auch der primitiven Arbeit allenthalben eine sozial geregelte Richtung und Vollzugsweise verliehen hat, auch hier die Wesensgleichheit zwischen Tausch und Arbeit, richtiger: die Zugehörigkeit der letzteren zu dem ersteren als höherem Begriff, erweisend. Die mannigfaltigen Beziehungen zwischen dem objektiv Gültigen -- in praktischer wie in theoretischer Hinsicht -- und seiner sozialen Bedeutung und Aner- kennung stellen sich auch sonst vielfach in dieser Weise historisch dar: dass die soziale Wechselwirkung, Verbreitung, Normierung dem Individuum diejenige Dignität und Festigkeit eines Lebensinhaltes ge- währt, die es später aus dessen sachlichem Recht und Beweisbar- keit gewinnt. So glaubt das Kind jeden beliebigen Sachverhalt nicht aus inneren Gründen, sondern weil es den mitteilenden Personen ver- traut; nicht etwas, sondern jemandem wird geglaubt. So sind wir in unserem Geschmack von der Mode, d. h. von der sozialen Verbreitung eines Thuns und Schätzens abhängig, bis wir, spät genug, die Sache selbst ästhetisch zu beurteilen wissen. So stellt sich die Notwendigkeit für das Individuum, sich über sich selbst zu erweitern und zugleich in dieser Erweiterung einen überpersönlichen Halt und Festigkeit zu gewinnen: im Recht, in der Erkenntnis, in der Sittlichkeit -- als die Macht der Tradition dar; an Stelle dieser zuerst unentbehrlichen Nor- mierung wächst allmählich die aus der Kenntnis der Dinge hervor- gehende auf. Das Ausser-Uns, dessen wir zu unserer Orientierung bedürfen, nimmt die leichter zugängliche Form der sozialen Allgemein- heit an, ehe es uns als objektive Bestimmtheit der Realitäten entgegen- tritt. In diesem, die Kulturentwicklung durchgängig charakterisierenden Sinne also ist der Tausch ursprünglich Sache der sozialen Festsetzung, bis die Individuen die Objekte und ihre eigenen Wertungen hinreichend kennen, um die Tauschraten selbst von Fall zu Fall zu fixieren. Hier liegt das Bedenken nahe, dass diese gesellschaftlich-gesetzlichen Preistaxen, nach denen der Verkehr in allen Halbkulturen vor sich zu gehen pflegt, doch nur das Resultat vieler vorangegangener Tausch- aktionen sein könnten, die zuerst in singulärer und noch unfixierter Form unter Individuen stattgefunden hätten. Allein dieser Einwand trägt nicht weiter als gegenüber der Sprache, Sitte, Recht, Religion, kurz allen grundlegenden Lebensformen, die in der Gruppe als ganzer entstehen und herrschen, und die man sich lange nur durch die Erfindung Einzelner zu erklären wusste; während sie sicher von vorn- herein als interindividuelle Gebilde entstanden sind, als Wechsel- wirkungen zwischen den Einzelnen und den Vielen, so dass keinem Individuum für sich ihr Ursprung zuzuschieben ist. Ich halte es durch- aus für möglich, dass der Vorgänger des sozial fixierten Tausches
auch der primitiven Arbeit allenthalben eine sozial geregelte Richtung und Vollzugsweise verliehen hat, auch hier die Wesensgleichheit zwischen Tausch und Arbeit, richtiger: die Zugehörigkeit der letzteren zu dem ersteren als höherem Begriff, erweisend. Die mannigfaltigen Beziehungen zwischen dem objektiv Gültigen — in praktischer wie in theoretischer Hinsicht — und seiner sozialen Bedeutung und Aner- kennung stellen sich auch sonst vielfach in dieser Weise historisch dar: daſs die soziale Wechselwirkung, Verbreitung, Normierung dem Individuum diejenige Dignität und Festigkeit eines Lebensinhaltes ge- währt, die es später aus dessen sachlichem Recht und Beweisbar- keit gewinnt. So glaubt das Kind jeden beliebigen Sachverhalt nicht aus inneren Gründen, sondern weil es den mitteilenden Personen ver- traut; nicht etwas, sondern jemandem wird geglaubt. So sind wir in unserem Geschmack von der Mode, d. h. von der sozialen Verbreitung eines Thuns und Schätzens abhängig, bis wir, spät genug, die Sache selbst ästhetisch zu beurteilen wissen. So stellt sich die Notwendigkeit für das Individuum, sich über sich selbst zu erweitern und zugleich in dieser Erweiterung einen überpersönlichen Halt und Festigkeit zu gewinnen: im Recht, in der Erkenntnis, in der Sittlichkeit — als die Macht der Tradition dar; an Stelle dieser zuerst unentbehrlichen Nor- mierung wächst allmählich die aus der Kenntnis der Dinge hervor- gehende auf. Das Auſser-Uns, dessen wir zu unserer Orientierung