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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO LVI.
haußstand der gebrauch seiner rechte entzogen bleibet/ so beklage ich zwahr
solche unordnung/ und zeige deroselben schaden/ doch halte ich deswegen un-
sere kirche noch nicht vor Babel/ noch anti-christisch: indem nicht alle abwei-
chung von der ordnung Christi gleich das Anti-Christenthum machet: Und
solches deswegen/ nicht nur weil bey den beyden ständen/ die gleichwohl bey
uns cooperiren müssen/ keine solche gefahr ist des zwangs der gewissen und irr-
thume/ als da nur einer eine absolute gewalt sich nimmet/ sondern weil auch
keiner dieser stände sich die geistl. gewalt proprio jure zueignet/ wie in dem
Pabstthum die Clerisey thut/ sondern sie erkennen alle das recht der gemein-
de/ nur daß sie dieselbe von dero übung aus andern vorwänden abhalten/
und sonderlich die obrigkeit das jenige was sie thut/ auch im nahmen ihrer un-
terthanen zu thun/ und sie also zu repraesentiren vorgibet/ wie sie in andern
weltlichen dingen sie gleichfals zuvertreten pfleget. Nun bezeuge nochmals/
daß solche repraesentation nicht billige/ sondern darauff bestehe/ man solte es
bey der ersten ordnung gelassen haben: indessen so ists doch ein solcher stand
der kirchen/ welchen wir nicht loben/ aber so lang es GOtt noch also lässet/
dulden müssen. Wo aber 3. die sache dahin kommet/ daß ein stand allein/ son-
derlich der prediger (und zwahr als jure suo, dem es amtswegen austrücklich
zukomme/ und der anderer censur nicht unterworffen) sich der gewalt in der
kirchen anmasset/ da ists alsdenn ein solcher zustand/ der nicht nur nicht zu lo-
ben/ sondern auch nicht zu dulden/ ja solche unrechtmäßige gewalt/ die sich die
Clerisey nimmet/ das rechte Pabstthum und Anti-Christenthum ist/ dabey
auch die wahrheit nicht lange erhalten werden kan. Dieses ist die summa
dessen/ was ich von dieser materia halte und glaube: auch mich nicht erst aus
dieser veranlassung also declarire/ sondern alles bereits in meinen vorigen
schrifften bezeuget habe. Wo man nun dieses zusammen nimmet/ so wird
sich die geringste contradiction in meinen schrifften nicht finden. Jn der an-
geführten geschriebenen antwort/ entschuldige ich die steller der. F. Conc. daß
so viel ich finde/ in dero verfassung der dritte stand ausdrücklich nicht seye mit
befraget worden; bekenne aber/ daß es ordentlicher gethan würde gewesen
seyn/ wo solches geschehen wäre: nur sage ich/ daß solches das gantze werck
nicht anti-Christisch mache/ und also zu demjenigen stand gehöre/ dessen ver-
fassung ich nicht lobe/ aber dulde. Wie ich auch noch darbey bleibe: Und wo
ein prediger damit nicht zufrieden seyn wolte/ so würde fragen/ ob er seinen
beruff (bey dem nur an den wenigsten orten der gemeine so viel recht/ als
ihr zukommt/ gegönnet wird) vor rechtmäßig und göttlich erkenne. Erkennt
er ihn nicht davor/ so weiß nicht/ wie er mit gutem gewissen dabey bleiben/ und
das amt verwalten könne: Erkennet er ihn aber vor gültig/ so muß ergestehen/
daß nicht alles auffhöre göttlich zu seyn/ wo doch in der art/ wie man darzu

ge-

SECTIO LVI.
