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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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indem wir sie beherrschen. Wie wir einerseits die Sklaven des Pro-
duktionsprozesses geworden sind, so andrerseits die Sklaven der Pro-
dukte: d. h., was uns die Natur vermöge der Technik von aussen
liefert, ist durch tausend Gewöhnungen, tausend Zerstreuungen, tausend
Bedürfnisse äusserlicher Art über das Sich-Selbst-Gehören, über die
geistige Zentripetalität des Lebens Herr geworden. Damit hat das Domi-
nieren der Mittel nicht nur einzelne Zwecke, sondern den Sitz der Zwecke
überhaupt ergriffen, den Punkt, in dem alle Zwecke zusammenlaufen, weil
sie, soweit sie wirklich Endzwecke sind, nur aus ihm entspringen
können. So ist der Mensch gleichsam aus sich selbst entfernt, zwischen
ihn und sein Eigentlichstes, Wesentlichstes, hat sich eine Unübersteig-
lichkeit von Mittelbarkeiten, technischen Errungenschaften, Fähigkeiten,
Geniessbarkeiten geschoben.

Solcher Betonung der Mittelinstanzen des Lebens, gegenüber seinem
zentralen und definitiven Sinne, wüsste ich übrigens keine Zeit, der
dies ganz fremd gewesen wäre, entgegenzustellen. Vielmehr, da der
Mensch ganz auf die Kategorie von Zweck und Mittel gestellt ist, so
ist es wohl sein dauerndes Verhängnis, sich in einem Widerstreit der
Ansprüche zu bewegen, die der Zweck unmittelbar, und die die Mittel
stellen; das Mittel enthält immer die innere Schwierigkeit, für sich
Kraft und Bewusstsein zu verbrauchen, die eigentlich nicht ihm, sondern
einem andern gelten. Aber es ist ja gar nicht der Sinn des Lebens, die
Dauer versöhnter Zustände, nach der es strebt, auch wirklich zu erlangen.
Es mag sogar für die Schwungkraft unserer Innerlichkeit grade darauf
ankommen, jenen Widerspruch lebendig zu erhalten, und an seiner
Heftigkeit, an dem Überwiegen der einen oder der anderen Seite, an
der psychologischen Form, in der jede von beiden auftritt, dürften
sich die Lebensstile mit am charakteristischsten unterscheiden. Für
die Gegenwart, in der das Vorwiegen der Technik ersichtlich ein Über-
wiegen des klaren, intelligenten Bewusstseins -- als Ursache wie als
Folge -- bedeutet, habe ich hervorgehoben, dass die Geistigkeit und
Sammlung der Seele, von der lauten Pracht des naturwissenschaftlich-
technischen Zeitalters übertäubt, sich als ein dumpfes Gefühl von
Spannung und unorientierter Sehnsucht rächt; als ein Gefühl, als läge
der ganze Sinn unserer Existenz in einer so weiten Ferne, dass wir
ihn gar nicht bestimmt lokalisieren können und so immer in Gefahr
sind, uns von ihm fort, statt auf ihn hin zu bewegen -- und dann wieder,
als läge er vor unseren Augen, mit einem Ausstrecken der Hand würden
wir ihn greifen, wenn nicht immer grade ein Minimum von Mut, von
Kraft oder von innerer Sicherheit uns fehlte. Ich glaube, dass diese
heimliche Unruhe, dies ratlose Drängen unter der Schwelle des Be-

indem wir sie beherrschen. Wie wir einerseits die Sklaven des Pro-
duktionsprozesses geworden sind, so andrerseits die Sklaven der Pro-
dukte: d. h., was uns die Natur vermöge der Technik von auſsen
liefert, ist durch tausend Gewöhnungen, tausend Zerstreuungen, tausend
Bedürfnisse äuſserlicher Art über das Sich-Selbst-Gehören, über die
geistige Zentripetalität des Lebens Herr geworden. Damit hat das Domi-
nieren der Mittel nicht nur einzelne Zwecke, sondern den Sitz der Zwecke
überhaupt ergriffen, den Punkt, in dem alle Zwecke zusammenlaufen, weil
sie, soweit sie wirklich Endzwecke sind, nur aus ihm entspringen
können. So ist der Mensch gleichsam aus sich selbst entfernt, zwischen
ihn und sein Eigentlichstes, Wesentlichstes, hat sich eine Unübersteig-
lichkeit von Mittelbarkeiten, technischen Errungenschaften, Fähigkeiten,
Genieſsbarkeiten geschoben.

