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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
auch sothaner sorge zu entschütten oder davon zu befreyen. Jst es nun/ wie
ich hoffe/ daß es allein ein mißverstand gewesen/ so werde durch den bericht
davon hertzlich erqvicket/ und GOtt/ der ihn gnädig behütet/ meiner aber
auch/ daß nicht eine neue affliction in meiner seele leiden müste/ geschonet ha-
be/ vor und mit ihm zu preisen auffgemuntert werden. Weil aber doch sol-
ches gerücht vermuthlich einen anfang von nicht verstandenen reden muß ge-
nommen haben/ würde die untersuchung der gelegenheit/ daher es enstanden/
etwa auch zu künfftiger mehrer behutsamkeit dienen können. Solte aber ü-
ber vermuthen derselbe in gedachtem articul gegen unsre lehr einen scrupul
gefasset haben/ so mir zwahr hertzlich leid wäre/ und mich etwas desjenigen/
wovon vormalen über Ephes. 3/ 17. in schreiben einige mal unter uns con-
feri
ret worden/ erinnerte/ wolte um GOttes willen gebeten haben/ die sache
in der furcht des HErrn/ und mit dessen gläubiger anruffung/ reiflicher zu ü-
berlegen/ und unsrer kirchen lehr mit göttlicher schrifft treulich zu vergleichen/
da ich mich versichern will/ daß nicht fehlen könte/ daß er nicht GOtt vor die
unsrer kirche nach seiner barmhertzigkeit anvertraute wahrheit auffs neue zu
dancken ursach finde. Hiemit zwahr sehe ich nicht auff die meinung vieler
eusserlicher glieder unsrer kirchen/ welche freylich aus eigner persvasion und
besorglich mancher prediger ungnugsamen vortrag sich von der art unsrer
rechtfertigung dergleichen gedancken machen/ welche ich nimmermehr vor un-
sre lehr/ ob sie schon zuweilen einerley wort mit uns führen/ erkennen kan/
vielmehr sie vor eine gottlose lehr achte; sondern wo ich unsrer lehr gedencke/
verstehe ich sie/ wie sie in unsern recht eingesehenen Symbol. büchern schrifft-
lich und mündlich getrieben wird. Diese achte ich vor eine solche göttliche wahr-
heit/ daß man mit derselben art der rechtfertigung/ die solcher lehr gemäß ist/
getrost vor GOttes heiligen angesicht erscheinen darff/ und ihm vor die offen-
bahrung solcher wahrheit billig unabläßigen danck zu sagen hat. Es ist eine
lehre/ welche 1. GOttes heil. wort allerdings gemäß. 2. Darinnen die gött-
liche barmhertzigkeit und gerechtigkeit in einem anmuthigen temperament
neben einander stehen. 3. Bleibet GOtt dem HErrn alle ehre/ daß wir von
ihm die gerechtigkeit und seligkeit als ein blosses gnaden-geschenck erlangen/
ohne daß einige tugend als tugend vor göttlichem gericht dazu etwas zu thun
angesehen würde/ ob wol nichts destoweniger göttliche ordnung stehen blei-
bet/ nach dero es hinwieder mit seiner heiligkeit sich nicht reimen würde/ de-
nenjenigen die gerechtigkeit und seligkeit zu schencken/ die sich nicht von ihm
zugleich zu andern menschen machen lassen/ ob wol dieses nachmals nicht eine
ursach/ sondern stücke der seligkeit ist. 4. Jsts auch eine lehre/ die/ wo sie
recht gründlich gefast und vorgetragen wird/ so wol geängsteten gewissen den
nöthigen trost gibet/ als auch alle fleischliche sicherheit kräfftig ausschliesset/

und

Das erſte Capitel.
