Simmel, Georg: Stefan George. Eine kunstphilosophische Studie. In: Neue Deutsche Rundschau (Freie Bühne) 12, 2 (1901), S. 207–215.der Leidenschaft und Zartheit, mit der er das Bild der Lebenswerthe jenseits der Liebe ausstattet. Denn damit erst wird der Künstler seine wirklich eigene Kraft und Vertiefung offenbaren, während alle erotischen Aeußerungen etwas Zufälliges haben: man weiß sozusagen nicht, wie viel von der Leistung man der Einheit und Tiefe des eigentlichen Jch und wieviel jener Erregung zuschreiben soll, die man als etwas Peripheres, halb und halb der aeußeren Welt zugehörig, empfindet. Zu diesen höchsten Stufen entwickelt die Lyrik Georges die Elemente etwa bis zum Jahr 95 in einer gewissen Sonderung. Seine Kunst wird von vornherein durch das Bestreben bezeichnet, ausschließlich als Kunst zu wirken. Während sonst die Endabsicht des Lyrikers in dem Gefühls- oder Vorstellungsinhalt zu liegen pflegt, zu dessen Darstellung und Erregung ihm die künstlerische Form als Mittel dient, - ist hier die grundsätzliche Wendung vollzogen: daß umgekehrt aller Jnhalt das bloße Mittel ist, um rein ästhetische Werthe zu bilden. Diese Wendung hat freilich Viele zu bloßem Formalismus verführt: die künstlerische Vollendung in der wohlklingenden Korrektheit von Reim und Rhythmus zu suchen. Jedes wirkliche Kunstwerk kann uns belehren, daß die Scheidung von Form und Jnhalt nur der verstandesmäßigen Analyse dient, während es selbst jenseits dieses Gegensatzes steht. Der ästhetische Genuß - weder mit dem, dem "Vorwurf" des Werkes korrespondirenden Gefühle noch mit der Freude an der bloß äußerlichen Harmonie der Form zusammenfallend - knüpft sich an die Einheit, der gegenüber diese Einzelmomente nur elementare Mittel sind. Je strenger die innere Logik des Kunstwerks ist, desto mehr offenbart sich diese innere Einheit in der Thatsache, daß jede leiseste Aenderung der sogenannten Form sogleich eine Aenderung des Ganzen, also auch des sogenannten Jnhaltes ist, und umgekehrt. Man kann garnicht denselben Gedanken oder dasselbe Gefühl auf zwei verschiedene Arten ausdrücken. Nur die oberflächliche Abstraktion, die statt des wirklichen, individuellen, genau umgrenzten Jnhalts den Allgemeinbegriff desselben setzt - wie es fast durchgehends Brauch ist - kann denselben Jnhalt mannigfaltigen Ausdrucksnuancirungen zusprechen. Liebe kann man freilich sehr verschieden ausdrücken; die Liebe aber, die die Trilogie der Leidenschaft darstellt, ist eben genau nur so ausdrückbar und würde mit jedem geänderten Wort irgend eine ihrer Nuancen ändern. Diese mit nichts vergleichbare Einheit des Kunstwerks erhebt sich also ebenso über die Zweiheit von Form und Jnhalt, wie die spezifisch-ästhetische Erregung über die primären Gefühle, die sich an jene bloßen Elemente des Kunstwerks knüpfen mögen. Die ersten Gedichte Georges, von denen man erfuhr, verriethen schon diese ausschließlich ästhetische Absicht: weder wollten sie außer dieser noch etwas "geben" - Gefühle oder Gedanken an und für sich - noch durch das leichte Spiel formalistischer Vollendung ergötzen; und durch diese beiden Jenseits unterschieden sie sich sogleich von der typischen Lyrik. Nur grade das erotische Thema bereitet ihm in diesen früheren Gedichten - von so großer Zartheit und Reinheit sie auch sind - hier und da noch einen Rückfall in die alte Art. Die prinzipielle Wendung wird erst in dem "Jahr der Seele" (1897) restlos verwirklicht. Der Jnhalt ist hier fast ausschließlich ein Verhältniß zwischen Mann und Weib. Aber die Distanz zu ihm ist gefunden, die ihm keinen andern Reiz, keine anders mitklingende Erregung gestattet, als dem Gegenstand eines Kunstwerks als solchem zukommt. Der Rohstoff des Gefühles ist so lange umgeschmolzen, bis er in sich der ästhetischen Formung keine Grenze mehr durch sein Fürsichsein setzt. Alle Kunst hat gegenüber dem