Wir haben eine scheußliche, schauerliche Allegorie, die lezte Reste der verweßten Hül- le, ein Gerippe gewählt. Wir haben da- mit das Unglük der Menschheit, die Furcht, den Abscheu des Todes erhöht.
Lukrez erinnert sehr richtig, daß diese Furcht vorzüglich daher rühre, weil der Mensch sich stets neben seiner Leiche stehen sieht. War es philosophisch einen solchen Jdeen- Gang zu begünstigen? Vom Tod, der nur Auflösung der momentaneen Hülle ist, gera- de nur ein einzelnes Bild, gerade nur das- jenige aus der Natur zu heben, was uns von seinem vollen Begriff eine theilweise und gerade die niederschlagendste Jdee vor die Seele stellt?
War es philosophisch richtig, den Tod d. h. die Abstreifung einer Hülle, mit all dem Be-
Wir haben eine ſcheußliche, ſchauerliche Allegorie, die lezte Reſte der verweßten Huͤl- le, ein Gerippe gewaͤhlt. Wir haben da- mit das Ungluͤk der Menſchheit, die Furcht, den Abſcheu des Todes erhoͤht.
Lukrez erinnert ſehr richtig, daß dieſe Furcht vorzuͤglich daher ruͤhre, weil der Menſch ſich ſtets neben ſeiner Leiche ſtehen ſieht. War es philoſophiſch einen ſolchen Jdeen- Gang zu beguͤnſtigen? Vom Tod, der nur Aufloͤſung der momentaneen Huͤlle iſt, gera- de nur ein einzelnes Bild, gerade nur das- jenige aus der Natur zu heben, was uns von ſeinem vollen Begriff eine theilweiſe und gerade die niederſchlagendſte Jdee vor die Seele ſtellt?
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Wir haben eine ſcheußliche, ſchauerliche
Allegorie, die lezte Reſte der verweßten Huͤl-
le, ein Gerippe gewaͤhlt. Wir haben da-
mit das Ungluͤk der Menſchheit, die Furcht,
den Abſcheu des Todes erhoͤht.
Lukrez erinnert ſehr richtig, daß dieſe
Furcht vorzuͤglich daher ruͤhre, weil der Menſch
ſich ſtets neben ſeiner Leiche ſtehen ſieht.
War es philoſophiſch einen ſolchen Jdeen-
Gang zu beguͤnſtigen? Vom Tod, der nur
Aufloͤſung der momentaneen Huͤlle iſt, gera-
de nur ein einzelnes Bild, gerade nur das-
jenige aus der Natur zu heben, was uns
von ſeinem vollen Begriff eine theilweiſe und
gerade die niederſchlagendſte Jdee vor die
Seele ſtellt?
War es philoſophiſch richtig, den Tod d.
h. die Abſtreifung einer Huͤlle, mit all dem Be-
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Soden, Julius von: Alethia. Leipzig, 1796, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/soden_alethia_1796/32>, abgerufen am 03.07.2024.
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