Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.ARTIC. VI. SECTIO XXI. darinnen Richter ist: der diener aber bleibt dieser ausspruch in seinem amt un-terworffen/ und muß demselben folgen/ er seye dann offenbahrlich und unwie dersprechlich wider GOTT. Wie wir auch von unserm weisesten Heyland JESU uns nicht einzubilden haben/ daß er die cognition und macht/ zu dem genuß der kirchengüter zulassen oder nicht zulassen/ solte in einer gemeinde ei- nem mann oder auch einem ordini überlassen haben/ da wir doch wissen/ daß wir Prediger auch menschen/ unsren affecten und schwachheiten unterworffen sind/ daher einige aus ungnugsam gegründetem eiffer/ andere aus boßheit/ möchten leute von der gemeinschafft der heiligen güter zu ihrem nachtheil aus- schliessen/ denen dieselbe doch gebührte. Welches gewißlich der weisheit un- sers Oberhaupts nicht gemäß wäre/ indem dadurch seine gemeinde und dero glieder dem eigensinn/ oder auch wol boßhafftiger regiersucht/ in eine denselben ge- fährliche dienstbarkeit gegeben würden. Wie nicht zu läugnen stehet/ daß es niemal in der kirchen/ nicht nur in dem Papstthum/ sondern auch unsrer kirchen/ an exempeln gemanglet habe solcher leute/ welche auff beyderley art sich ihrer macht entweder aus eigentlicher boßheit/ wann sie feindschafft und rach haben ausüben wollen/ oder aus eigensinnigem eiffer mißbrauchet haben. Wel- ches die weisheit selbs freylich wol vorgesehen/ und also ihrer wenigen über ih- rer viele keine dergleichen dem mißbrauch so leicht unterworffene gewalt gegeben haben kan. Hingegen ist die von derselben intendirte ordnung/ daß die kirche Richterin über alle ihre glieder bleibe/ dergleichen mißbrauch nicht unterworffen. Um solcher ursach und macht der kirchen willen/ ob wol die Apostel aus ihrem vielfältigen vorzug manches zu thun gewalt gehabt haben/ was uns Predigern heut zu tag nicht zugestanden werden kan/ sondern weil sie aus unmittelbahrem trieb und liecht des Heil. Geistes in ihrem amt handelten/ und nicht fehlen kon- ten/ so sehen wir dannoch/ daß der liebe Apostel 1. Cor. 5. und 2. Cor. 2. ob er wol nach Apostolischer macht von dem blutschänder ihn auszuschliessen und wie- derum anzunehmen geschlossen/ dannoch die versamlung der kirchen darzu erfor- dert hat/ daß sie ihre macht dabey brauchten. 6. Die kirche hat nun ihre gewalt zu üben selbs oder durch darzu verord- nete. Die erste art wäre wol die beste/ und der ersten kirchen am gemässesten/ daß in wichtigen fällen/ und die ihre schwehrigkeit haben/ die gesamte gemein- de zusammen erfordert würde/ und über ihren angeschuldigten bruder oder schwester richtete/ ob sie ihn nach dem jenigen/ was über ihn geklaget/ und ob er zu dem genuß der güter der seligkeit zu lassen seye oder nicht/ gezweiffelt wird/ aus dem/ was sie alle von ihm wissen/ noch vor einem bruder und al- so der gemeinschafft fähig erkennen wollen oder nicht: bey welchem ausspruch ein Christlicher Prediger am sichersten beruhen könte und solte. Wo aber sol- che art nicht üblich/ noch in übung leicht gebracht werden kan/ so muß doch die übung i i 3