lebendigen Dasein ihres Gegenstandes einen Zug von Resignation, sie versagt sich das Auskosten seiner Realität, um freilich seinem Jnhalt, dem Qualitativen an ihm, der Leidenschaft und Zartheit, mit der er das Bild der Lebenswerthe jenseits der Liebe ausstattet. Denn damit erst wird der Künstler seine wirklich eigene Kraft und Vertiefung offenbaren, während alle erotischen Aeußerungen etwas Zufälliges haben: man weiß sozusagen nicht, wie viel von der Leistung man der Einheit und Tiefe des eigentlichen Jch und wieviel jener Erregung zuschreiben soll, die man als etwas Peripheres, halb und halb der aeußeren Welt zugehörig, empfindet. Zu diesen höchsten Stufen entwickelt die Lyrik Georges die Elemente etwa bis zum Jahr 95 in einer gewissen Sonderung. Seine Kunst wird von vornherein durch das Bestreben bezeichnet, ausschließlich als Kunst zu wirken. Während sonst die Endabsicht des Lyrikers in dem Gefühls- oder Vorstellungsinhalt zu liegen pflegt, zu dessen Darstellung und Erregung ihm die künstlerische Form als Mittel dient, – ist hier die grundsätzliche Wendung vollzogen: daß umgekehrt aller Jnhalt das bloße Mittel ist, um rein ästhetische Werthe zu bilden. Diese Wendung hat freilich Viele zu bloßem Formalismus verführt: die künstlerische Vollendung in der wohlklingenden Korrektheit von Reim und Rhythmus zu suchen. Jedes wirkliche Kunstwerk kann uns belehren, daß die Scheidung von Form und Jnhalt nur der verstandesmäßigen Analyse dient, während es selbst jenseits dieses Gegensatzes steht. Der ästhetische Genuß – weder mit dem, dem „Vorwurf“ des Werkes korrespondirenden Gefühle noch mit der Freude an der bloß äußerlichen Harmonie der Form zusammenfallend – knüpft sich an die Einheit, der gegenüber diese Einzelmomente nur elementare Mittel sind. Je strenger die innere Logik des Kunstwerks ist, desto mehr offenbart sich diese innere Einheit in der Thatsache, daß jede leiseste Aenderung der sogenannten Form sogleich eine Aenderung des Ganzen, also auch des sogenannten Jnhaltes ist, und umgekehrt. Man kann garnicht denselben Gedanken oder dasselbe Gefühl auf zwei verschiedene Arten ausdrücken. Nur die oberflächliche Abstraktion, die statt des wirklichen, individuellen, genau umgrenzten Jnhalts den Allgemeinbegriff desselben setzt – wie es fast durchgehends Brauch ist – kann denselben Jnhalt mannigfaltigen Ausdrucksnuancirungen zusprechen. Liebe kann man freilich sehr verschieden ausdrücken; die Liebe aber, die die Trilogie der Leidenschaft darstellt, ist eben genau nur so ausdrückbar und würde mit jedem geänderten Wort irgend eine ihrer Nuancen ändern. Diese mit nichts vergleichbare Einheit des Kunstwerks erhebt sich also ebenso über die Zweiheit von Form und Jnhalt, wie die spezifisch-ästhetische Erregung über die primären Gefühle, die sich an jene bloßen Elemente des Kunstwerks knüpfen mögen. Die ersten Gedichte Georges, von denen man erfuhr, verriethen schon diese ausschließlich ästhetische Absicht: weder wollten sie außer dieser noch etwas „geben“ – Gefühle oder Gedanken an und für sich – noch durch das leichte Spiel formalistischer Vollendung ergötzen; und durch diese beiden Jenseits unterschieden sie sich sogleich von der typischen Lyrik. Nur grade das erotische Thema bereitet ihm in diesen früheren Gedichten – von so großer Zartheit und Reinheit sie auch sind – hier und da noch einen Rückfall in die alte Art. Die prinzipielle Wendung wird erst in dem „Jahr der Seele“ (1897) restlos verwirklicht. Der Jnhalt ist hier fast ausschließlich ein Verhältniß zwischen Mann und Weib. Aber die Distanz zu ihm ist gefunden, die ihm keinen andern Reiz, keine anders mitklingende Erregung gestattet, als dem Gegenstand eines Kunstwerks als solchem zukommt. Der Rohstoff des Gefühles ist so lange umgeschmolzen, bis er in sich der ästhetischen Formung keine Grenze mehr durch sein Fürsichsein