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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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winnen, dass wir, uns in uns selbst zurückziehend, von ihnen abrücken,
oder die immer bestehende Distanz gegen sie nun bewusst anerkennen.
Und wenn dieser Subjektivismus unvermeidlicher Weise mit dem
stärkeren Selbstbewusstsein unserer Innerlichkeit diese auch häufiger
betonen und besprechen lässt, so ist doch andrerseits mit ihm eine
neue, tiefere, bewusstere Scham verbunden, eine zarte Scheu, das
Letzte auszusprechen oder auch einem Verhältnis die naturalistische
Form zu geben, die sein innerstes Fundament fortwährend sichtbar
machte. Und auf weiteren wissenschaftlichen Gebieten: innerhalb der
ethischen Überlegungen tritt die platte Nützlichkeit als Wertmassstab
des Wollens immer weiter zurück, man sieht, dass dieser Charakter
des Handelns eben nur dessen Beziehung zu dem Allernächstliegen-
den betrifft und dass es deshalb seine eigentümliche Direktive, die
es über seine blosse Technik als Mittel heraushebe, von höher auf-
blickenden, oft religiösen, der sinnlichen Unmittelbarkeit kaum ver-
wandten Prinzipien erhalten muss. Endlich: über der spezialistischen
Detailarbeit erhebt sich von allen Seiten her der Ruf nach Zusammen-
fassung und Verallgemeinerung, also nach einer überschauenden
Distanz von allen konkreten Einzelheiten, nach einem Fernbild, in
dem alle Unruhe des Nahewirkenden aufgehoben und das bisher nur
Greifbare nun auch begreifbar würde.

Diese Tendenz würde vielleicht nicht so wirksam und merkbar sein,
wenn ihr nicht die entgegengesetzte zur Seite ginge. Das geistige
Verhältnis zur Welt, das die moderne Wissenschaft stiftet, ist that-
sächlich nach beiden Seiten hin auszudeuten. Gewiss sind schon allein
durch Mikroskop und Teleskop unendliche Distanzen zwischen uns
und den Dingen überwunden worden; aber sie sind doch für das Be-
wusstsein erst in dem Augenblick entstanden, in dem es sie auch
überwand. Nimmt man hinzu, dass jedes gelöste Rätsel mehr als ein
neues aufgiebt und das Näher-herankommen an die Dinge uns sehr
oft erst zeigt, wie fern sie uns noch sind -- so muss man sagen: die
Zeiten der Mythologie, der ganz allgemeinen und oberflächlichen Kennt-
nisse, der Anthropomorphisierung der Natur lassen in subjektiver
Hinsicht, nach der Seite des Gefühls und des, wie immer irrigen,
Glaubens, eine geringere Distanz zwischen Menschen und Dingen be-
stehen, als die jetzige. Alle raffinierten Methoden, durch die wir in
das Innere der Natur eindringen, ersetzen doch nur sehr langsam und
stückweise ihre innig vertraute Nähe, die die Götter Griechenlands,
die Deutung der Welt nach menschlichen Impulsen und Gefühlen, die
Lenkung ihrer durch einen persönlich eingreifenden Gott, ihre teleo-
logische Einstellung auf das Wohl des Menschen, der Seele gewährt

winnen, daſs wir, uns in uns selbst zurückziehend, von ihnen abrücken,
oder die immer bestehende Distanz gegen sie nun bewuſst anerkennen.
Und wenn dieser Subjektivismus unvermeidlicher Weise mit dem
stärkeren Selbstbewuſstsein unserer Innerlichkeit diese auch häufiger
betonen und besprechen läſst, so ist doch andrerseits mit ihm eine
neue, tiefere, bewuſstere Scham verbunden, eine zarte Scheu, das
Letzte auszusprechen oder auch einem Verhältnis die naturalistische
Form zu geben, die sein innerstes Fundament fortwährend sichtbar
machte. Und auf weiteren wissenschaftlichen Gebieten: innerhalb der
ethischen Überlegungen tritt die platte Nützlichkeit als Wertmaſsstab
des Wollens immer weiter zurück, man sieht, daſs dieser Charakter
des Handelns eben nur dessen Beziehung zu dem Allernächstliegen-
den betrifft und daſs es deshalb seine eigentümliche Direktive, die
es über seine bloſse Technik als Mittel heraushebe, von höher auf-
blickenden, oft religiösen, der sinnlichen Unmittelbarkeit kaum ver-
wandten Prinzipien erhalten muſs. Endlich: über der spezialistischen
Detailarbeit erhebt sich von allen Seiten her der Ruf nach Zusammen-
fassung und Verallgemeinerung, also nach einer überschauenden
Distanz von allen konkreten Einzelheiten, nach einem Fernbild, in
dem alle Unruhe des Nahewirkenden aufgehoben und das bisher nur
Greifbare nun auch begreifbar würde.