ARTIC. VI. SECTIO XXI. darinnen Richter iſt: der diener aber bleibt dieſer ausſpruch in ſeinem amt un-terworffen/ und muß demſelben folgen/ er ſeye dann offenbahrlich und unwie derſprechlich wider GOTT. Wie wir auch von unſerm weiſeſten Heyland JESU uns nicht einzubilden haben/ daß er die cognition und macht/ zu dem genuß der kirchenguͤter zulaſſen oder nicht zulaſſen/ ſolte in einer gemeinde ei- nem mann oder auch einem ordini uͤberlaſſen haben/ da wir doch wiſſen/ daß wir Prediger auch menſchen/ unſren affecten und ſchwachheiten unterworffen ſind/ daher einige aus ungnugſam gegruͤndetem eiffer/ andere aus boßheit/ moͤchten leute von der gemeinſchafft der heiligen guͤter zu ihrem nachtheil aus- ſchlieſſen/ denen dieſelbe doch gebuͤhrte. Welches gewißlich der weisheit un- ſers Oberhaupts nicht gemaͤß waͤre/ indem dadurch ſeine gemeinde und dero glieder dem eigenſinn/ oder auch wol boßhafftiger regierſucht/ in eine denſelben ge- faͤhrliche dienſtbarkeit gegeben wuͤrden. Wie nicht zu laͤugnen ſtehet/ daß es niemal in der kirchen/ nicht nur in dem Papſtthum/ ſondern auch unſrer kirchen/ an exempeln gemanglet habe ſolcher leute/ welche auff beyderley art ſich ihrer macht entweder aus eigentlicher boßheit/ wann ſie feindſchafft und rach haben ausuͤben wollen/ oder aus eigenſinnigem eiffer mißbrauchet haben. Wel- ches die weisheit ſelbs freylich wol vorgeſehen/ und alſo ihrer wenigen uͤber ih- rer viele keine dergleichen dem mißbrauch ſo leicht unterworffene gewalt gegeben haben kan. Hingegen iſt die von derſelben intendirte ordnung/ daß die kirche Richterin uͤber alle ihre glieder bleibe/ dergleichen mißbrauch nicht unterworffen. Um ſolcher urſach und macht der kirchen willen/ ob wol die Apoſtel aus ihrem vielfaͤltigen vorzug manches zu thun gewalt gehabt haben/ was uns Predigern heut zu tag nicht zugeſtanden werden kan/ ſondern weil ſie aus unmittelbahrem trieb und liecht des Heil. Geiſtes in ihrem amt handelten/ und nicht fehlen kon- ten/ ſo ſehen wir dannoch/ daß der liebe Apoſtel 1. Cor. 5. und 2. Cor. 2. ob er wol nach Apoſtoliſcher macht von dem blutſchaͤnder ihn auszuſchlieſſen und wie- derum anzunehmen geſchloſſen/ dannoch die verſamlung der kirchen darzu erfor- dert hat/ daß ſie ihre macht dabey brauchten. 6. Die kirche hat nun ihre gewalt zu uͤben ſelbs oder durch darzu verord- nete. Die erſte art waͤre wol die beſte/ und der erſten kirchen am gemaͤſſeſten/ daß in wichtigen faͤllen/ und die ihre ſchwehrigkeit haben/ die geſamte gemein- de zuſammen erfordert wuͤrde/ und uͤber ihren angeſchuldigten bruder oder ſchweſter richtete/ ob ſie ihn nach dem jenigen/ was uͤber ihn geklaget/ und ob er zu dem genuß der guͤter der ſeligkeit zu laſſen ſeye oder nicht/ gezweiffelt wird/ aus dem/ was ſie alle von ihm wiſſen/ noch vor einem bruder und al- ſo der gemeinſchafft faͤhig erkennen wollen oder nicht: bey welchem ausſpruch ein Chriſtlicher Prediger am ſicherſten beruhen koͤnte und ſolte. Wo aber ſol- che art nicht uͤblich/ noch in uͤbung leicht gebracht werden kan/ ſo muß doch die uͤbung i i 3
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ARTIC. VI. SECTIO XXI.