setzt. Alle Kunst hat gegenüber dem lebendigen Dasein ihres Gegenstandes einen Zug von Resignation, sie versagt sich das Auskosten seiner Realität, um freilich seinem Jnhalt, dem Qualitativen an ihm, <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0003" n="208"/> der Leidenschaft und Zartheit, mit der er das Bild der Lebenswerthe jenseits der Liebe ausstattet. Denn damit erst wird der Künstler seine wirklich eigene Kraft und Vertiefung offenbaren, während alle erotischen Aeußerungen etwas Zufälliges haben: man weiß sozusagen nicht, wie viel von der Leistung man der Einheit und Tiefe des eigentlichen Jch und wieviel jener Erregung zuschreiben soll, die man als etwas Peripheres, halb und halb der aeußeren Welt zugehörig, empfindet. Zu diesen höchsten Stufen entwickelt die Lyrik Georges die Elemente etwa bis zum Jahr 95 in einer gewissen Sonderung. Seine Kunst wird von vornherein durch das Bestreben bezeichnet, ausschließlich als Kunst zu wirken. Während sonst die Endabsicht des Lyrikers in dem Gefühls- oder Vorstellungsinhalt zu liegen pflegt, zu dessen Darstellung und Erregung ihm die künstlerische Form als Mittel dient, – ist hier die grundsätzliche Wendung vollzogen: daß umgekehrt aller Jnhalt das bloße Mittel ist, um rein ästhetische Werthe zu bilden. Diese Wendung hat freilich Viele zu bloßem Formalismus verführt: die künstlerische Vollendung in der wohlklingenden Korrektheit von Reim und Rhythmus zu suchen. Jedes wirkliche Kunstwerk kann uns belehren, daß die Scheidung von Form und Jnhalt nur der verstandesmäßigen Analyse dient, während es selbst jenseits dieses Gegensatzes steht. Der ästhetische Genuß – weder mit dem, dem „Vorwurf“ des Werkes korrespondirenden Gefühle noch mit der Freude an der bloß äußerlichen Harmonie der Form zusammenfallend – knüpft sich an die Einheit, der gegenüber diese Einzelmomente nur elementare Mittel sind. Je strenger die innere Logik des Kunstwerks ist, desto mehr offenbart sich diese innere Einheit in der Thatsache, daß jede leiseste Aenderung der sogenannten Form sogleich eine Aenderung des Ganzen, also auch des sogenannten Jnhaltes ist, und umgekehrt. Man kann garnicht <hi rendition="#g">denselben</hi> Gedanken oder <hi rendition="#g">dasselbe</hi> Gefühl auf zwei verschiedene Arten ausdrücken. 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Die ersten Gedichte Georges, von denen man erfuhr, verriethen schon diese ausschließlich ästhetische Absicht: weder wollten sie außer dieser noch etwas „geben“ – Gefühle oder Gedanken an und für sich – noch durch das leichte Spiel formalistischer Vollendung ergötzen; und durch diese beiden Jenseits unterschieden sie sich sogleich von der typischen Lyrik. Nur grade das erotische Thema bereitet ihm in diesen früheren Gedichten – von so großer Zartheit und Reinheit sie auch sind – hier und da noch einen Rückfall in die alte Art.</p><lb/> <p>Die prinzipielle Wendung wird erst <choice><sic>im</sic><corr>in</corr></choice> dem „Jahr der Seele“ (1897) restlos verwirklicht. Der Jnhalt ist hier fast ausschließlich ein Verhältniß zwischen Mann und Weib. Aber die Distanz zu ihm ist gefunden, die ihm keinen andern Reiz, keine anders mitklingende Erregung gestattet, als dem Gegenstand eines Kunstwerks als solchem zukommt. Der Rohstoff des Gefühles ist so lange umgeschmolzen, bis er in sich der ästhetischen Formung keine Grenze mehr durch sein Fürsichsein setzt. Alle Kunst hat gegenüber dem lebendigen Dasein ihres Gegenstandes einen Zug von Resignation, sie versagt sich das Auskosten seiner Realität, um freilich seinem Jnhalt, dem Qualitativen an ihm,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [208/0003]
