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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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an jedem unorganischen Ding, das eine Weile als solches besteht,
beharrt doch nur das Verhältnis und die Wechselwirkung seiner
kleinsten Teile, während diese selbst in unaufhörlichen molekularen
Bewegungen, unserem Auge entzogen, begriffen sind. Hier ist also die
Realität selbst in rastlosem Flusse, und während wir diesen, sozusagen
wegen mangelnder Sehschärfe, nicht unmittelbar konstatieren können,
verfestigen sich die Formen und Konstellationen der Bewegungen zu
der Erscheinung des dauernden Objektes.

Neben diesen beiden Gegensätzen in der Anwendung des Be-
harrungs- und Bewegungsbegriffes auf die vorgestellte Welt steht ein
dritter. Die Beharrung kann nämlich einen Sinn haben, der sie jen-
seits jeder noch so ausgedehnten Zeitdauer stellt. Der einfachste, aber
für uns hier zureichende Fall derselben ist das Naturgesetz. Die
Gültigkeit des Naturgesetzes beruht darin, dass aus einer gewissen
Konstellation von Elementen eine bestimmte Wirkung sachlich not-
wendig erfolgt. Diese Notwendigkeit ist also ganz unabhängig davon,
wann ihre Bedingungen sich in der Wirklichkeit einmal einstellen;
einmal oder millionenmal, jetzt oder in hunderttausend Jahren; die
Gültigkeit des Gesetzes ist eine ewige im Sinne der Zeitlosigkeit; es
schliesst seinem Wesen und Begriffe nach jegliche Veränderung oder
Bewegung von sich aus. Dafür ist es hier unwesentlich, dass wir
keinem einzelnen Naturgesetz diese unbedingte Gültigkeit mit un-
bedingter Sicherheit zusprechen dürfen: und zwar nicht nur wegen
der unvermeidlichen Korrigierbarkeit unseres Erkennens überhaupt, das
die oft wiederholte, aber zufällige Kombination der Erscheinungen
durch kein unfehlbares Kriterium von dem wirklichen gesetzlichen
Zusammenhang unterscheiden kann; sondern vor allem, weil jedes
Naturgesetz doch nur für eine bestimmte geistige Verfassung gilt,
während für eine andre eine abweichende Formulierung desselben
Sachverhaltes Wahrheit bedeuten würde. Da nun aber der mensch-
liche Geist einer, wie auch langsamen und unmerkbaren Entwicklung
unterliegt, so kann es kein, in einem gegebnen Augenblick gültiges
Gesetz geben, das der Umwandlung im Laufe der Zeiten entzogen
wäre. Allein dieser Wechsel betrifft nur den jeweils erkennbaren
Inhalt der Naturgesetzlichkeit, nicht den Sinn und Begriff derselben;
die Idee des Gesetzes, die über jeder einzelnen ihrer unvollkommenen
Verwirklichungen steht, aus der diese aber doch ihr ganzes Recht und
Bedeutung ziehen -- beruht in jenem Jenseits aller Bewegung, jenem
Gelten, das von allen Gegebenheiten, weil sie veränderlich sind, un-
abhängig ist. Zu dieser eigentümlichen absoluten Form des Beharrens
muss es ein Seitenstück in einer entsprechenden Form der Bewegung

an jedem unorganischen Ding, das eine Weile als solches besteht,
beharrt doch nur das Verhältnis und die Wechselwirkung seiner
kleinsten Teile, während diese selbst in unaufhörlichen molekularen
Bewegungen, unserem Auge entzogen, begriffen sind. Hier ist also die
Realität selbst in rastlosem Flusse, und während wir diesen, sozusagen
wegen mangelnder Sehschärfe, nicht unmittelbar konstatieren können,
verfestigen sich die Formen und Konstellationen der Bewegungen zu
der Erscheinung des dauernden Objektes.