haußſtand der gebrauch ſeiner rechte entzogen bleibet/ ſo beklage ich zwahr
ſolche unordnung/ und zeige deroſelben ſchaden/ doch halte ich deswegen un-
ſere kirche noch nicht vor Babel/ noch anti-chriſtiſch: indem nicht alle abwei-
chung von der ordnung Chriſti gleich das Anti-Chriſtenthum machet: Und
ſolches deswegen/ nicht nur weil bey den beyden ſtaͤnden/ die gleichwohl bey
uns cooperiren muͤſſen/ keine ſolche gefahr iſt des zwangs der gewiſſen uñ irr-
thume/ als da nur einer eine abſolute gewalt ſich nimmet/ ſondern weil auch
keiner dieſer ſtaͤnde ſich die geiſtl. gewalt proprio jure zueignet/ wie in dem
Pabſtthum die Cleriſey thut/ ſondern ſie erkennen alle das recht der gemein-
de/ nur daß ſie dieſelbe von dero uͤbung aus andern vorwaͤnden abhalten/
und ſonderlich die obrigkeit das jenige was ſie thut/ auch im nahmen ihrer un-
terthanen zu thun/ und ſie alſo zu repræſentiren vorgibet/ wie ſie in andern
weltlichen dingen ſie gleichfals zuvertreten pfleget. Nun bezeuge nochmals/
daß ſolche repræſentation nicht billige/ ſondern darauff beſtehe/ man ſolte es
bey der erſten ordnung gelaſſen haben: indeſſen ſo iſts doch ein ſolcher ſtand
der kirchen/ welchen wir nicht loben/ aber ſo lang es GOtt noch alſo laͤſſet/
dulden muͤſſen. Wo aber 3. die ſache dahin kommet/ daß ein ſtand allein/ ſon-
derlich der prediger (und zwahr als jure ſuo, dem es amtswegen austruͤcklich
zukomme/ und der anderer cenſur nicht unterworffen) ſich der gewalt in der
kirchen anmaſſet/ da iſts alsdenn ein ſolcher zuſtand/ der nicht nur nicht zu lo-
ben/ ſondern auch nicht zu dulden/ ja ſolche unrechtmaͤßige gewalt/ die ſich die
Cleriſey nimmet/ das rechte Pabſtthum und Anti-Chriſtenthum iſt/ dabey
auch die wahrheit nicht lange erhalten werden kan. Dieſes iſt die ſumma
deſſen/ was ich von dieſer materia halte und glaube: auch mich nicht erſt aus
dieſer veranlaſſung alſo declarire/ ſondern alles bereits in meinen vorigen
ſchrifften bezeuget habe. Wo man nun dieſes zuſammen nimmet/ ſo wird
ſich die geringſte contradiction in meinen ſchrifften nicht finden. Jn der an-
gefuͤhrten geſchriebenen antwort/ entſchuldige ich die ſteller der. F. Conc. daß
ſo viel ich finde/ in dero verfaſſung der dritte ſtand ausdruͤcklich nicht ſeye mit
befraget worden; bekenne aber/ daß es ordentlicher gethan wuͤrde geweſen
ſeyn/ wo ſolches geſchehen waͤre: nur ſage ich/ daß ſolches das gantze werck
nicht anti-Chriſtiſch mache/ und alſo zu demjenigen ſtand gehoͤre/ deſſen ver-
faſſung ich nicht lobe/ aber dulde. Wie ich auch noch darbey bleibe: Und wo
ein prediger damit nicht zufrieden ſeyn wolte/ ſo wuͤrde fragen/ ob er ſeinen
beruff (bey dem nur an den wenigſten orten der gemeine ſo viel recht/ als
ihr zukommt/ gegoͤnnet wird) vor rechtmaͤßig und goͤttlich erkenne. Erkennt
er ihn nicht davor/ ſo weiß nicht/ wie er mit gutem gewiſſen dabey bleiben/ und
das amt verwalten koͤnne: Erkennet er ihn aber vor guͤltig/ ſo muß ergeſtehen/
daß nicht alles auffhoͤre goͤttlich zu ſeyn/ wo doch in der art/ wie man darzu