auch ſothaner ſorge zu entſchuͤtten oder davon zu befreyen. Jſt es nun/ wie
ich hoffe/ daß es allein ein mißverſtand geweſen/ ſo werde durch den bericht
davon hertzlich erqvicket/ und GOtt/ der ihn gnaͤdig behuͤtet/ meiner aber
auch/ daß nicht eine neue affliction in meiner ſeele leiden muͤſte/ geſchonet ha-
be/ vor und mit ihm zu preiſen auffgemuntert werden. Weil aber doch ſol-
ches geruͤcht vermuthlich einen anfang von nicht verſtandenen reden muß ge-
nommen haben/ wuͤrde die unterſuchung der gelegenheit/ daher es enſtanden/
etwa auch zu kuͤnfftiger mehrer behutſamkeit dienen koͤnnen. Solte aber uͤ-
ber vermuthen derſelbe in gedachtem articul gegen unſre lehr einen ſcrupul
gefaſſet haben/ ſo mir zwahr hertzlich leid waͤre/ und mich etwas desjenigen/
wovon vormalen uͤber Epheſ. 3/ 17. in ſchreiben einige mal unter uns con-
feri
ret worden/ erinnerte/ wolte um GOttes willen gebeten haben/ die ſache
in der furcht des HErrn/ und mit deſſen glaͤubiger anruffung/ reiflicher zu uͤ-
berlegen/ und unſrer kirchen lehr mit goͤttlicher ſchrifft treulich zu vergleichen/
da ich mich verſichern will/ daß nicht fehlen koͤnte/ daß er nicht GOtt vor die
unſrer kirche nach ſeiner barmhertzigkeit anvertraute wahrheit auffs neue zu
dancken urſach finde. Hiemit zwahr ſehe ich nicht auff die meinung vieler
euſſerlicher glieder unſrer kirchen/ welche freylich aus eigner perſvaſion und
beſorglich mancher prediger ungnugſamen vortrag ſich von der art unſrer
rechtfertigung dergleichen gedancken machen/ welche ich nimmermehr vor un-
ſre lehr/ ob ſie ſchon zuweilen einerley wort mit uns fuͤhren/ erkennen kan/
vielmehr ſie vor eine gottloſe lehr achte; ſondern wo ich unſrer lehr gedencke/
verſtehe ich ſie/ wie ſie in unſern recht eingeſehenen Symbol. buͤchern ſchrifft-
lich uñ muͤndlich getrieben wird. Dieſe achte ich vor eine ſolche goͤttliche wahr-
heit/ daß man mit derſelben art der rechtfertigung/ die ſolcher lehr gemaͤß iſt/
getroſt vor GOttes heiligen angeſicht erſcheinen darff/ und ihm vor die offen-
bahrung ſolcher wahrheit billig unablaͤßigen danck zu ſagen hat. Es iſt eine
lehre/ welche 1. GOttes heil. wort allerdings gemaͤß. 2. Darinnen die goͤtt-
liche barmhertzigkeit und gerechtigkeit in einem anmuthigen temperament
neben einander ſtehen. 3. Bleibet GOtt dem HErrn alle ehre/ daß wir von
ihm die gerechtigkeit und ſeligkeit als ein bloſſes gnaden-geſchenck erlangen/
ohne daß einige tugend als tugend vor goͤttlichem gericht dazu etwas zu thun
angeſehen wuͤrde/ ob wol nichts deſtoweniger goͤttliche ordnung ſtehen blei-
bet/ nach dero es hinwieder mit ſeiner heiligkeit ſich nicht reimen wuͤrde/ de-
nenjenigen die gerechtigkeit und ſeligkeit zu ſchencken/ die ſich nicht von ihm
zugleich zu andern menſchen machen laſſen/ ob wol dieſes nachmals nicht eine
urſach/ ſondern ſtuͤcke der ſeligkeit iſt. 4. Jſts auch eine lehre/ die/ wo ſie
recht gruͤndlich gefaſt und vorgetragen wird/ ſo wol geaͤngſteten gewiſſen den
