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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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sich seienden Objektivität nachzeichnet. Die so wenigstens negativ
charakterisierten Vorstellungen sind nun aber Voraussetzung, Material,
Direktive für unser praktisches Handeln, durch das wir uns mit der
Welt, wie sie relativ unabhängig von unserem subjektiv bestimmten
Vorstellen besteht, in Verbindung setzen: wir erwarten von ihr be-
stimmte Rückwirkungen auf unsere Einwirkungen und sie leistet uns
dieselben auch, wenigstens im grossen und ganzen, in der richtigen,
d. h. uns nützlichen Weise, wie sie eben solche auch den Tieren
leistet, deren Verhalten durch völlig abweichende Bilder von eben der-
selben Welt bestimmt wird. Dies ist doch eine höchst auffallende
Thatsache: Handlungen, auf Grund von Vorstellungen vorgenommen,
die mit dem objektiv Seienden sicherlich keinerlei Gleichheit besitzen,
erzielen aus diesem dennoch Erfolge von einer solchen Berechenbarkeit,
Zweckmässigkeit, Treffsicherheit, dass sie bei einer Kenntnis jener ob-
jektiven Verhältnisse, wie sie an sich wären, nicht grösser sein könnten,
während andere Handlungen, nämlich die auf "falsche" Vorstellungen
hin erfolgenden, in lauter reale Schädigungen unser auslaufen. Und
ebenso sehen wir, dass auch die Tiere Täuschungen und korrigierbaren
Irrtümern unterliegen. Was kann nun die "Wahrheit" bedeuten, die
für diese und uns inhaltlich eine ganz verschiedene ist, ausserdem sich
mit der objektiven Wirklichkeit gar nicht deckt, und dennoch so sicher
zu erwünschten Handlungsfolgen führt, als ob dies letztere der Fall
wäre? Das scheint mir nur durch die folgende Annahme erklärbar.
Die Verschiedenheit der Organisationen fordert, dass jede Art, um sich
zu erhalten und ihre wesentlichen Lebenszwecke zu erreichen, sich auf
eine besondere, von den andern abweichende Art praktisch verhalten
muss. Ob eine Handlung, die von einem Vorstellungsbilde geleitet und
bestimmt wird, für den Handelnden nützliche Folgen hat, ist also noch
keineswegs nach dem Inhalte dieser Vorstellung zu entscheiden, mag
er sich nun mit der absoluten Objektivität decken oder nicht. Das
wird vielmehr einzig davon abhängen, zu welchem Erfolg diese Vor-
stellung als realer Vorgang innerhalb des Organismus, im Zusammen-
wirken mit den übrigen physisch-psychischen Kräften und in Hinsicht
auf die besonderen Lebenserfordernisse jenes führt. Wenn wir
nun vom Menschen sagen, lebenerhaltend und -fördernd handle er
nur auf Grund wahrer Vorstellungen, zerstörerisch aber auf Grund
falscher -- was soll diese "Wahrheit", die für jede mit Bewusstsein
ausgestattete Art eine inhaltlich andere und für keine ein Spiegelbild
der Dinge an sich ist, ihrem Wesen nach anderes bedeuten, als eben
diejenige Vorstellung, die im Zusammenhang mit der ganzen speziellen
Organisation, ihren Kräften und Bedürfnissen, zu nützlichen Folgen

Simmel, Philosophie des Geldes. 5

sich seienden Objektivität nachzeichnet. Die so wenigstens negativ
charakterisierten Vorstellungen sind nun aber Voraussetzung, Material,
Direktive für unser praktisches Handeln, durch das wir uns mit der
Welt, wie sie relativ unabhängig von unserem subjektiv bestimmten
Vorstellen besteht, in Verbindung setzen: wir erwarten von ihr be-
stimmte Rückwirkungen auf unsere Einwirkungen und sie leistet uns
dieselben auch, wenigstens im groſsen und ganzen, in der richtigen,
d. h. uns nützlichen Weise, wie sie eben solche auch den Tieren
leistet, deren Verhalten durch völlig abweichende Bilder von eben der-
selben Welt bestimmt wird. Dies ist doch eine höchst auffallende
Thatsache: Handlungen, auf Grund von Vorstellungen vorgenommen,
die mit dem objektiv Seienden sicherlich keinerlei Gleichheit besitzen,
erzielen aus diesem dennoch Erfolge von einer solchen Berechenbarkeit,
Zweckmäſsigkeit, Treffsicherheit, daſs sie bei einer Kenntnis jener ob-
jektiven Verhältnisse, wie sie an sich wären, nicht gröſser sein könnten,
während andere Handlungen, nämlich die auf „falsche“ Vorstellungen
hin erfolgenden, in lauter reale Schädigungen unser auslaufen. Und
ebenso sehen wir, daſs auch die Tiere Täuschungen und korrigierbaren
Irrtümern unterliegen. Was kann nun die „Wahrheit“ bedeuten, die
für diese und uns inhaltlich eine ganz verschiedene ist, auſserdem sich
mit der objektiven Wirklichkeit gar nicht deckt, und dennoch so sicher
zu erwünschten Handlungsfolgen führt, als ob dies letztere der Fall
wäre? Das scheint mir nur durch die folgende Annahme erklärbar.
Die Verschiedenheit der Organisationen fordert, daſs jede Art, um sich
zu erhalten und ihre wesentlichen Lebenszwecke zu erreichen, sich auf
eine besondere, von den andern abweichende Art praktisch verhalten
muſs. Ob eine Handlung, die von einem Vorstellungsbilde geleitet und
bestimmt wird, für den Handelnden nützliche Folgen hat, ist also noch
keineswegs nach dem Inhalte dieser Vorstellung zu entscheiden, mag
er sich nun mit der absoluten Objektivität decken oder nicht. Das
wird vielmehr einzig davon abhängen, zu welchem Erfolg diese Vor-
stellung als realer Vorgang innerhalb des Organismus, im Zusammen-
wirken mit den übrigen physisch-psychischen Kräften und in Hinsicht
auf die besonderen Lebenserfordernisse jenes führt. Wenn wir
nun vom Menschen sagen, lebenerhaltend und -fördernd handle er
nur auf Grund wahrer Vorstellungen, zerstörerisch aber auf Grund
falscher — was soll diese „Wahrheit“, die für jede mit Bewuſstsein
ausgestattete Art eine inhaltlich andere und für keine ein Spiegelbild
der Dinge an sich ist, ihrem Wesen nach anderes bedeuten, als eben
diejenige Vorstellung, die im Zusammenhang mit der ganzen speziellen
Organisation, ihren Kräften und Bedürfnissen, zu nützlichen Folgen