bedürfen, nimmt die leichter zugängliche Form der sozialen Allgemein- heit an, ehe es uns als objektive Bestimmtheit der Realitäten entgegen- tritt. In diesem, die Kulturentwicklung durchgängig charakterisierenden Sinne also ist der Tausch ursprünglich Sache der sozialen Festsetzung, bis die Individuen die Objekte und ihre eigenen Wertungen hinreichend kennen, um die Tauschraten selbst von Fall zu Fall zu fixieren. Hier liegt das Bedenken nahe, daſs diese gesellschaftlich-gesetzlichen Preistaxen, nach denen der Verkehr in allen Halbkulturen vor sich zu gehen pflegt, doch nur das Resultat vieler vorangegangener Tausch- aktionen sein könnten, die zuerst in singulärer und noch unfixierter Form unter Individuen stattgefunden hätten. Allein dieser Einwand trägt nicht weiter als gegenüber der Sprache, Sitte, Recht, Religion, kurz allen grundlegenden Lebensformen, die in der Gruppe als ganzer entstehen und herrschen, und die man sich lange nur durch die Erfindung Einzelner zu erklären wuſste; während sie sicher von vorn- herein als interindividuelle Gebilde entstanden sind, als Wechsel- wirkungen zwischen den Einzelnen und den Vielen, so daſs keinem Individuum für sich ihr Ursprung zuzuschieben ist. Ich halte es durch- aus für möglich, daſs der Vorgänger des sozial fixierten Tausches
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[55/0079]
auch der primitiven Arbeit allenthalben eine sozial geregelte Richtung
und Vollzugsweise verliehen hat, auch hier die Wesensgleichheit
zwischen Tausch und Arbeit, richtiger: die Zugehörigkeit der letzteren
zu dem ersteren als höherem Begriff, erweisend. Die mannigfaltigen
Beziehungen zwischen dem objektiv Gültigen — in praktischer wie in
theoretischer Hinsicht — und seiner sozialen Bedeutung und Aner-
kennung stellen sich auch sonst vielfach in dieser Weise historisch
dar: daſs die soziale Wechselwirkung, Verbreitung, Normierung dem
Individuum diejenige Dignität und Festigkeit eines Lebensinhaltes ge-
währt, die es später aus dessen sachlichem Recht und Beweisbar-
keit gewinnt. So glaubt das Kind jeden beliebigen Sachverhalt nicht
aus inneren Gründen, sondern weil es den mitteilenden Personen ver-
traut; nicht etwas, sondern jemandem wird geglaubt. So sind wir in
unserem Geschmack von der Mode, d. h. von der sozialen Verbreitung
eines Thuns und Schätzens abhängig, bis wir, spät genug, die Sache
selbst ästhetisch zu beurteilen wissen. So stellt sich die Notwendigkeit
für das Individuum, sich über sich selbst zu erweitern und zugleich
in dieser Erweiterung einen überpersönlichen Halt und Festigkeit zu
gewinnen: im Recht, in der Erkenntnis, in der Sittlichkeit — als die
Macht der Tradition dar; an Stelle dieser zuerst unentbehrlichen Nor-
mierung wächst allmählich die aus der Kenntnis der Dinge hervor-
gehende auf. Das Auſser-Uns, dessen wir zu unserer Orientierung
bedürfen, nimmt die leichter zugängliche Form der sozialen Allgemein-
heit an, ehe es uns als objektive Bestimmtheit der Realitäten entgegen-
tritt. In diesem, die Kulturentwicklung durchgängig charakterisierenden
Sinne also ist der Tausch ursprünglich Sache der sozialen Festsetzung,
bis die Individuen die Objekte und ihre eigenen Wertungen hinreichend
kennen, um die Tauschraten selbst von Fall zu Fall zu fixieren.
Hier liegt das Bedenken nahe, daſs diese gesellschaftlich-gesetzlichen
Preistaxen, nach denen der Verkehr in allen Halbkulturen vor sich
zu gehen pflegt, doch nur das Resultat vieler vorangegangener Tausch-
aktionen sein könnten, die zuerst in singulärer und noch unfixierter
Form unter Individuen stattgefunden hätten. Allein dieser Einwand
trägt nicht weiter als gegenüber der Sprache, Sitte, Recht, Religion,
kurz allen grundlegenden Lebensformen, die in der Gruppe als
ganzer entstehen und herrschen, und die man sich lange nur durch die
Erfindung Einzelner zu erklären wuſste; während sie sicher von vorn-
herein als interindividuelle Gebilde entstanden sind, als Wechsel-
wirkungen zwischen den Einzelnen und den Vielen, so daſs keinem
Individuum für sich ihr Ursprung zuzuschieben ist. Ich halte es durch-
aus für möglich, daſs der Vorgänger des sozial fixierten Tausches
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/79>, abgerufen am 26.11.2024.
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