Man macht sich selten klar, in welchem Umfang unsere Vor- stellungen von den seelischen Prozessen bloss symbolische Bedeutung besitzen. Die primitive Not des Lebens hat uns gezwungen, die räum- liche Aussenwelt zum ersten Objekt unserer Aufmerksamkeit zu machen; für ihre Inhalte und Verhältnisse gelten deshalb zunächst die Be- griffe, durch die wir ein beobachtetes Dasein ausserhalb des be- obachtenden Subjekts vorstellen; sie ist der Typus des Objekts über- haupt und ihren Formen muss sich jede Vorstellung fügen, die für uns Objekt werden soll. Diese Forderung ergreift die Seele selbst, die sich zum Gegenstand ihrer eignen Beobachtung macht. Vorher freilich scheint sich noch die Beobachtung des Du einzustellen, ersichtlich eines der dringendsten Erfordernisse des Gemeinschaftslebens und der individuellen Selbstbehauptung. Allein da wir die Seele des Anderen niemals unmittelbar beobachten können, da er unserer Wahrnehmung niemals mehr, als Eindrücke äusserer Sinne gewährt, so ist alle psychologische Kenntnis seiner ausschliesslich eine Hineindeutung von Bewusstseinsvorgängen, die wir in unserer Seele wahrnehmen und auf jenen übertragen, wenn physische Eindrücke von ihm her uns dazu anregen -- so wenig diese Übertragung, ausschliesslich für ihren Zielpunkt inter- essiert, sich von ihrem Ausgangspunkt Rechenschaft ablegen mag. So- bald die Seele sich selbst zum Objekt ihres Vorstellens macht, kann sie es nur unter dem Bilde räumlicher Vorgänge. Wenn wir von Vor- stellungen sprechen und ihrer Verbindung, von ihrem Aufsteigen in das Bewusstsein und ihrem Sinken unter die Schwelle desselben, von inneren Neigungen und Widerständen, von der Stimmung mit ihren Erhebungen und Tiefständen, so ist jeder dieser und unzähliger Aus- drücke des gleichen Gebietes ersichtlich äusserlichen Wahrnehmbar- keiten entnommen. Wir mögen davon durchdrungen sein, dass die Gesetzlichkeit unseres Seelenlebens völlig anderen Wesens ist, als die eines äusseren Mechanismus -- vor allem, weil jenem die feste Um- schriebenheit und sichere Wiedererkennbarkeit der einzelnen Elemente
III.
Man macht sich selten klar, in welchem Umfang unsere Vor- stellungen von den seelischen Prozessen bloſs symbolische Bedeutung besitzen. Die primitive Not des Lebens hat uns gezwungen, die räum- liche Auſsenwelt zum ersten Objekt unserer Aufmerksamkeit zu machen; für ihre Inhalte und Verhältnisse gelten deshalb zunächst die Be- griffe, durch die wir ein beobachtetes Dasein auſserhalb des be- obachtenden Subjekts vorstellen; sie ist der Typus des Objekts über- haupt und ihren Formen muſs sich jede Vorstellung fügen, die für uns Objekt werden soll. Diese Forderung ergreift die Seele selbst, die sich zum Gegenstand ihrer eignen Beobachtung macht. Vorher freilich scheint sich noch die Beobachtung des Du einzustellen, ersichtlich eines der dringendsten Erfordernisse des Gemeinschaftslebens und der individuellen Selbstbehauptung. Allein da wir die Seele des Anderen niemals unmittelbar beobachten können, da er unserer Wahrnehmung niemals mehr, als Eindrücke äuſserer Sinne gewährt, so ist alle psychologische Kenntnis seiner ausschlieſslich eine Hineindeutung von Bewuſstseinsvorgängen, die wir in unserer Seele wahrnehmen und auf jenen übertragen, wenn physische Eindrücke von ihm her uns dazu anregen — so wenig diese Übertragung, ausschlieſslich für ihren Zielpunkt inter- essiert, sich von ihrem Ausgangspunkt Rechenschaft ablegen mag. So- bald die Seele sich selbst zum Objekt ihres Vorstellens macht, kann sie es nur unter dem Bilde räumlicher Vorgänge. Wenn wir von Vor- stellungen sprechen und ihrer Verbindung, von ihrem Aufsteigen in das Bewuſstsein und ihrem Sinken unter die Schwelle desselben, von inneren Neigungen und Widerständen, von der Stimmung mit ihren Erhebungen und Tiefständen, so ist jeder dieser und unzähliger Aus- drücke des gleichen Gebietes ersichtlich äuſserlichen Wahrnehmbar- keiten entnommen. Wir mögen davon durchdrungen sein, daſs die Gesetzlichkeit unseres Seelenlebens völlig anderen Wesens ist, als die eines äuſseren Mechanismus — vor allem, weil jenem die feste Um- schriebenheit und sichere Wiedererkennbarkeit der einzelnen Elemente
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[[506]/0530]
III.
Man macht sich selten klar, in welchem Umfang unsere Vor-
stellungen von den seelischen Prozessen bloſs symbolische Bedeutung
besitzen. Die primitive Not des Lebens hat uns gezwungen, die räum-
liche Auſsenwelt zum ersten Objekt unserer Aufmerksamkeit zu machen;
für ihre Inhalte und Verhältnisse gelten deshalb zunächst die Be-
griffe, durch die wir ein beobachtetes Dasein auſserhalb des be-
obachtenden Subjekts vorstellen; sie ist der Typus des Objekts über-
haupt und ihren Formen muſs sich jede Vorstellung fügen, die für uns
Objekt werden soll. Diese Forderung ergreift die Seele selbst, die
sich zum Gegenstand ihrer eignen Beobachtung macht. Vorher freilich
scheint sich noch die Beobachtung des Du einzustellen, ersichtlich
eines der dringendsten Erfordernisse des Gemeinschaftslebens und der
individuellen Selbstbehauptung. Allein da wir die Seele des Anderen
niemals unmittelbar beobachten können, da er unserer Wahrnehmung
niemals mehr, als Eindrücke äuſserer Sinne gewährt, so ist alle
psychologische Kenntnis seiner ausschlieſslich eine Hineindeutung von
Bewuſstseinsvorgängen, die wir in unserer Seele wahrnehmen und auf jenen
übertragen, wenn physische Eindrücke von ihm her uns dazu anregen —
so wenig diese Übertragung, ausschlieſslich für ihren Zielpunkt inter-
essiert, sich von ihrem Ausgangspunkt Rechenschaft ablegen mag. So-
bald die Seele sich selbst zum Objekt ihres Vorstellens macht, kann
sie es nur unter dem Bilde räumlicher Vorgänge. Wenn wir von Vor-
stellungen sprechen und ihrer Verbindung, von ihrem Aufsteigen in
das Bewuſstsein und ihrem Sinken unter die Schwelle desselben, von
inneren Neigungen und Widerständen, von der Stimmung mit ihren
Erhebungen und Tiefständen, so ist jeder dieser und unzähliger Aus-
drücke des gleichen Gebietes ersichtlich äuſserlichen Wahrnehmbar-
keiten entnommen. Wir mögen davon durchdrungen sein, daſs die
Gesetzlichkeit unseres Seelenlebens völlig anderen Wesens ist, als die
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. [506]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/530>, abgerufen am 23.11.2024.
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