Simmel, Philosophie des Geldes. 5
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[65/0089] sich seienden Objektivität nachzeichnet. Die so wenigstens negativ charakterisierten Vorstellungen sind nun aber Voraussetzung, Material, Direktive für unser praktisches Handeln, durch das wir uns mit der Welt, wie sie relativ unabhängig von unserem subjektiv bestimmten Vorstellen besteht, in Verbindung setzen: wir erwarten von ihr be- stimmte Rückwirkungen auf unsere Einwirkungen und sie leistet uns dieselben auch, wenigstens im groſsen und ganzen, in der richtigen, d. h. uns nützlichen Weise, wie sie eben solche auch den Tieren leistet, deren Verhalten durch völlig abweichende Bilder von eben der- selben Welt bestimmt wird. Dies ist doch eine höchst auffallende Thatsache: Handlungen, auf Grund von Vorstellungen vorgenommen, die mit dem objektiv Seienden sicherlich keinerlei Gleichheit besitzen, erzielen aus diesem dennoch Erfolge von einer solchen Berechenbarkeit, Zweckmäſsigkeit, Treffsicherheit, daſs sie bei einer Kenntnis jener ob- jektiven Verhältnisse, wie sie an sich wären, nicht gröſser sein könnten, während andere Handlungen, nämlich die auf „falsche“ Vorstellungen hin erfolgenden, in lauter reale Schädigungen unser auslaufen. Und ebenso sehen wir, daſs auch die Tiere Täuschungen und korrigierbaren Irrtümern unterliegen. Was kann nun die „Wahrheit“ bedeuten, die für diese und uns inhaltlich eine ganz verschiedene ist, auſserdem sich mit der objektiven Wirklichkeit gar nicht deckt, und dennoch so sicher zu erwünschten Handlungsfolgen führt, als ob dies letztere der Fall wäre? Das scheint mir nur durch die folgende Annahme erklärbar. Die Verschiedenheit der Organisationen fordert, daſs jede Art, um sich zu erhalten und ihre wesentlichen Lebenszwecke zu erreichen, sich auf eine besondere, von den andern abweichende Art praktisch verhalten muſs. Ob eine Handlung, die von einem Vorstellungsbilde geleitet und bestimmt wird, für den Handelnden nützliche Folgen hat, ist also noch keineswegs nach dem Inhalte dieser Vorstellung zu entscheiden, mag er sich nun mit der absoluten Objektivität decken oder nicht. Das wird vielmehr einzig davon abhängen, zu welchem Erfolg diese Vor- stellung als realer Vorgang innerhalb des Organismus, im Zusammen- wirken mit den übrigen physisch-psychischen Kräften und in Hinsicht auf die besonderen Lebenserfordernisse jenes führt. Wenn wir nun vom Menschen sagen, lebenerhaltend und -fördernd handle er nur auf Grund wahrer Vorstellungen, zerstörerisch aber auf Grund falscher — was soll diese „Wahrheit“, die für jede mit Bewuſstsein ausgestattete Art eine inhaltlich andere und für keine ein Spiegelbild der Dinge an sich ist, ihrem Wesen nach anderes bedeuten, als eben diejenige Vorstellung, die im Zusammenhang mit der ganzen speziellen Organisation, ihren Kräften und Bedürfnissen, zu nützlichen Folgen Simmel, Philosophie des Geldes. 5

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/89>, abgerufen am 26.04.2024.