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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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nicht mehr Geld seinem spezifischen Wert und Bedeutung nach. Die
Wirkung, die es unter Umständen im ruhenden Zustand ausübt, be-
steht in einer Antizipation seiner Weiterbewegung. Es ist nichts als
der Träger einer Bewegung, in dem eben alles, was nicht Bewegung
ist, völlig ausgelöscht ist, es ist sozusagen actus purus; es lebt in
kontinuierlicher Selbstentäusserung aus jedem gegebenen Punkt heraus
und bildet so den Gegenpol und die direkte Verneinung jedes Für-
sichseins.

Aber vielleicht bietet es jener entgegengesetzten Art, die Wirk-
lichkeit zu formulieren, sich nicht weniger als Symbol dar. Das
einzelne Geldquantum freilich ist seinem Wesen nach in unablässiger
Bewegung; aber grade nur, weil der von ihm dargestellte Wert sich
zu den einzelnen Wertgegenständen verhält, wie das allgemeine Gesetz
zu den konkreten Gestaltungen, in denen es sich verwirklicht. Wenn
das Gesetz, selbst jenseits aller Bewegungen stehend, doch deren Form
und Grund darstellt, so ist der abstrakte Vermögenswert, der nicht in
Einzelwerte auseinandergegangen ist und als dessen Träger das Geld
subsistiert, gleichsam die Seele und Bestimmung der wirtschaft-
lichen Bewegungen. Während es als greifbare Einzelheit das flüchtigste
Ding der äusserlich-praktischen Welt ist, ist es seinem Inhalte nach
das beständigste, es steht als der Indifferenz- und Ausgleichungspunkt
zwischen all ihren sonstigen Inhalten, sein ideeller Sinn ist, wie der
des Gesetzes, allen Dingen ihr Mass zu geben, ohne sich selbst an
ihnen zu messen, ein Sinn, dessen totale Realisierung freilich erst
einer unendlichen Entwicklung gelänge. Es drückt das Verhältnis aus,
das zwischen den wirtschaftlichen Gütern besteht und bleibt der Strö-
mung dieser gegenüber so stabil, wie eine Zahlenproportion es gegen-
über den vielfachen und wechselnden Gegenständen thut, deren Ver-
hältnis sie angiebt, und wie die Formel des Gravitationsgesetzes gegen-
über den Materienmassen und ihren unendlich mannigfaltigen Be-
wegungen. Wie der allgemeine Begriff, in seiner logischen Gültigkeit
von der Zahl und Modifikation seiner Verwirklichungen unabhängig,
sozusagen das Gesetz eben dieser angiebt, so ist das Geld -- d. h.
derjenige innere Sinn, durch den das einzelne Metall- oder Papier-
stück zum Gelde wird -- der Allgemeinbegriff der Dinge, insofern sie
wirtschaftlich sind. Sie brauchen nicht wirtschaftlich zu sein; wenn
sie es aber sollen, so können sie es nur so, dass sie sich dem Gesetz
des Wert-werdens fügen, das im Gelde verdichtet ist.

Die Beobachtung, dass dieses eine Gebilde an jenen beiden Grund-
formen, die Wirklichkeit auszudrücken, gleichmässig teil hat, giebt
auf ihren Zusammenhang Anweisung: ihr Sinn ist thatsächlich ein

nicht mehr Geld seinem spezifischen Wert und Bedeutung nach. Die
Wirkung, die es unter Umständen im ruhenden Zustand ausübt, be-
steht in einer Antizipation seiner Weiterbewegung. Es ist nichts als
der Träger einer Bewegung, in dem eben alles, was nicht Bewegung
ist, völlig ausgelöscht ist, es ist sozusagen actus purus; es lebt in
kontinuierlicher Selbstentäuſserung aus jedem gegebenen Punkt heraus
und bildet so den Gegenpol und die direkte Verneinung jedes Für-
sichseins.

