Wertgleichheit bedingt ist. Sieht man nämlich zu, wie das Kind, der impulsive und, allem Anschein nach, auch der primitive Mensch tauscht -- so geben diese irgend ein beliebiges Besitztum für einen Gegenstand hin, den sie grade augenblicklich heftig begehren, gleichviel ob die allgemeine Schätzung oder sie selbst bei ruhigem Überlegen den Preis viel zu hoch finden. Dies widerspricht der Ausmachung, dass jeder Tausch für das Bewusstsein des Subjekts ein vorteilhafter sein müsse, eben deshalb nicht, weil diese ganze Aktion subjektiv jenseits der Frage nach Gleichheit oder Ungleichheit der Tauschobjekte steht. Es ist eine jener rationalistischen Selbstverständlichkeiten, die so ganz unpsychologisch sind: dass jedem Tausch eine Abwägung zwischen Opfer und Gewinn vorausgegangen sei und mindestens zu einer Gleichsetzung beider geführt haben müsse. Dazu gehört eine Objektivität gegenüber dem eigenen Begehren, die jene angedeuteten Seelenverfassungen gar nicht aufbringen. Der unaus- gebildete oder befangene Geist tritt von der momentanen Aufgipfelung seiner Interessen nicht so weit zurück, um einen Vergleich anzustellen, er will eben im Augenblick nur das eine, und die Hingabe des anderen wirkt deshalb gar nicht als Abzug von der ersehnten Befriedigung, also gar nicht als Preis. Angesichts der Besinnungslosigkeit, mit der kindliche, unerfahrene, ungestüme Wesen das grade Begehrte "um jeden Preis" sich aneignen, scheint mir vielmehr das Wahrscheinlichste, dass das Gleichheitsurteil erst der Erfolg so und so vieler, ohne jede Abwägung vollbrachter Besitzwechsel ist. Das ganz einseitige, den Geist ganz occupierende Begehren muss sich erst durch den Besitz beruhigt haben, um überhaupt andere Objekte zur Vergleichung mit diesem zuzulassen. Der ungeheure Abstand der Betonung, der in dem ungeschulten und unbeherrschten Geist zwischen seinem momentanen Interesse und allen anderen Vorstellungen und Schätzungen besteht, veranlasst den Tausch, bevor es noch zu einem Urteil über den Wert -- d. h. über das Ver- hältnis verschiedener Wertquanten zu einander -- gekommen ist. Dass bei ausgebildeten Wertbegriffen und leidlicher Selbstbeherrschung das Urteil über Wertgleichheit dem Tausch vorangeht, darf über die Wahr- scheinlichkeit nicht täuschen, dass hier wie so oft das rationale Verhält- nis sich erst aus dem psychologisch umgekehrt verlaufenden entwickelt hat (auch innerhalb der Provinz der Seele ist pros emas das letzte, was phusei das erste ist) und dass der aus rein subjektiven Impulsen ent- standene Besitzwechsel uns dann erst über den relativen Wert der Dinge belehrt hat.
Ist so der Wert gleichsam der Epigone des Preises, so scheint es ein identischer Satz, dass ihre Höhen die gleichen sein müssen. Ich
Simmel, Philosophie des Geldes. 4
Wertgleichheit bedingt ist. Sieht man nämlich zu, wie das Kind, der impulsive und, allem Anschein nach, auch der primitive Mensch tauscht — so geben diese irgend ein beliebiges Besitztum für einen Gegenstand hin, den sie grade augenblicklich heftig begehren, gleichviel ob die allgemeine Schätzung oder sie selbst bei ruhigem Überlegen den Preis viel zu hoch finden. Dies widerspricht der Ausmachung, daſs jeder Tausch für das Bewuſstsein des Subjekts ein vorteilhafter sein müsse, eben deshalb nicht, weil diese ganze Aktion subjektiv jenseits der Frage nach Gleichheit oder Ungleichheit der Tauschobjekte steht. Es ist eine jener rationalistischen Selbstverständlichkeiten, die so ganz unpsychologisch sind: daſs jedem Tausch eine Abwägung zwischen Opfer und Gewinn vorausgegangen sei und mindestens zu einer Gleichsetzung beider geführt haben müsse. Dazu gehört eine Objektivität gegenüber dem eigenen Begehren, die jene angedeuteten Seelenverfassungen gar nicht aufbringen. Der unaus- gebildete oder befangene Geist tritt von der momentanen Aufgipfelung seiner Interessen nicht so weit zurück, um einen Vergleich anzustellen, er will eben im Augenblick nur das eine, und die Hingabe des anderen wirkt deshalb gar nicht als Abzug von der ersehnten Befriedigung, also gar nicht als Preis. Angesichts der Besinnungslosigkeit, mit der kindliche, unerfahrene, ungestüme Wesen das grade Begehrte „um jeden Preis“ sich aneignen, scheint mir vielmehr das Wahrscheinlichste, daſs das Gleichheitsurteil erst der Erfolg so und so vieler, ohne jede Abwägung vollbrachter Besitzwechsel ist. Das ganz einseitige, den Geist ganz occupierende Begehren muſs sich erst durch den Besitz beruhigt haben, um überhaupt andere Objekte zur Vergleichung mit diesem zuzulassen. Der ungeheure Abstand der Betonung, der in dem ungeschulten und unbeherrschten Geist zwischen seinem momentanen Interesse und allen anderen Vorstellungen und Schätzungen besteht, veranlaſst den Tausch, bevor es noch zu einem Urteil über den Wert — d. h. über das Ver- hältnis verschiedener Wertquanten zu einander — gekommen ist. Daſs bei ausgebildeten Wertbegriffen und leidlicher Selbstbeherrschung das Urteil über Wertgleichheit dem Tausch vorangeht, darf über die Wahr- scheinlichkeit nicht täuschen, daſs hier wie so oft das rationale Verhält- nis sich erst aus dem psychologisch umgekehrt verlaufenden entwickelt hat (auch innerhalb der Provinz der Seele ist πρὸς ἡμᾶς das letzte, was φύσει das erste ist) und daſs der aus rein subjektiven Impulsen ent- standene Besitzwechsel uns dann erst über den relativen Wert der Dinge belehrt hat.