Neben diesen beiden Gegensätzen in der Anwendung des Be-
harrungs- und Bewegungsbegriffes auf die vorgestellte Welt steht ein
dritter. Die Beharrung kann nämlich einen Sinn haben, der sie jen-
seits jeder noch so ausgedehnten Zeitdauer stellt. Der einfachste, aber
für uns hier zureichende Fall derselben ist das Naturgesetz. Die
Gültigkeit des Naturgesetzes beruht darin, daſs aus einer gewissen
Konstellation von Elementen eine bestimmte Wirkung sachlich not-
wendig erfolgt. Diese Notwendigkeit ist also ganz unabhängig davon,
wann ihre Bedingungen sich in der Wirklichkeit einmal einstellen;
einmal oder millionenmal, jetzt oder in hunderttausend Jahren; die
Gültigkeit des Gesetzes ist eine ewige im Sinne der Zeitlosigkeit; es
schlieſst seinem Wesen und Begriffe nach jegliche Veränderung oder
Bewegung von sich aus. Dafür ist es hier unwesentlich, daſs wir
keinem einzelnen Naturgesetz diese unbedingte Gültigkeit mit un-
bedingter Sicherheit zusprechen dürfen: und zwar nicht nur wegen
der unvermeidlichen Korrigierbarkeit unseres Erkennens überhaupt, das
die oft wiederholte, aber zufällige Kombination der Erscheinungen
durch kein unfehlbares Kriterium von dem wirklichen gesetzlichen
Zusammenhang unterscheiden kann; sondern vor allem, weil jedes
Naturgesetz doch nur für eine bestimmte geistige Verfassung gilt,
während für eine andre eine abweichende Formulierung desselben
Sachverhaltes Wahrheit bedeuten würde. Da nun aber der mensch-
liche Geist einer, wie auch langsamen und unmerkbaren Entwicklung
unterliegt, so kann es kein, in einem gegebnen Augenblick gültiges
Gesetz geben, das der Umwandlung im Laufe der Zeiten entzogen
wäre. Allein dieser Wechsel betrifft nur den jeweils erkennbaren
Inhalt der Naturgesetzlichkeit, nicht den Sinn und Begriff derselben;
die Idee des Gesetzes, die über jeder einzelnen ihrer unvollkommenen
Verwirklichungen steht, aus der diese aber doch ihr ganzes Recht und
Bedeutung ziehen — beruht in jenem Jenseits aller Bewegung, jenem
Gelten, das von allen Gegebenheiten, weil sie veränderlich sind, un-
abhängig ist. Zu dieser eigentümlichen absoluten Form des Beharrens
muſs es ein Seitenstück in einer entsprechenden Form der Bewegung

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[551/0575] an jedem unorganischen Ding, das eine Weile als solches besteht, beharrt doch nur das Verhältnis und die Wechselwirkung seiner kleinsten Teile, während diese selbst in unaufhörlichen molekularen Bewegungen, unserem Auge entzogen, begriffen sind. Hier ist also die Realität selbst in rastlosem Flusse, und während wir diesen, sozusagen wegen mangelnder Sehschärfe, nicht unmittelbar konstatieren können, verfestigen sich die Formen und Konstellationen der Bewegungen zu der Erscheinung des dauernden Objektes. Neben diesen beiden Gegensätzen in der Anwendung des Be- harrungs- und Bewegungsbegriffes auf die vorgestellte Welt steht ein dritter. Die Beharrung kann nämlich einen Sinn haben, der sie jen- seits jeder noch so ausgedehnten Zeitdauer stellt. Der einfachste, aber für uns hier zureichende Fall derselben ist das Naturgesetz. Die Gültigkeit des Naturgesetzes beruht darin, daſs aus einer gewissen Konstellation von Elementen eine bestimmte Wirkung sachlich not- wendig erfolgt. Diese Notwendigkeit ist also ganz unabhängig davon, wann ihre Bedingungen sich in der Wirklichkeit einmal einstellen; einmal oder millionenmal, jetzt oder in hunderttausend Jahren; die Gültigkeit des Gesetzes ist eine ewige im Sinne der Zeitlosigkeit; es schlieſst seinem Wesen und Begriffe nach jegliche Veränderung oder Bewegung von sich aus. Dafür ist es hier unwesentlich, daſs wir keinem einzelnen Naturgesetz diese unbedingte Gültigkeit mit un- bedingter Sicherheit zusprechen dürfen: und zwar nicht nur wegen der unvermeidlichen Korrigierbarkeit unseres Erkennens überhaupt, das die oft wiederholte, aber zufällige Kombination der Erscheinungen durch kein unfehlbares Kriterium von dem wirklichen gesetzlichen Zusammenhang unterscheiden kann; sondern vor allem, weil jedes Naturgesetz doch nur für eine bestimmte geistige Verfassung gilt, während für eine andre eine abweichende Formulierung desselben Sachverhaltes Wahrheit bedeuten würde. Da nun aber der mensch- liche Geist einer, wie auch langsamen und unmerkbaren Entwicklung unterliegt, so kann es kein, in einem gegebnen Augenblick gültiges Gesetz geben, das der Umwandlung im Laufe der Zeiten entzogen wäre. Allein dieser Wechsel betrifft nur den jeweils erkennbaren Inhalt der Naturgesetzlichkeit, nicht den Sinn und Begriff derselben; die Idee des Gesetzes, die über jeder einzelnen ihrer unvollkommenen Verwirklichungen steht, aus der diese aber doch ihr ganzes Recht und Bedeutung ziehen — beruht in jenem Jenseits aller Bewegung, jenem Gelten, das von allen Gegebenheiten, weil sie veränderlich sind, un- abhängig ist. Zu dieser eigentümlichen absoluten Form des Beharrens muſs es ein Seitenstück in einer entsprechenden Form der Bewegung

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/575>, abgerufen am 19.04.2024.