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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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einanderhalten möglichst grosser Summen, die Ausgleichung eines über-
wiegenden Teiles von Angebot und Nachfrage überhaupt, zu seiner
grössten Wertbestimmtheit und Verwendbarkeit führen. Ein Scheffel
Getreide hat eine gewisse Bedeutung an jedem noch so isolierten Platze,
so grosse Unterschiede auch sein Geldpreis aufweise. Ein Geldquan-
tum aber hat seine Bedeutung nur im Zusammentreffen mit anderen
Werten; mit je mehren es zusammentrifft, um so sicherer und ge-
rechter erlangt es jene; deshalb drängt nicht nur "alles nach Golde"
-- die Menschen wie die Dinge -- sondern das Geld drängt auch
seinerseits nach "Allem", es sucht sich mit anderem Gelde, mit allen
möglichen Werten und ihren Besitzern zusammenzubringen. Und der
gleiche Zusammenhang in umgekehrter Richtung: der Konflux vieler
Menschen erzeugt ein besonders starkes Bedürfnis nach Geld. In
Deutschland entstand eine hauptsächliche Nachfrage nach Geld durch
die Jahrmärkte, die die Territorialherren einrichteten, um an Münz-
tausch und Warenzoll zu profitieren. Durch diese zwangsweise Kon-
zentrierung des Handelsverkehrs eines grösseren Territoriums an einem
Punkte wurde Kauflust und Umsatz sehr gesteigert, der Gebrauch des
Geldes wurde erst dadurch zur allgemeinen Notwendigkeit. Wo nur
immer viele Menschen zusammenkommen, wird Geld verhältnismässig
stärker erfordert werden. Denn wegen seiner an sich indifferenten
Natur ist es die geeignetste Brücke und Verständigungsmittel zwischen
vielen und verschiedenen Persönlichkeiten; je mehre es sind, desto spär-
licher werden die Gebiete, auf denen andere als Geldinteressen die
Basis ihres Verkehrs bilden können.

Aus all diesem ergiebt sich, in wie hohem Masse das Geld die
Steigerung des Lebenstempos bezeichnet, wie es sich an der Zahl und
Mannigfaltigkeit der einströmenden und einander ablösenden Eindrücke
und Anregungen misst. Die Tendenz des Geldes, zusammenzufliessen
und sich, wenn auch nicht in der Hand eines Einzelnen, so doch in
lokal eng begrenzten Zentren zu akkumulieren, die Interessen der In-
dividuen und damit sie selbst an solchen zusammenzuführen, sie auf
einem gemeinsamen Boden in Berührung zu bringen, und so -- wie
es auch in der von ihm dargestellten Wertform liegt -- das Mannig-
faltigste in den kleinsten Umfang zu konzentrieren -- diese Tendenz
und Fähigkeit des Geldes hat den psychischen Erfolg, die Buntheit und
Fülle des Lebens, das heisst also sein Tempo zu steigern. Schon sonst ist
der Zusammenhang davon betont worden, dass mit dem aufkommenden
Kapitalismus in Deutschland -- als im 15. Jahrhundert einerseits der Welt-
handel, andrerseits die Finanzzentren mit dem raschen Umsatz billigen
Geldes entstanden -- zuerst der moderne Begriff der Zeit durchdrang, als

einanderhalten möglichst groſser Summen, die Ausgleichung eines über-
wiegenden Teiles von Angebot und Nachfrage überhaupt, zu seiner
gröſsten Wertbestimmtheit und Verwendbarkeit führen. Ein Scheffel
Getreide hat eine gewisse Bedeutung an jedem noch so isolierten Platze,
so groſse Unterschiede auch sein Geldpreis aufweise. Ein Geldquan-
tum aber hat seine Bedeutung nur im Zusammentreffen mit anderen
Werten; mit je mehren es zusammentrifft, um so sicherer und ge-
rechter erlangt es jene; deshalb drängt nicht nur „alles nach Golde“
— die Menschen wie die Dinge — sondern das Geld drängt auch
seinerseits nach „Allem“, es sucht sich mit anderem Gelde, mit allen
möglichen Werten und ihren Besitzern zusammenzubringen. Und der
gleiche Zusammenhang in umgekehrter Richtung: der Konflux vieler
Menschen erzeugt ein besonders starkes Bedürfnis nach Geld. In
Deutschland entstand eine hauptsächliche Nachfrage nach Geld durch
die Jahrmärkte, die die Territorialherren einrichteten, um an Münz-
tausch und Warenzoll zu profitieren. Durch diese zwangsweise Kon-
zentrierung des Handelsverkehrs eines gröſseren Territoriums an einem
Punkte wurde Kauflust und Umsatz sehr gesteigert, der Gebrauch des
Geldes wurde erst dadurch zur allgemeinen Notwendigkeit. Wo nur
immer viele Menschen zusammenkommen, wird Geld verhältnismäſsig
stärker erfordert werden. Denn wegen seiner an sich indifferenten
Natur ist es die geeignetste Brücke und Verständigungsmittel zwischen
vielen und verschiedenen Persönlichkeiten; je mehre es sind, desto spär-
licher werden die Gebiete, auf denen andere als Geldinteressen die
Basis ihres Verkehrs bilden können.