Solcher Betonung der Mittelinstanzen des Lebens, gegenüber seinem
zentralen und definitiven Sinne, wüſste ich übrigens keine Zeit, der
dies ganz fremd gewesen wäre, entgegenzustellen. Vielmehr, da der
Mensch ganz auf die Kategorie von Zweck und Mittel gestellt ist, so
ist es wohl sein dauerndes Verhängnis, sich in einem Widerstreit der
Ansprüche zu bewegen, die der Zweck unmittelbar, und die die Mittel
stellen; das Mittel enthält immer die innere Schwierigkeit, für sich
Kraft und Bewuſstsein zu verbrauchen, die eigentlich nicht ihm, sondern
einem andern gelten. Aber es ist ja gar nicht der Sinn des Lebens, die
Dauer versöhnter Zustände, nach der es strebt, auch wirklich zu erlangen.
Es mag sogar für die Schwungkraft unserer Innerlichkeit grade darauf
ankommen, jenen Widerspruch lebendig zu erhalten, und an seiner
Heftigkeit, an dem Überwiegen der einen oder der anderen Seite, an
der psychologischen Form, in der jede von beiden auftritt, dürften
sich die Lebensstile mit am charakteristischsten unterscheiden. Für
die Gegenwart, in der das Vorwiegen der Technik ersichtlich ein Über-
wiegen des klaren, intelligenten Bewuſstseins — als Ursache wie als
Folge — bedeutet, habe ich hervorgehoben, daſs die Geistigkeit und
Sammlung der Seele, von der lauten Pracht des naturwissenschaftlich-
technischen Zeitalters übertäubt, sich als ein dumpfes Gefühl von
Spannung und unorientierter Sehnsucht rächt; als ein Gefühl, als läge
der ganze Sinn unserer Existenz in einer so weiten Ferne, daſs wir
ihn gar nicht bestimmt lokalisieren können und so immer in Gefahr
sind, uns von ihm fort, statt auf ihn hin zu bewegen — und dann wieder,
als läge er vor unseren Augen, mit einem Ausstrecken der Hand würden
wir ihn greifen, wenn nicht immer grade ein Minimum von Mut, von
Kraft oder von innerer Sicherheit uns fehlte. Ich glaube, daſs diese
heimliche Unruhe, dies ratlose Drängen unter der Schwelle des Be-

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[522/0546] indem wir sie beherrschen. Wie wir einerseits die Sklaven des Pro- duktionsprozesses geworden sind, so andrerseits die Sklaven der Pro- dukte: d. h., was uns die Natur vermöge der Technik von auſsen liefert, ist durch tausend Gewöhnungen, tausend Zerstreuungen, tausend Bedürfnisse äuſserlicher Art über das Sich-Selbst-Gehören, über die geistige Zentripetalität des Lebens Herr geworden. Damit hat das Domi- nieren der Mittel nicht nur einzelne Zwecke, sondern den Sitz der Zwecke überhaupt ergriffen, den Punkt, in dem alle Zwecke zusammenlaufen, weil sie, soweit sie wirklich Endzwecke sind, nur aus ihm entspringen können. So ist der Mensch gleichsam aus sich selbst entfernt, zwischen ihn und sein Eigentlichstes, Wesentlichstes, hat sich eine Unübersteig- lichkeit von Mittelbarkeiten, technischen Errungenschaften, Fähigkeiten, Genieſsbarkeiten geschoben. Solcher Betonung der Mittelinstanzen des Lebens, gegenüber seinem zentralen und definitiven Sinne, wüſste ich übrigens keine Zeit, der dies ganz fremd gewesen wäre, entgegenzustellen. Vielmehr, da der Mensch ganz auf die Kategorie von Zweck und Mittel gestellt ist, so ist es wohl sein dauerndes Verhängnis, sich in einem Widerstreit der Ansprüche zu bewegen, die der Zweck unmittelbar, und die die Mittel stellen; das Mittel enthält immer die innere Schwierigkeit, für sich Kraft und Bewuſstsein zu verbrauchen, die eigentlich nicht ihm, sondern einem andern gelten. Aber es ist ja gar nicht der Sinn des Lebens, die Dauer versöhnter Zustände, nach der es strebt, auch wirklich zu erlangen. Es mag sogar für die Schwungkraft unserer Innerlichkeit grade darauf ankommen, jenen Widerspruch lebendig zu erhalten, und an seiner Heftigkeit, an dem Überwiegen der einen oder der anderen Seite, an der psychologischen Form, in der jede von beiden auftritt, dürften sich die Lebensstile mit am charakteristischsten unterscheiden. Für die Gegenwart, in der das Vorwiegen der Technik ersichtlich ein Über- wiegen des klaren, intelligenten Bewuſstseins — als Ursache wie als Folge — bedeutet, habe ich hervorgehoben, daſs die Geistigkeit und Sammlung der Seele, von der lauten Pracht des naturwissenschaftlich- technischen Zeitalters übertäubt, sich als ein dumpfes Gefühl von Spannung und unorientierter Sehnsucht rächt; als ein Gefühl, als läge der ganze Sinn unserer Existenz in einer so weiten Ferne, daſs wir ihn gar nicht bestimmt lokalisieren können und so immer in Gefahr sind, uns von ihm fort, statt auf ihn hin zu bewegen — und dann wieder, als läge er vor unseren Augen, mit einem Ausstrecken der Hand würden wir ihn greifen, wenn nicht immer grade ein Minimum von Mut, von Kraft oder von innerer Sicherheit uns fehlte. Ich glaube, daſs diese heimliche Unruhe, dies ratlose Drängen unter der Schwelle des Be-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/546>, abgerufen am 07.05.2024.