der Leidenschaft und Zartheit, mit der er das Bild der Lebenswerthe jenseits der Liebe ausstattet. Denn damit erst wird der Künstler seine wirklich eigene Kraft und Vertiefung offenbaren, während alle erotischen Aeußerungen etwas Zufälliges haben: man weiß sozusagen nicht, wie viel von der Leistung man der Einheit und Tiefe des eigentlichen Jch und wieviel jener Erregung zuschreiben soll, die man als etwas Peripheres, halb und halb der aeußeren Welt zugehörig, empfindet. Zu diesen höchsten Stufen entwickelt die Lyrik Georges die Elemente etwa bis zum Jahr 95 in einer gewissen Sonderung. Seine Kunst wird von vornherein durch das Bestreben bezeichnet, ausschließlich als Kunst zu wirken. Während sonst die Endabsicht des Lyrikers in dem Gefühls- oder Vorstellungsinhalt zu liegen pflegt, zu dessen Darstellung und Erregung ihm die künstlerische Form als Mittel dient, – ist hier die grundsätzliche Wendung vollzogen: daß umgekehrt aller Jnhalt das bloße Mittel ist, um rein ästhetische Werthe zu bilden. Diese Wendung hat freilich Viele zu bloßem Formalismus verführt: die künstlerische Vollendung in der wohlklingenden Korrektheit von Reim und Rhythmus zu suchen. Jedes wirkliche Kunstwerk kann uns belehren, daß die Scheidung von Form und Jnhalt nur der verstandesmäßigen Analyse dient, während es selbst jenseits dieses Gegensatzes steht. Der ästhetische Genuß – weder mit dem, dem „Vorwurf“ des Werkes korrespondirenden Gefühle noch mit der Freude an der bloß äußerlichen Harmonie der Form zusammenfallend – knüpft sich an die Einheit, der gegenüber diese Einzelmomente nur elementare Mittel sind. Je strenger die innere Logik des Kunstwerks ist, desto mehr offenbart sich diese innere Einheit in der Thatsache, daß jede leiseste Aenderung der sogenannten Form sogleich eine Aenderung des Ganzen, also auch des sogenannten Jnhaltes ist, und umgekehrt. Man kann garnicht denselben Gedanken oder dasselbe Gefühl auf zwei verschiedene Arten ausdrücken. Nur die oberflächliche Abstraktion, die statt des wirklichen, individuellen, genau umgrenzten Jnhalts den Allgemeinbegriff desselben setzt – wie es fast durchgehends Brauch ist – kann denselben Jnhalt mannigfaltigen Ausdrucksnuancirungen zusprechen. Liebe kann man freilich sehr verschieden ausdrücken; die Liebe aber, die die Trilogie der Leidenschaft darstellt, ist eben genau nur so ausdrückbar und würde mit jedem geänderten Wort irgend eine ihrer Nuancen ändern. Diese mit nichts vergleichbare Einheit des Kunstwerks erhebt sich also ebenso über die Zweiheit von Form und Jnhalt, wie die spezifisch-ästhetische Erregung über die primären Gefühle, die sich an jene bloßen Elemente des Kunstwerks knüpfen mögen. Die ersten Gedichte Georges, von denen man erfuhr, verriethen schon diese ausschließlich ästhetische Absicht: weder wollten sie außer dieser noch etwas „geben“ – Gefühle oder Gedanken an und für sich – noch durch das leichte Spiel formalistischer Vollendung ergötzen; und durch diese beiden Jenseits unterschieden sie sich sogleich von der typischen Lyrik. Nur grade das erotische Thema bereitet ihm in diesen früheren Gedichten – von so großer Zartheit und Reinheit sie auch sind – hier und da noch einen Rückfall in die alte Art.
Die prinzipielle Wendung wird erst in dem „Jahr der Seele“ (1897) restlos verwirklicht. Der Jnhalt ist hier fast ausschließlich ein Verhältniß zwischen Mann und Weib. Aber die Distanz zu ihm ist gefunden, die ihm keinen andern Reiz, keine anders mitklingende Erregung gestattet, als dem Gegenstand eines Kunstwerks als solchem zukommt. Der Rohstoff des Gefühles ist so lange umgeschmolzen, bis er in sich der ästhetischen Formung keine Grenze mehr durch sein Fürsichsein setzt. Alle Kunst hat gegenüber dem lebendigen Dasein ihres Gegenstandes einen Zug von Resignation, sie versagt sich das Auskosten seiner Realität, um freilich seinem Jnhalt, dem Qualitativen an ihm,
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Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription.
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