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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Weiter: alles sittliche Verdienst bedeutet, dass um der sittlich wünschens-
werten That willen erst entgegengerichtete Triebe und Wünsche nieder-
gekämpft und geopfert werden mussten. Wenn sie ohne jede Über-
windung geschieht, als der selbstverständliche Erfolg ungehemmter
Impulse, so wird ihr, so objektiv erwünscht ihr Inhalt sei, dennoch
nicht in demselben Sinn ein subjektiv sittlicher Wert zugesprochen.
Nur durch das Opfer vielmehr der niedrigeren und doch so versuche-
rischen Güter wird die Höhe des sittlichen Verdienstes erreicht, und
eine um so höhere, je lockender die Versuchungen und je tiefer und
umfassender ihr Opfer war. Sehen wir zu, welche menschlichen
Leistungen die höchsten Ehren und Schätzungen erfahren, so sind es
immer die, die ein Maximum von Vertiefung, Kraftaufwand, beharr-
licher Konzentration des ganzen Wesens verraten oder wenigstens zu
verraten scheinen -- damit also auch von Entsagung, von Aufopferung
alles abseits Liegenden, von Hingabe des Subjektiven an die objektive
Idee. Und wenn im Gegensatz dazu die ästhetische Produktion und
alles Leichte, Anmutige, aus der Selbstverständlichkeit des Triebes
Quellende einen unvergleichlichen Reiz entfaltet, so verdankt dieser
seine Besonderheit doch auch dem mitschwebenden Gefühle von den
Lasten und Opfern, die sonst die Bedingung des gleichen Gewinnes
sind. Die Beweglichkeit und unerschöpfliche Kombinationsfähigkeit
unserer seelischen Inhalte bewirkt es häufig, dass die Bedeutsamkeit
eines Zusammenhanges auf seine direkte Umkehrung übertragen wird,
ungefähr wie die Assoziation zwischen zwei Vorstellungen ebenso da-
durch zustande kommt, dass sie einander zugesprochen, wie dass sie
einander abgesprochen werden. Den ganz spezifischen Wert dessen,
was wir ohne überwundene Schwierigkeit und wie ein Geschenk glück-
lichen Zufalls gewinnen, empfinden wir doch nur auf Grund der Be-
deutung, die grade das schwer Errungene, an Opfern Gemessene für
uns hat -- es ist derselbe Wert, aber mit negativem Vorzeichen, und
dieser ist der primäre, aus dem jener -- aber nicht umgekehrt! --
sich ableiten lässt.

Dies mögen freilich exaggerierte oder Ausnahmefälle sein. Um
ihren Typus in der ganzen Breite des wirtschaftlichen Wertgebietes
zu finden, scheint es zunächst erforderlich, die Wirtschaftlich-
keit, als eine spezifische Differenz oder Form, von der Thatsache
der Werte als dem Allgemeinen oder der Substanz derselben begriff-
lich zu trennen. Nehmen wir vorläufig den Wert als etwas Ge-
gebenes und jetzt nicht zu Diskutierendes hin, so ist nach allem
Vorangegangenen wenigstens dies nicht zweifelhaft, dass der wirtschaft-
liche Wert als solcher einem Gegenstand nicht in seinem isolierten

Weiter: alles sittliche Verdienst bedeutet, daſs um der sittlich wünschens-
werten That willen erst entgegengerichtete Triebe und Wünsche nieder-
gekämpft und geopfert werden muſsten. Wenn sie ohne jede Über-
windung geschieht, als der selbstverständliche Erfolg ungehemmter
Impulse, so wird ihr, so objektiv erwünscht ihr Inhalt sei, dennoch
nicht in demselben Sinn ein subjektiv sittlicher Wert zugesprochen.
Nur durch das Opfer vielmehr der niedrigeren und doch so versuche-
rischen Güter wird die Höhe des sittlichen Verdienstes erreicht, und
eine um so höhere, je lockender die Versuchungen und je tiefer und
umfassender ihr Opfer war. Sehen wir zu, welche menschlichen
Leistungen die höchsten Ehren und Schätzungen erfahren, so sind es
immer die, die ein Maximum von Vertiefung, Kraftaufwand, beharr-
licher Konzentration des ganzen Wesens verraten oder wenigstens zu
verraten scheinen — damit also auch von Entsagung, von Aufopferung
alles abseits Liegenden, von Hingabe des Subjektiven an die objektive
Idee. Und wenn im Gegensatz dazu die ästhetische Produktion und
alles Leichte, Anmutige, aus der Selbstverständlichkeit des Triebes
Quellende einen unvergleichlichen Reiz entfaltet, so verdankt dieser
seine Besonderheit doch auch dem mitschwebenden Gefühle von den
Lasten und Opfern, die sonst die Bedingung des gleichen Gewinnes
sind. Die Beweglichkeit und unerschöpfliche Kombinationsfähigkeit
unserer seelischen Inhalte bewirkt es häufig, daſs die Bedeutsamkeit
eines Zusammenhanges auf seine direkte Umkehrung übertragen wird,
ungefähr wie die Assoziation zwischen zwei Vorstellungen ebenso da-
durch zustande kommt, daſs sie einander zugesprochen, wie daſs sie
einander abgesprochen werden. Den ganz spezifischen Wert dessen,
was wir ohne überwundene Schwierigkeit und wie ein Geschenk glück-
lichen Zufalls gewinnen, empfinden wir doch nur auf Grund der Be-
deutung, die grade das schwer Errungene, an Opfern Gemessene für
uns hat — es ist derselbe Wert, aber mit negativem Vorzeichen, und
dieser ist der primäre, aus dem jener — aber nicht umgekehrt! —
sich ableiten lässt.