Aus all diesem ergiebt sich, in wie hohem Maſse das Geld die
Steigerung des Lebenstempos bezeichnet, wie es sich an der Zahl und
Mannigfaltigkeit der einströmenden und einander ablösenden Eindrücke
und Anregungen miſst. Die Tendenz des Geldes, zusammenzuflieſsen
und sich, wenn auch nicht in der Hand eines Einzelnen, so doch in
lokal eng begrenzten Zentren zu akkumulieren, die Interessen der In-
dividuen und damit sie selbst an solchen zusammenzuführen, sie auf
einem gemeinsamen Boden in Berührung zu bringen, und so — wie
es auch in der von ihm dargestellten Wertform liegt — das Mannig-
faltigste in den kleinsten Umfang zu konzentrieren — diese Tendenz
und Fähigkeit des Geldes hat den psychischen Erfolg, die Buntheit und
Fülle des Lebens, das heiſst also sein Tempo zu steigern. Schon sonst ist
der Zusammenhang davon betont worden, daſs mit dem aufkommenden
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handel, andrerseits die Finanzzentren mit dem raschen Umsatz billigen
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[546/0570] einanderhalten möglichst groſser Summen, die Ausgleichung eines über- wiegenden Teiles von Angebot und Nachfrage überhaupt, zu seiner gröſsten Wertbestimmtheit und Verwendbarkeit führen. Ein Scheffel Getreide hat eine gewisse Bedeutung an jedem noch so isolierten Platze, so groſse Unterschiede auch sein Geldpreis aufweise. Ein Geldquan- tum aber hat seine Bedeutung nur im Zusammentreffen mit anderen Werten; mit je mehren es zusammentrifft, um so sicherer und ge- rechter erlangt es jene; deshalb drängt nicht nur „alles nach Golde“ — die Menschen wie die Dinge — sondern das Geld drängt auch seinerseits nach „Allem“, es sucht sich mit anderem Gelde, mit allen möglichen Werten und ihren Besitzern zusammenzubringen. Und der gleiche Zusammenhang in umgekehrter Richtung: der Konflux vieler Menschen erzeugt ein besonders starkes Bedürfnis nach Geld. In Deutschland entstand eine hauptsächliche Nachfrage nach Geld durch die Jahrmärkte, die die Territorialherren einrichteten, um an Münz- tausch und Warenzoll zu profitieren. Durch diese zwangsweise Kon- zentrierung des Handelsverkehrs eines gröſseren Territoriums an einem Punkte wurde Kauflust und Umsatz sehr gesteigert, der Gebrauch des Geldes wurde erst dadurch zur allgemeinen Notwendigkeit. Wo nur immer viele Menschen zusammenkommen, wird Geld verhältnismäſsig stärker erfordert werden. Denn wegen seiner an sich indifferenten Natur ist es die geeignetste Brücke und Verständigungsmittel zwischen vielen und verschiedenen Persönlichkeiten; je mehre es sind, desto spär- licher werden die Gebiete, auf denen andere als Geldinteressen die Basis ihres Verkehrs bilden können. Aus all diesem ergiebt sich, in wie hohem Maſse das Geld die Steigerung des Lebenstempos bezeichnet, wie es sich an der Zahl und Mannigfaltigkeit der einströmenden und einander ablösenden Eindrücke und Anregungen miſst. Die Tendenz des Geldes, zusammenzuflieſsen und sich, wenn auch nicht in der Hand eines Einzelnen, so doch in lokal eng begrenzten Zentren zu akkumulieren, die Interessen der In- dividuen und damit sie selbst an solchen zusammenzuführen, sie auf einem gemeinsamen Boden in Berührung zu bringen, und so — wie es auch in der von ihm dargestellten Wertform liegt — das Mannig- faltigste in den kleinsten Umfang zu konzentrieren — diese Tendenz und Fähigkeit des Geldes hat den psychischen Erfolg, die Buntheit und Fülle des Lebens, das heiſst also sein Tempo zu steigern. Schon sonst ist der Zusammenhang davon betont worden, daſs mit dem aufkommenden Kapitalismus in Deutschland — als im 15. Jahrhundert einerseits der Welt- handel, andrerseits die Finanzzentren mit dem raschen Umsatz billigen Geldes entstanden — zuerst der moderne Begriff der Zeit durchdrang, als

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/570>, abgerufen am 27.04.2024.