Ist so der Wert gleichsam der Epigone des Preises, so scheint es ein identischer Satz, daſs ihre Höhen die gleichen sein müssen. Ich
Simmel, Philosophie des Geldes. 4
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Wertgleichheit bedingt ist. Sieht man nämlich zu, wie das Kind, der
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tauscht — so geben diese irgend ein beliebiges Besitztum für einen
Gegenstand hin, den sie grade augenblicklich heftig begehren, gleichviel
ob die allgemeine Schätzung oder sie selbst bei ruhigem Überlegen
den Preis viel zu hoch finden. Dies widerspricht der Ausmachung,
daſs jeder Tausch für das Bewuſstsein des Subjekts ein vorteilhafter
sein müsse, eben deshalb nicht, weil diese ganze Aktion subjektiv
jenseits der Frage nach Gleichheit oder Ungleichheit
der Tauschobjekte steht. Es ist eine jener rationalistischen
Selbstverständlichkeiten, die so ganz unpsychologisch sind: daſs jedem
Tausch eine Abwägung zwischen Opfer und Gewinn vorausgegangen
sei und mindestens zu einer Gleichsetzung beider geführt haben müsse.
Dazu gehört eine Objektivität gegenüber dem eigenen Begehren, die
jene angedeuteten Seelenverfassungen gar nicht aufbringen. Der unaus-
gebildete oder befangene Geist tritt von der momentanen Aufgipfelung
seiner Interessen nicht so weit zurück, um einen Vergleich anzustellen,
er will eben im Augenblick nur das eine, und die Hingabe des anderen
wirkt deshalb gar nicht als Abzug von der ersehnten Befriedigung, also
gar nicht als Preis. Angesichts der Besinnungslosigkeit, mit der kindliche,
unerfahrene, ungestüme Wesen das grade Begehrte „um jeden Preis“
sich aneignen, scheint mir vielmehr das Wahrscheinlichste, daſs das
Gleichheitsurteil erst der Erfolg so und so vieler, ohne jede Abwägung
vollbrachter Besitzwechsel ist. Das ganz einseitige, den Geist ganz
occupierende Begehren muſs sich erst durch den Besitz beruhigt haben,
um überhaupt andere Objekte zur Vergleichung mit diesem zuzulassen.
Der ungeheure Abstand der Betonung, der in dem ungeschulten und
unbeherrschten Geist zwischen seinem momentanen Interesse und allen
anderen Vorstellungen und Schätzungen besteht, veranlaſst den Tausch,
bevor es noch zu einem Urteil über den Wert — d. h. über das Ver-
hältnis verschiedener Wertquanten zu einander — gekommen ist. Daſs
bei ausgebildeten Wertbegriffen und leidlicher Selbstbeherrschung das
Urteil über Wertgleichheit dem Tausch vorangeht, darf über die Wahr-
scheinlichkeit nicht täuschen, daſs hier wie so oft das rationale Verhält-
nis sich erst aus dem psychologisch umgekehrt verlaufenden entwickelt
hat (auch innerhalb der Provinz der Seele ist πρὸς ἡμᾶς das letzte, was
φύσει das erste ist) und daſs der aus rein subjektiven Impulsen ent-
standene Besitzwechsel uns dann erst über den relativen Wert der
Dinge belehrt hat.
Ist so der Wert gleichsam der Epigone des Preises, so scheint es
ein identischer Satz, daſs ihre Höhen die gleichen sein müssen. Ich
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/73>, abgerufen am 25.11.2024.
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