben/ daß GOtt auch etwas ſonderbahres vorhaben muͤſſe; um ſo viel mehr/ nach dem aus unterſchiedlichem zu hoffen ſeyn mag/ daß der fall Babels ſo weit nicht entfernet ſeyn moͤchte. Und wie/ wenn GOtt nach ſei- ner wunderbahren weißheit/ welche manchmal durch gantz widerſinniſche mittel die groͤſte dinge ausgefuͤhret hat/ das jenige/ womit Babel ſich groß zu machen tꝛachtet/ zu einem mittel eines anfangs deſſen falles machen wolte? dabey ich mich zweyer dinge erinnere: das eine iſt/ daß einsmals ein geſchei- der Papiſt/ oder vielmehr euſſerliches glied der Roͤmiſchen kirchen/ ſo in dem uͤbꝛigen auf den Pabſt wenig hielte/ zu mir ſagte/ es moͤchte dem Pabſt uñ Roͤ- miſchen ſtuhl von niemand ein nachtruͤcklicher ſtoß geſchehen/ der nicht in der euſſerlichen gemeinſchafft der kirchen waͤre/ ſo wenig als dem drachen zu Ba- bel die kuͤchlein wuͤrden geſchadet haben/ da ſie ihm uͤber den kopff ja uͤber die mauren zu Babel hinausgeworffen worden waͤren/ die ihn gleichwol/ da ſie ihm in den leib kommen/ berſten machten: alſo muͤſte was eigentlich ihn berſten machen ſolte/ in ſeinem bauch euſſerlicher gemeinſchafft ſeyn. Das andere iſt/ daß gleichfals einer dem vorigen an dem ſinn nicht ungleicher ſich gegen einen guten freund vernehmen ließ/ daß das Roͤmiſche Babel nicht kraͤfftiger gefaͤllet werden koͤnte/ als wenn auff einmahl alle ſecten ſich reſolvirten/ wiederum in die gemeinſchafft der Roͤmiſchen kirchen einzuge- hen/ da ſich mit denſelben/ wo ſie nunmehr in dem ſchooß der kirchen waͤren/ in kurtzem alles/ was noch jetzt wahrhaftig den Herrn ſucht in dem Pabſtthum ſelbs mit denſelben vereinigen/ und alsdenn in der kirchen eine viel nachtruck- lichere reformation folgen wuͤrde/ als welche bisher verſucht worden/ damit alſo N n 3

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Zitationshilfe:	Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/301>, abgerufen am 22.11.2024.

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