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[263/0279] SECTIO LVI. haußſtand der gebrauch ſeiner rechte entzogen bleibet/ ſo beklage ich zwahr ſolche unordnung/ und zeige deroſelben ſchaden/ doch halte ich deswegen un- ſere kirche noch nicht vor Babel/ noch anti-chriſtiſch: indem nicht alle abwei- chung von der ordnung Chriſti gleich das Anti-Chriſtenthum machet: Und ſolches deswegen/ nicht nur weil bey den beyden ſtaͤnden/ die gleichwohl bey uns cooperiren muͤſſen/ keine ſolche gefahr iſt des zwangs der gewiſſen uñ irr- thume/ als da nur einer eine abſolute gewalt ſich nimmet/ ſondern weil auch keiner dieſer ſtaͤnde ſich die geiſtl. gewalt proprio jure zueignet/ wie in dem Pabſtthum die Cleriſey thut/ ſondern ſie erkennen alle das recht der gemein- de/ nur daß ſie dieſelbe von dero uͤbung aus andern vorwaͤnden abhalten/ und ſonderlich die obrigkeit das jenige was ſie thut/ auch im nahmen ihrer un- terthanen zu thun/ und ſie alſo zu repræſentiren vorgibet/ wie ſie in andern weltlichen dingen ſie gleichfals zuvertreten pfleget. Nun bezeuge nochmals/ daß ſolche repræſentation nicht billige/ ſondern darauff beſtehe/ man ſolte es bey der erſten ordnung gelaſſen haben: indeſſen ſo iſts doch ein ſolcher ſtand der kirchen/ welchen wir nicht loben/ aber ſo lang es GOtt noch alſo laͤſſet/ dulden muͤſſen. Wo aber 3. die ſache dahin kommet/ daß ein ſtand allein/ ſon- derlich der prediger (und zwahr als jure ſuo, dem es amtswegen austruͤcklich zukomme/ und der anderer cenſur nicht unterworffen) ſich der gewalt in der kirchen anmaſſet/ da iſts alsdenn ein ſolcher zuſtand/ der nicht nur nicht zu lo- ben/ ſondern auch nicht zu dulden/ ja ſolche unrechtmaͤßige gewalt/ die ſich die Cleriſey nimmet/ das rechte Pabſtthum und Anti-Chriſtenthum iſt/ dabey auch die wahrheit nicht lange erhalten werden kan. Dieſes iſt die ſumma deſſen/ was ich von dieſer materia halte und glaube: auch mich nicht erſt aus dieſer veranlaſſung alſo declarire/ ſondern alles bereits in meinen vorigen ſchrifften bezeuget habe. Wo man nun dieſes zuſammen nimmet/ ſo wird ſich die geringſte contradiction in meinen ſchrifften nicht finden. Jn der an- gefuͤhrten geſchriebenen antwort/ entſchuldige ich die ſteller der. F. Conc. daß ſo viel ich finde/ in dero verfaſſung der dritte ſtand ausdruͤcklich nicht ſeye mit befraget worden; bekenne aber/ daß es ordentlicher gethan wuͤrde geweſen ſeyn/ wo ſolches geſchehen waͤre: nur ſage ich/ daß ſolches das gantze werck nicht anti-Chriſtiſch mache/ und alſo zu demjenigen ſtand gehoͤre/ deſſen ver- faſſung ich nicht lobe/ aber dulde. Wie ich auch noch darbey bleibe: Und wo ein prediger damit nicht zufrieden ſeyn wolte/ ſo wuͤrde fragen/ ob er ſeinen beruff (bey dem nur an den wenigſten orten der gemeine ſo viel recht/ als ihr zukommt/ gegoͤnnet wird) vor rechtmaͤßig und goͤttlich erkenne. Erkennt er ihn nicht davor/ ſo weiß nicht/ wie er mit gutem gewiſſen dabey bleiben/ und das amt verwalten koͤnne: Erkennet er ihn aber vor guͤltig/ ſo muß ergeſtehen/ daß nicht alles auffhoͤre goͤttlich zu ſeyn/ wo doch in der art/ wie man darzu ge-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/279>, abgerufen am 25.11.2024.