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[184/0200] Das erſte Capitel. auch ſothaner ſorge zu entſchuͤtten oder davon zu befreyen. Jſt es nun/ wie ich hoffe/ daß es allein ein mißverſtand geweſen/ ſo werde durch den bericht davon hertzlich erqvicket/ und GOtt/ der ihn gnaͤdig behuͤtet/ meiner aber auch/ daß nicht eine neue affliction in meiner ſeele leiden muͤſte/ geſchonet ha- be/ vor und mit ihm zu preiſen auffgemuntert werden. Weil aber doch ſol- ches geruͤcht vermuthlich einen anfang von nicht verſtandenen reden muß ge- nommen haben/ wuͤrde die unterſuchung der gelegenheit/ daher es enſtanden/ etwa auch zu kuͤnfftiger mehrer behutſamkeit dienen koͤnnen. Solte aber uͤ- ber vermuthen derſelbe in gedachtem articul gegen unſre lehr einen ſcrupul gefaſſet haben/ ſo mir zwahr hertzlich leid waͤre/ und mich etwas desjenigen/ wovon vormalen uͤber Epheſ. 3/ 17. in ſchreiben einige mal unter uns con- feriret worden/ erinnerte/ wolte um GOttes willen gebeten haben/ die ſache in der furcht des HErrn/ und mit deſſen glaͤubiger anruffung/ reiflicher zu uͤ- berlegen/ und unſrer kirchen lehr mit goͤttlicher ſchrifft treulich zu vergleichen/ da ich mich verſichern will/ daß nicht fehlen koͤnte/ daß er nicht GOtt vor die unſrer kirche nach ſeiner barmhertzigkeit anvertraute wahrheit auffs neue zu dancken urſach finde. Hiemit zwahr ſehe ich nicht auff die meinung vieler euſſerlicher glieder unſrer kirchen/ welche freylich aus eigner perſvaſion und beſorglich mancher prediger ungnugſamen vortrag ſich von der art unſrer rechtfertigung dergleichen gedancken machen/ welche ich nimmermehr vor un- ſre lehr/ ob ſie ſchon zuweilen einerley wort mit uns fuͤhren/ erkennen kan/ vielmehr ſie vor eine gottloſe lehr achte; ſondern wo ich unſrer lehr gedencke/ verſtehe ich ſie/ wie ſie in unſern recht eingeſehenen Symbol. buͤchern ſchrifft- lich uñ muͤndlich getrieben wird. Dieſe achte ich vor eine ſolche goͤttliche wahr- heit/ daß man mit derſelben art der rechtfertigung/ die ſolcher lehr gemaͤß iſt/ getroſt vor GOttes heiligen angeſicht erſcheinen darff/ und ihm vor die offen- bahrung ſolcher wahrheit billig unablaͤßigen danck zu ſagen hat. Es iſt eine lehre/ welche 1. GOttes heil. wort allerdings gemaͤß. 2. Darinnen die goͤtt- liche barmhertzigkeit und gerechtigkeit in einem anmuthigen temperament neben einander ſtehen. 3. Bleibet GOtt dem HErrn alle ehre/ daß wir von ihm die gerechtigkeit und ſeligkeit als ein bloſſes gnaden-geſchenck erlangen/ ohne daß einige tugend als tugend vor goͤttlichem gericht dazu etwas zu thun angeſehen wuͤrde/ ob wol nichts deſtoweniger goͤttliche ordnung ſtehen blei- bet/ nach dero es hinwieder mit ſeiner heiligkeit ſich nicht reimen wuͤrde/ de- nenjenigen die gerechtigkeit und ſeligkeit zu ſchencken/ die ſich nicht von ihm zugleich zu andern menſchen machen laſſen/ ob wol dieſes nachmals nicht eine urſach/ ſondern ſtuͤcke der ſeligkeit iſt. 4. Jſts auch eine lehre/ die/ wo ſie recht gruͤndlich gefaſt und vorgetragen wird/ ſo wol geaͤngſteten gewiſſen den noͤthigen troſt gibet/ als auch alle fleiſchliche ſicherheit kraͤfftig ausſchlieſſet/ und

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/200>, abgerufen am 21.11.2024.