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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Schatzes und dem des davon Genommenen bestehen die mannigfaltigsten
und zufälligsten Verhältnisse, und die Geringfügigkeit oder Irratio-
nalität der individuellen Anteile lässt den Gehalt und die Würde jenes
Gattungsbesitzes so unberührt, wie irgend ein körperliches Sein es von
seinem einzelnen Wahrgenommen- oder Nichtwahrgenommenwerden bleibt.
Wie sich der Inhalt und die Bedeutung eines vorliegenden Buches als solche
indifferent zu seinem grossen oder kleinen, verstehenden oder verständ-
nislosen Leserkreise verhält, so steht auch jedes sonstige Kulturprodukt
dem Kulturkreise gegenüber, zwar bereit, von jedem ergriffen zu werden,
für diese Bereitheit aber immer nur eine sporadische Aufnahme findend.
Diese verdichtete Geistesarbeit der Kulturgemeinschaft verhält sich
also zu ihrer Lebendigkeit in den individuellen Geistern wie die weite
Fülle der Möglichkeit zu der Begrenzung der Wirklichkeit. Das Ver-
ständnis der Daseinsart solcher objektiven Geistesinhalte fordert ihre
Einstellung in eine eigenartige Organisation unserer weltauffassenden
Kategorien. Innerhalb dieser wird dann auch das diskrepante Ver-
hältnis der objektiven und der subjektiven Kultur, das unser eigentliches
Problem bildet, seine Stelle finden.

Wenn der Platonische Mythus die Seele in ihrer Präexistenz das
reine Wesen, die absolute Bedeutung der Dinge schauen lässt, so dass
ihr späteres Wissen nur eine Erinnerung an jene Wahrheit sei, die
gelegentlich sinnlicher Anregungen in ihr auftauche -- so ist das
nächste Motiv dafür freilich die Ratlosigkeit, wo denn unsere Erkennt-
nisse herstammen mögen, wenn man ihnen, wie Plato es thut, den
Ursprung aus der Erfahrung verweigert. Allein über diese Gelegen-
heitsursache ihrer Entstehung hinweg ist in jener metaphysischen
Spekulation ein erkenntnistheoretisches Verhalten unserer Seele tief-
sinnig angedeutet. Mögen wir nämlich unser Erkennen als eine un-
mittelbare Wirkung äusserer Gegenstände ansehen, oder als einen rein
inneren Vorgang, innerhalb dessen alles Aussen eine immanente Form
oder Verhältnis seelischer Elemente ist -- immer empfinden wir unser
Denken, insoweit es uns für wahr gilt, als die Erfüllung einer sach-
lichen Forderung, als das Nachzeichnen einer ideellen Vorzeichnung.
Selbst wenn eine genaue Abspiegelung der Dinge, wie sie an sich sind,
unser Vorstellen ausmachte, so würde die Einheit, Richtigkeit und
Vollendung, der sich die Erkenntnis, ein Stück nach dem andern er-
obernd, ins unendliche nähert, doch nicht den Gegenständen selbst
zukommen. Vielmehr, das Ideal unseres Erkennens würde immer nur
ihr Inhalt in der Form des Vorstellens sein, denn auch der
äusserste Realismus will nicht die Dinge, sondern die Erkenntnis der Dinge
gewinnen. Wenn wir die Summe von Bruchstücken, die in jedem ge-

Schatzes und dem des davon Genommenen bestehen die mannigfaltigsten
und zufälligsten Verhältnisse, und die Geringfügigkeit oder Irratio-
nalität der individuellen Anteile läſst den Gehalt und die Würde jenes
Gattungsbesitzes so unberührt, wie irgend ein körperliches Sein es von
seinem einzelnen Wahrgenommen- oder Nichtwahrgenommenwerden bleibt.
Wie sich der Inhalt und die Bedeutung eines vorliegenden Buches als solche
indifferent zu seinem groſsen oder kleinen, verstehenden oder verständ-
nislosen Leserkreise verhält, so steht auch jedes sonstige Kulturprodukt
dem Kulturkreise gegenüber, zwar bereit, von jedem ergriffen zu werden,
für diese Bereitheit aber immer nur eine sporadische Aufnahme findend.
Diese verdichtete Geistesarbeit der Kulturgemeinschaft verhält sich
also zu ihrer Lebendigkeit in den individuellen Geistern wie die weite
Fülle der Möglichkeit zu der Begrenzung der Wirklichkeit. Das Ver-
ständnis der Daseinsart solcher objektiven Geistesinhalte fordert ihre
Einstellung in eine eigenartige Organisation unserer weltauffassenden
Kategorien. Innerhalb dieser wird dann auch das diskrepante Ver-
hältnis der objektiven und der subjektiven Kultur, das unser eigentliches
Problem bildet, seine Stelle finden.