Dies mögen freilich exaggerierte oder Ausnahmefälle sein. Um
ihren Typus in der ganzen Breite des wirtschaftlichen Wertgebietes
zu finden, scheint es zunächst erforderlich, die Wirtschaftlich-
keit, als eine spezifische Differenz oder Form, von der Thatsache
der Werte als dem Allgemeinen oder der Substanz derselben begriff-
lich zu trennen. Nehmen wir vorläufig den Wert als etwas Ge-
gebenes und jetzt nicht zu Diskutierendes hin, so ist nach allem
Vorangegangenen wenigstens dies nicht zweifelhaft, daſs der wirtschaft-
liche Wert als solcher einem Gegenstand nicht in seinem isolierten

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[41/0065] Weiter: alles sittliche Verdienst bedeutet, daſs um der sittlich wünschens- werten That willen erst entgegengerichtete Triebe und Wünsche nieder- gekämpft und geopfert werden muſsten. Wenn sie ohne jede Über- windung geschieht, als der selbstverständliche Erfolg ungehemmter Impulse, so wird ihr, so objektiv erwünscht ihr Inhalt sei, dennoch nicht in demselben Sinn ein subjektiv sittlicher Wert zugesprochen. Nur durch das Opfer vielmehr der niedrigeren und doch so versuche- rischen Güter wird die Höhe des sittlichen Verdienstes erreicht, und eine um so höhere, je lockender die Versuchungen und je tiefer und umfassender ihr Opfer war. Sehen wir zu, welche menschlichen Leistungen die höchsten Ehren und Schätzungen erfahren, so sind es immer die, die ein Maximum von Vertiefung, Kraftaufwand, beharr- licher Konzentration des ganzen Wesens verraten oder wenigstens zu verraten scheinen — damit also auch von Entsagung, von Aufopferung alles abseits Liegenden, von Hingabe des Subjektiven an die objektive Idee. Und wenn im Gegensatz dazu die ästhetische Produktion und alles Leichte, Anmutige, aus der Selbstverständlichkeit des Triebes Quellende einen unvergleichlichen Reiz entfaltet, so verdankt dieser seine Besonderheit doch auch dem mitschwebenden Gefühle von den Lasten und Opfern, die sonst die Bedingung des gleichen Gewinnes sind. Die Beweglichkeit und unerschöpfliche Kombinationsfähigkeit unserer seelischen Inhalte bewirkt es häufig, daſs die Bedeutsamkeit eines Zusammenhanges auf seine direkte Umkehrung übertragen wird, ungefähr wie die Assoziation zwischen zwei Vorstellungen ebenso da- durch zustande kommt, daſs sie einander zugesprochen, wie daſs sie einander abgesprochen werden. Den ganz spezifischen Wert dessen, was wir ohne überwundene Schwierigkeit und wie ein Geschenk glück- lichen Zufalls gewinnen, empfinden wir doch nur auf Grund der Be- deutung, die grade das schwer Errungene, an Opfern Gemessene für uns hat — es ist derselbe Wert, aber mit negativem Vorzeichen, und dieser ist der primäre, aus dem jener — aber nicht umgekehrt! — sich ableiten lässt. Dies mögen freilich exaggerierte oder Ausnahmefälle sein. Um ihren Typus in der ganzen Breite des wirtschaftlichen Wertgebietes zu finden, scheint es zunächst erforderlich, die Wirtschaftlich- keit, als eine spezifische Differenz oder Form, von der Thatsache der Werte als dem Allgemeinen oder der Substanz derselben begriff- lich zu trennen. Nehmen wir vorläufig den Wert als etwas Ge- gebenes und jetzt nicht zu Diskutierendes hin, so ist nach allem Vorangegangenen wenigstens dies nicht zweifelhaft, daſs der wirtschaft- liche Wert als solcher einem Gegenstand nicht in seinem isolierten

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/65>, abgerufen am 27.04.2024.