Aber vielleicht bietet es jener entgegengesetzten Art, die Wirk-
lichkeit zu formulieren, sich nicht weniger als Symbol dar. Das
einzelne Geldquantum freilich ist seinem Wesen nach in unablässiger
Bewegung; aber grade nur, weil der von ihm dargestellte Wert sich
zu den einzelnen Wertgegenständen verhält, wie das allgemeine Gesetz
zu den konkreten Gestaltungen, in denen es sich verwirklicht. Wenn
das Gesetz, selbst jenseits aller Bewegungen stehend, doch deren Form
und Grund darstellt, so ist der abstrakte Vermögenswert, der nicht in
Einzelwerte auseinandergegangen ist und als dessen Träger das Geld
subsistiert, gleichsam die Seele und Bestimmung der wirtschaft-
lichen Bewegungen. Während es als greifbare Einzelheit das flüchtigste
Ding der äuſserlich-praktischen Welt ist, ist es seinem Inhalte nach
das beständigste, es steht als der Indifferenz- und Ausgleichungspunkt
zwischen all ihren sonstigen Inhalten, sein ideeller Sinn ist, wie der
des Gesetzes, allen Dingen ihr Maſs zu geben, ohne sich selbst an
ihnen zu messen, ein Sinn, dessen totale Realisierung freilich erst
einer unendlichen Entwicklung gelänge. Es drückt das Verhältnis aus,
das zwischen den wirtschaftlichen Gütern besteht und bleibt der Strö-
mung dieser gegenüber so stabil, wie eine Zahlenproportion es gegen-
über den vielfachen und wechselnden Gegenständen thut, deren Ver-
hältnis sie angiebt, und wie die Formel des Gravitationsgesetzes gegen-
über den Materienmassen und ihren unendlich mannigfaltigen Be-
wegungen. Wie der allgemeine Begriff, in seiner logischen Gültigkeit
von der Zahl und Modifikation seiner Verwirklichungen unabhängig,
sozusagen das Gesetz eben dieser angiebt, so ist das Geld — d. h.
derjenige innere Sinn, durch den das einzelne Metall- oder Papier-
stück zum Gelde wird — der Allgemeinbegriff der Dinge, insofern sie
wirtschaftlich sind. Sie brauchen nicht wirtschaftlich zu sein; wenn
sie es aber sollen, so können sie es nur so, daſs sie sich dem Gesetz
des Wert-werdens fügen, das im Gelde verdichtet ist.

Die Beobachtung, daſs dieses eine Gebilde an jenen beiden Grund-
formen, die Wirklichkeit auszudrücken, gleichmäſsig teil hat, giebt
auf ihren Zusammenhang Anweisung: ihr Sinn ist thatsächlich ein

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[553/0577] nicht mehr Geld seinem spezifischen Wert und Bedeutung nach. Die Wirkung, die es unter Umständen im ruhenden Zustand ausübt, be- steht in einer Antizipation seiner Weiterbewegung. Es ist nichts als der Träger einer Bewegung, in dem eben alles, was nicht Bewegung ist, völlig ausgelöscht ist, es ist sozusagen actus purus; es lebt in kontinuierlicher Selbstentäuſserung aus jedem gegebenen Punkt heraus und bildet so den Gegenpol und die direkte Verneinung jedes Für- sichseins. Aber vielleicht bietet es jener entgegengesetzten Art, die Wirk- lichkeit zu formulieren, sich nicht weniger als Symbol dar. Das einzelne Geldquantum freilich ist seinem Wesen nach in unablässiger Bewegung; aber grade nur, weil der von ihm dargestellte Wert sich zu den einzelnen Wertgegenständen verhält, wie das allgemeine Gesetz zu den konkreten Gestaltungen, in denen es sich verwirklicht. Wenn das Gesetz, selbst jenseits aller Bewegungen stehend, doch deren Form und Grund darstellt, so ist der abstrakte Vermögenswert, der nicht in Einzelwerte auseinandergegangen ist und als dessen Träger das Geld subsistiert, gleichsam die Seele und Bestimmung der wirtschaft- lichen Bewegungen. Während es als greifbare Einzelheit das flüchtigste Ding der äuſserlich-praktischen Welt ist, ist es seinem Inhalte nach das beständigste, es steht als der Indifferenz- und Ausgleichungspunkt zwischen all ihren sonstigen Inhalten, sein ideeller Sinn ist, wie der des Gesetzes, allen Dingen ihr Maſs zu geben, ohne sich selbst an ihnen zu messen, ein Sinn, dessen totale Realisierung freilich erst einer unendlichen Entwicklung gelänge. Es drückt das Verhältnis aus, das zwischen den wirtschaftlichen Gütern besteht und bleibt der Strö- mung dieser gegenüber so stabil, wie eine Zahlenproportion es gegen- über den vielfachen und wechselnden Gegenständen thut, deren Ver- hältnis sie angiebt, und wie die Formel des Gravitationsgesetzes gegen- über den Materienmassen und ihren unendlich mannigfaltigen Be- wegungen. Wie der allgemeine Begriff, in seiner logischen Gültigkeit von der Zahl und Modifikation seiner Verwirklichungen unabhängig, sozusagen das Gesetz eben dieser angiebt, so ist das Geld — d. h. derjenige innere Sinn, durch den das einzelne Metall- oder Papier- stück zum Gelde wird — der Allgemeinbegriff der Dinge, insofern sie wirtschaftlich sind. Sie brauchen nicht wirtschaftlich zu sein; wenn sie es aber sollen, so können sie es nur so, daſs sie sich dem Gesetz des Wert-werdens fügen, das im Gelde verdichtet ist. Die Beobachtung, daſs dieses eine Gebilde an jenen beiden Grund- formen, die Wirklichkeit auszudrücken, gleichmäſsig teil hat, giebt auf ihren Zusammenhang Anweisung: ihr Sinn ist thatsächlich ein

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/577>, abgerufen am 25.04.2024.