Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Soden, Julius von: Alethia. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

eine höchst leichtsinnige, karakterlose Nazion
kann im Schwindel der ersten Momente die
Tugend durch einen ungerechten Tribut ent-
weihen. Aber auch sie wird bald erröthend
den Trauerflohr zerreißen. -- Und welches
menschliche Jnstitut kann wohl gegen Ent-
heiligung undurchdringlich gepanzert wer-
den? -- Sollten wir deswegen alle Hebel
zur Tugend wegwerfen?

Als Franklin starb, trauerte der Ame-
rikanische Kongreß und der Französische Na-
zional-Konvent. Wenn irgend ein Glied der
zahllosen Menge der Regenten-Familien stirbt,
sey es auch ein Kind der Wiege, trauern die
Diener aller Regenten um ein Wesen, dessen
Existenz oft kaum der Verfasser des genealo-
gischen Handbuchs kennt! -- O Tugend! die
ich anbete, und einzig anbete! O Sitten!



eine hoͤchſt leichtſinnige, karakterloſe Nazion
kann im Schwindel der erſten Momente die
Tugend durch einen ungerechten Tribut ent-
weihen. Aber auch ſie wird bald erroͤthend
den Trauerflohr zerreißen. — Und welches
menſchliche Jnſtitut kann wohl gegen Ent-
heiligung undurchdringlich gepanzert wer-
den? — Sollten wir deswegen alle Hebel
zur Tugend wegwerfen?

Als Franklin ſtarb, trauerte der Ame-
rikaniſche Kongreß und der Franzoͤſiſche Na-
zional-Konvent. Wenn irgend ein Glied der
zahlloſen Menge der Regenten-Familien ſtirbt,
ſey es auch ein Kind der Wiege, trauern die
Diener aller Regenten um ein Weſen, deſſen
Exiſtenz oft kaum der Verfaſſer des genealo-
giſchen Handbuchs kennt! — O Tugend! die
ich anbete, und einzig anbete! O Sitten!



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0047" n="35"/>
eine ho&#x0364;ch&#x017F;t leicht&#x017F;innige, karakterlo&#x017F;e Nazion<lb/>
kann im Schwindel der er&#x017F;ten Momente die<lb/>
Tugend durch einen ungerechten Tribut ent-<lb/>
weihen. Aber <hi rendition="#g">auch &#x017F;ie</hi> wird bald erro&#x0364;thend<lb/>
den Trauerflohr zerreißen. &#x2014; Und welches<lb/>
men&#x017F;chliche Jn&#x017F;titut kann wohl gegen Ent-<lb/>
heiligung undurchdringlich gepanzert wer-<lb/>
den? &#x2014; Sollten wir deswegen alle Hebel<lb/>
zur Tugend wegwerfen?</p><lb/>
        <p>Als <hi rendition="#g">Franklin</hi> &#x017F;tarb, trauerte der Ame-<lb/>
rikani&#x017F;che Kongreß und der Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Na-<lb/>
zional-Konvent. Wenn irgend ein Glied der<lb/>
zahllo&#x017F;en Menge der Regenten-Familien &#x017F;tirbt,<lb/>
&#x017F;ey es auch ein Kind der Wiege, trauern die<lb/>
Diener aller Regenten um ein We&#x017F;en, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Exi&#x017F;tenz oft kaum der Verfa&#x017F;&#x017F;er des genealo-<lb/>
gi&#x017F;chen Handbuchs kennt! &#x2014; O Tugend! die<lb/>
ich anbete, und einzig anbete! O Sitten!</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0047] eine hoͤchſt leichtſinnige, karakterloſe Nazion kann im Schwindel der erſten Momente die Tugend durch einen ungerechten Tribut ent- weihen. Aber auch ſie wird bald erroͤthend den Trauerflohr zerreißen. — Und welches menſchliche Jnſtitut kann wohl gegen Ent- heiligung undurchdringlich gepanzert wer- den? — Sollten wir deswegen alle Hebel zur Tugend wegwerfen? Als Franklin ſtarb, trauerte der Ame- rikaniſche Kongreß und der Franzoͤſiſche Na- zional-Konvent. Wenn irgend ein Glied der zahlloſen Menge der Regenten-Familien ſtirbt, ſey es auch ein Kind der Wiege, trauern die Diener aller Regenten um ein Weſen, deſſen Exiſtenz oft kaum der Verfaſſer des genealo- giſchen Handbuchs kennt! — O Tugend! die ich anbete, und einzig anbete! O Sitten!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/soden_alethia_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/soden_alethia_1796/47
Zitationshilfe: Soden, Julius von: Alethia. Leipzig, 1796, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/soden_alethia_1796/47>, abgerufen am 18.12.2024.