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[Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749.

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seyn verdienet, das ganze Leben durch ein Raub der Bosheit,
ein Spiel ungerechter Verfolgungen sey? daß Unschuld und
Recht verdammet werde? daß die Tugend unter Hunger und
Blösse und Verachtung seufze, und oft durch die Hand grau-
samer Henker und auf den Befehl noch grausamer Tyrannen
in Schmerzen und Foltern ihren letzten Lohn finde? und daß
hergegen Treulosigkeit und Mordsucht, indem sie die Lust und
die Vortheile dieses Lebens an sich reissen, gar nicht inne wer-
den, was es auf sich habe, von dem, was ewig recht ist, abzu-
weichen, und sich wider die Gesetze der allgemeinen Regierung
aufzulehnen? -- Ebenmaaß und Uebereinstimmung ver-
schwinden hier; und mein Begriff von einer herrschenden
Ordnung verwirret sich gänzlich. --

Nein! es ist nicht möglich, daß die Welt also regieret
werde, da sie einmal regieret wird. Es muß nothwendig
ein besseres Verhältniß der Dinge da seyn, sollte ich dieß auch
in seiner völligen Klarheit ausser dem Bezirk dieses Lebens zu
suchen haben. Es muß eine Zeit seyn, da ein jeder das er-
hält, was ihm zukömmt; da alles, was hier verrückt, und an
dem unrechten Ort zu stehen scheinet, sich in sein gehöriges
Geschick, und in die ihm gebührende Stelle hinsenket, da die
allerangemessenste Erstattung in einer unendlichen Verschie-
denheit von Graden, von einem äussersten Ende bis zu dem
andern, geschehen, und alles in der vollkommensten Propor-
tion hergestellet werden wird. Es ist hier eine Art von
Disharmonie, die unstreitig ein Fehler seyn würde, wenn sie
sich nicht hernach in eine vollkommene Zusammenstimmung
auflösete.

Auf die Art öffnet sich mir eine Aussicht in die Zukunft,
welche meiner bisher gleichsam eingeschlossenen und umwölk-
ten Sele so viel mehr Lust und Freyheit giebet, mir von allen
jenen finstern Stellen in dem Plan, nach welchem die Welt
regieret wird, eine vollständige Aufklärung verspricht, und

mir
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ſeyn verdienet, das ganze Leben durch ein Raub der Bosheit,
ein Spiel ungerechter Verfolgungen ſey? daß Unſchuld und
Recht verdammet werde? daß die Tugend unter Hunger und
Bloͤſſe und Verachtung ſeufze, und oft durch die Hand grau-
ſamer Henker und auf den Befehl noch grauſamer Tyrannen
in Schmerzen und Foltern ihren letzten Lohn finde? und daß
hergegen Treuloſigkeit und Mordſucht, indem ſie die Luſt und
die Vortheile dieſes Lebens an ſich reiſſen, gar nicht inne wer-
den, was es auf ſich habe, von dem, was ewig recht iſt, abzu-
weichen, und ſich wider die Geſetze der allgemeinen Regierung
aufzulehnen? — Ebenmaaß und Uebereinſtimmung ver-
ſchwinden hier; und mein Begriff von einer herrſchenden
Ordnung verwirret ſich gaͤnzlich. —

Nein! es iſt nicht moͤglich, daß die Welt alſo regieret
werde, da ſie einmal regieret wird. Es muß nothwendig
ein beſſeres Verhaͤltniß der Dinge da ſeyn, ſollte ich dieß auch
in ſeiner voͤlligen Klarheit auſſer dem Bezirk dieſes Lebens zu
ſuchen haben. Es muß eine Zeit ſeyn, da ein jeder das er-
haͤlt, was ihm zukoͤmmt; da alles, was hier verruͤckt, und an
dem unrechten Ort zu ſtehen ſcheinet, ſich in ſein gehoͤriges
Geſchick, und in die ihm gebuͤhrende Stelle hinſenket, da die
allerangemeſſenſte Erſtattung in einer unendlichen Verſchie-
denheit von Graden, von einem aͤuſſerſten Ende bis zu dem
andern, geſchehen, und alles in der vollkommenſten Propor-
tion hergeſtellet werden wird. Es iſt hier eine Art von
Disharmonie, die unſtreitig ein Fehler ſeyn wuͤrde, wenn ſie
ſich nicht hernach in eine vollkommene Zuſammenſtimmung
aufloͤſete.

Auf die Art oͤffnet ſich mir eine Ausſicht in die Zukunft,
welche meiner bisher gleichſam eingeſchloſſenen und umwoͤlk-
ten Sele ſo viel mehr Luſt und Freyheit giebet, mir von allen
jenen finſtern Stellen in dem Plan, nach welchem die Welt
regieret wird, eine vollſtaͤndige Aufklaͤrung verſpricht, und

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[21/0031] ſeyn verdienet, das ganze Leben durch ein Raub der Bosheit, ein Spiel ungerechter Verfolgungen ſey? daß Unſchuld und Recht verdammet werde? daß die Tugend unter Hunger und Bloͤſſe und Verachtung ſeufze, und oft durch die Hand grau- ſamer Henker und auf den Befehl noch grauſamer Tyrannen in Schmerzen und Foltern ihren letzten Lohn finde? und daß hergegen Treuloſigkeit und Mordſucht, indem ſie die Luſt und die Vortheile dieſes Lebens an ſich reiſſen, gar nicht inne wer- den, was es auf ſich habe, von dem, was ewig recht iſt, abzu- weichen, und ſich wider die Geſetze der allgemeinen Regierung aufzulehnen? — Ebenmaaß und Uebereinſtimmung ver- ſchwinden hier; und mein Begriff von einer herrſchenden Ordnung verwirret ſich gaͤnzlich. — Nein! es iſt nicht moͤglich, daß die Welt alſo regieret werde, da ſie einmal regieret wird. Es muß nothwendig ein beſſeres Verhaͤltniß der Dinge da ſeyn, ſollte ich dieß auch in ſeiner voͤlligen Klarheit auſſer dem Bezirk dieſes Lebens zu ſuchen haben. Es muß eine Zeit ſeyn, da ein jeder das er- haͤlt, was ihm zukoͤmmt; da alles, was hier verruͤckt, und an dem unrechten Ort zu ſtehen ſcheinet, ſich in ſein gehoͤriges Geſchick, und in die ihm gebuͤhrende Stelle hinſenket, da die allerangemeſſenſte Erſtattung in einer unendlichen Verſchie- denheit von Graden, von einem aͤuſſerſten Ende bis zu dem andern, geſchehen, und alles in der vollkommenſten Propor- tion hergeſtellet werden wird. Es iſt hier eine Art von Disharmonie, die unſtreitig ein Fehler ſeyn wuͤrde, wenn ſie ſich nicht hernach in eine vollkommene Zuſammenſtimmung aufloͤſete. Auf die Art oͤffnet ſich mir eine Ausſicht in die Zukunft, welche meiner bisher gleichſam eingeſchloſſenen und umwoͤlk- ten Sele ſo viel mehr Luſt und Freyheit giebet, mir von allen jenen finſtern Stellen in dem Plan, nach welchem die Welt regieret wird, eine vollſtaͤndige Aufklaͤrung verſpricht, und mir C 3

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Zitationshilfe: [Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spalding_bestimmung_1749/31>, abgerufen am 24.11.2024.