Diese Tendenz würde vielleicht nicht so wirksam und merkbar sein,
wenn ihr nicht die entgegengesetzte zur Seite ginge. Das geistige
Verhältnis zur Welt, das die moderne Wissenschaft stiftet, ist that-
sächlich nach beiden Seiten hin auszudeuten. Gewiſs sind schon allein
durch Mikroskop und Teleskop unendliche Distanzen zwischen uns
und den Dingen überwunden worden; aber sie sind doch für das Be-
wuſstsein erst in dem Augenblick entstanden, in dem es sie auch
überwand. Nimmt man hinzu, daſs jedes gelöste Rätsel mehr als ein
neues aufgiebt und das Näher-herankommen an die Dinge uns sehr
oft erst zeigt, wie fern sie uns noch sind — so muſs man sagen: die
Zeiten der Mythologie, der ganz allgemeinen und oberflächlichen Kennt-
nisse, der Anthropomorphisierung der Natur lassen in subjektiver
Hinsicht, nach der Seite des Gefühls und des, wie immer irrigen,
Glaubens, eine geringere Distanz zwischen Menschen und Dingen be-
stehen, als die jetzige. Alle raffinierten Methoden, durch die wir in
das Innere der Natur eindringen, ersetzen doch nur sehr langsam und
stückweise ihre innig vertraute Nähe, die die Götter Griechenlands,
die Deutung der Welt nach menschlichen Impulsen und Gefühlen, die
Lenkung ihrer durch einen persönlich eingreifenden Gott, ihre teleo-
logische Einstellung auf das Wohl des Menschen, der Seele gewährt

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[512/0536] winnen, daſs wir, uns in uns selbst zurückziehend, von ihnen abrücken, oder die immer bestehende Distanz gegen sie nun bewuſst anerkennen. Und wenn dieser Subjektivismus unvermeidlicher Weise mit dem stärkeren Selbstbewuſstsein unserer Innerlichkeit diese auch häufiger betonen und besprechen läſst, so ist doch andrerseits mit ihm eine neue, tiefere, bewuſstere Scham verbunden, eine zarte Scheu, das Letzte auszusprechen oder auch einem Verhältnis die naturalistische Form zu geben, die sein innerstes Fundament fortwährend sichtbar machte. Und auf weiteren wissenschaftlichen Gebieten: innerhalb der ethischen Überlegungen tritt die platte Nützlichkeit als Wertmaſsstab des Wollens immer weiter zurück, man sieht, daſs dieser Charakter des Handelns eben nur dessen Beziehung zu dem Allernächstliegen- den betrifft und daſs es deshalb seine eigentümliche Direktive, die es über seine bloſse Technik als Mittel heraushebe, von höher auf- blickenden, oft religiösen, der sinnlichen Unmittelbarkeit kaum ver- wandten Prinzipien erhalten muſs. Endlich: über der spezialistischen Detailarbeit erhebt sich von allen Seiten her der Ruf nach Zusammen- fassung und Verallgemeinerung, also nach einer überschauenden Distanz von allen konkreten Einzelheiten, nach einem Fernbild, in dem alle Unruhe des Nahewirkenden aufgehoben und das bisher nur Greifbare nun auch begreifbar würde. Diese Tendenz würde vielleicht nicht so wirksam und merkbar sein, wenn ihr nicht die entgegengesetzte zur Seite ginge. Das geistige Verhältnis zur Welt, das die moderne Wissenschaft stiftet, ist that- sächlich nach beiden Seiten hin auszudeuten. Gewiſs sind schon allein durch Mikroskop und Teleskop unendliche Distanzen zwischen uns und den Dingen überwunden worden; aber sie sind doch für das Be- wuſstsein erst in dem Augenblick entstanden, in dem es sie auch überwand. Nimmt man hinzu, daſs jedes gelöste Rätsel mehr als ein neues aufgiebt und das Näher-herankommen an die Dinge uns sehr oft erst zeigt, wie fern sie uns noch sind — so muſs man sagen: die Zeiten der Mythologie, der ganz allgemeinen und oberflächlichen Kennt- nisse, der Anthropomorphisierung der Natur lassen in subjektiver Hinsicht, nach der Seite des Gefühls und des, wie immer irrigen, Glaubens, eine geringere Distanz zwischen Menschen und Dingen be- stehen, als die jetzige. Alle raffinierten Methoden, durch die wir in das Innere der Natur eindringen, ersetzen doch nur sehr langsam und stückweise ihre innig vertraute Nähe, die die Götter Griechenlands, die Deutung der Welt nach menschlichen Impulsen und Gefühlen, die Lenkung ihrer durch einen persönlich eingreifenden Gott, ihre teleo- logische Einstellung auf das Wohl des Menschen, der Seele gewährt

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/536>, abgerufen am 22.11.2024.