Wenn der Platonische Mythus die Seele in ihrer Präexistenz das
reine Wesen, die absolute Bedeutung der Dinge schauen läſst, so daſs
ihr späteres Wissen nur eine Erinnerung an jene Wahrheit sei, die
gelegentlich sinnlicher Anregungen in ihr auftauche — so ist das
nächste Motiv dafür freilich die Ratlosigkeit, wo denn unsere Erkennt-
nisse herstammen mögen, wenn man ihnen, wie Plato es thut, den
Ursprung aus der Erfahrung verweigert. Allein über diese Gelegen-
heitsursache ihrer Entstehung hinweg ist in jener metaphysischen
Spekulation ein erkenntnistheoretisches Verhalten unserer Seele tief-
sinnig angedeutet. Mögen wir nämlich unser Erkennen als eine un-
mittelbare Wirkung äuſserer Gegenstände ansehen, oder als einen rein
inneren Vorgang, innerhalb dessen alles Auſsen eine immanente Form
oder Verhältnis seelischer Elemente ist — immer empfinden wir unser
Denken, insoweit es uns für wahr gilt, als die Erfüllung einer sach-
lichen Forderung, als das Nachzeichnen einer ideellen Vorzeichnung.
Selbst wenn eine genaue Abspiegelung der Dinge, wie sie an sich sind,
unser Vorstellen ausmachte, so würde die Einheit, Richtigkeit und
Vollendung, der sich die Erkenntnis, ein Stück nach dem andern er-
obernd, ins unendliche nähert, doch nicht den Gegenständen selbst
zukommen. Vielmehr, das Ideal unseres Erkennens würde immer nur
ihr Inhalt in der Form des Vorstellens sein, denn auch der
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gewinnen. Wenn wir die Summe von Bruchstücken, die in jedem ge-

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[479/0503] Schatzes und dem des davon Genommenen bestehen die mannigfaltigsten und zufälligsten Verhältnisse, und die Geringfügigkeit oder Irratio- nalität der individuellen Anteile läſst den Gehalt und die Würde jenes Gattungsbesitzes so unberührt, wie irgend ein körperliches Sein es von seinem einzelnen Wahrgenommen- oder Nichtwahrgenommenwerden bleibt. Wie sich der Inhalt und die Bedeutung eines vorliegenden Buches als solche indifferent zu seinem groſsen oder kleinen, verstehenden oder verständ- nislosen Leserkreise verhält, so steht auch jedes sonstige Kulturprodukt dem Kulturkreise gegenüber, zwar bereit, von jedem ergriffen zu werden, für diese Bereitheit aber immer nur eine sporadische Aufnahme findend. Diese verdichtete Geistesarbeit der Kulturgemeinschaft verhält sich also zu ihrer Lebendigkeit in den individuellen Geistern wie die weite Fülle der Möglichkeit zu der Begrenzung der Wirklichkeit. Das Ver- ständnis der Daseinsart solcher objektiven Geistesinhalte fordert ihre Einstellung in eine eigenartige Organisation unserer weltauffassenden Kategorien. Innerhalb dieser wird dann auch das diskrepante Ver- hältnis der objektiven und der subjektiven Kultur, das unser eigentliches Problem bildet, seine Stelle finden. Wenn der Platonische Mythus die Seele in ihrer Präexistenz das reine Wesen, die absolute Bedeutung der Dinge schauen läſst, so daſs ihr späteres Wissen nur eine Erinnerung an jene Wahrheit sei, die gelegentlich sinnlicher Anregungen in ihr auftauche — so ist das nächste Motiv dafür freilich die Ratlosigkeit, wo denn unsere Erkennt- nisse herstammen mögen, wenn man ihnen, wie Plato es thut, den Ursprung aus der Erfahrung verweigert. Allein über diese Gelegen- heitsursache ihrer Entstehung hinweg ist in jener metaphysischen Spekulation ein erkenntnistheoretisches Verhalten unserer Seele tief- sinnig angedeutet. Mögen wir nämlich unser Erkennen als eine un- mittelbare Wirkung äuſserer Gegenstände ansehen, oder als einen rein inneren Vorgang, innerhalb dessen alles Auſsen eine immanente Form oder Verhältnis seelischer Elemente ist — immer empfinden wir unser Denken, insoweit es uns für wahr gilt, als die Erfüllung einer sach- lichen Forderung, als das Nachzeichnen einer ideellen Vorzeichnung. Selbst wenn eine genaue Abspiegelung der Dinge, wie sie an sich sind, unser Vorstellen ausmachte, so würde die Einheit, Richtigkeit und Vollendung, der sich die Erkenntnis, ein Stück nach dem andern er- obernd, ins unendliche nähert, doch nicht den Gegenständen selbst zukommen. Vielmehr, das Ideal unseres Erkennens würde immer nur ihr Inhalt in der Form des Vorstellens sein, denn auch der äuſserste Realismus will nicht die Dinge, sondern die Erkenntnis der Dinge gewinnen. Wenn wir die Summe von Bruchstücken, die in jedem ge-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/503>, abgerufen am 22.11.2024.