darinnen Richter iſt: der diener aber bleibt dieſer ausſpruch in ſeinem amt un-
terworffen/ und muß demſelben folgen/ er ſeye dann offenbahrlich und unwie
derſprechlich wider GOTT. Wie wir auch von unſerm weiſeſten Heyland
JESU uns nicht einzubilden haben/ daß er die cognition und macht/ zu dem
genuß der kirchenguͤter zulaſſen oder nicht zulaſſen/ ſolte in einer gemeinde ei-
nem mann oder auch einem ordini uͤberlaſſen haben/ da wir doch wiſſen/ daß
wir Prediger auch menſchen/ unſren affecten und ſchwachheiten unterworffen
ſind/ daher einige aus ungnugſam gegruͤndetem eiffer/ andere aus boßheit/
moͤchten leute von der gemeinſchafft der heiligen guͤter zu ihrem nachtheil aus-
ſchlieſſen/ denen dieſelbe doch gebuͤhrte. Welches gewißlich der weisheit un-
ſers Oberhaupts nicht gemaͤß waͤre/ indem dadurch ſeine gemeinde und dero
glieder dem eigenſinn/ oder auch wol boßhafftiger regierſucht/ in eine denſelben ge-
faͤhrliche dienſtbarkeit gegeben wuͤrden. Wie nicht zu laͤugnen ſtehet/ daß es
niemal in der kirchen/ nicht nur in dem Papſtthum/ ſondern auch unſrer kirchen/
an exempeln gemanglet habe ſolcher leute/ welche auff beyderley art ſich ihrer
macht entweder aus eigentlicher boßheit/ wann ſie feindſchafft und rach haben
ausuͤben wollen/ oder aus eigenſinnigem eiffer mißbrauchet haben. Wel-
ches die weisheit ſelbs freylich wol vorgeſehen/ und alſo ihrer wenigen uͤber ih-
rer viele keine dergleichen dem mißbrauch ſo leicht unterworffene gewalt gegeben
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Richterin uͤber alle ihre glieder bleibe/ dergleichen mißbrauch nicht unterworffen.
Um ſolcher urſach und macht der kirchen willen/ ob wol die Apoſtel aus ihrem
vielfaͤltigen vorzug manches zu thun gewalt gehabt haben/ was uns Predigern
heut zu tag nicht zugeſtanden werden kan/ ſondern weil ſie aus unmittelbahrem
trieb und liecht des Heil. Geiſtes in ihrem amt handelten/ und nicht fehlen kon-
ten/ ſo ſehen wir dannoch/ daß der liebe Apoſtel 1. Cor. 5. und 2. Cor. 2. ob er
wol nach Apoſtoliſcher macht von dem blutſchaͤnder ihn auszuſchlieſſen und wie-
derum anzunehmen geſchloſſen/ dannoch die verſamlung der kirchen darzu erfor-
dert hat/ daß ſie ihre macht dabey brauchten.
6. Die kirche hat nun ihre gewalt zu uͤben ſelbs oder durch darzu verord-
nete. Die erſte art waͤre wol die beſte/ und der erſten kirchen am gemaͤſſeſten/
daß in wichtigen faͤllen/ und die ihre ſchwehrigkeit haben/ die geſamte gemein-
de zuſammen erfordert wuͤrde/ und uͤber ihren angeſchuldigten bruder oder
ſchweſter richtete/ ob ſie ihn nach dem jenigen/ was uͤber ihn geklaget/ und
ob er zu dem genuß der guͤter der ſeligkeit zu laſſen ſeye oder nicht/ gezweiffelt
wird/ aus dem/ was ſie alle von ihm wiſſen/ noch vor einem bruder und al-
ſo der gemeinſchafft faͤhig erkennen wollen oder nicht: bey welchem ausſpruch
ein Chriſtlicher Prediger am ſicherſten beruhen koͤnte und ſolte. Wo aber ſol-
che art nicht uͤblich/ noch in uͤbung leicht gebracht werden kan/ ſo muß doch die
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