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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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die Differenzierung des Verhaltens folgt nur noch einer objektiven An-
gemessenheit statt denen der persönlichen Leidenschaft. Aber dieses
Volk war auch völlig intellektualistisch gestimmt: an scharfer Logik,
grüblerischer Tiefe der Weltkonstruktion, ja, einer kahlen Verstandes-
mässigkeit selbst seiner gigantischsten Phantasien wie seiner gesteigert-
sten ethischen Ideale war es in alten Zeiten allen anderen ebenso über-
legen, wie es an ausstrahlender Wärme des eigentlichen Gemütslebens
und an Willenskraft hinter sehr vielen zurückstand; es war ein blosser
Zuschauer und logischer Konstrukteur des Weltlaufs geworden -- aber
dass es das geworden war, das ruhte dennoch auf letzten Entschei-
dungen des Gefühles, auf einer Unermesslichkeit des Leidens, die zu
einem metaphysisch-religiösen Fühlen seiner kosmischen Notwendigkeit
auswuchs, weil der Einzelne mit ihm weder innerhalb der Gefühls-
provinz selbst, noch durch die Ableitungen einer energischen Lebens-
praxis fertig werden konnte.

Eben diese Objektivität der Lebensverfassung geht auch von deren
Beziehung zum Gelde aus. Ich habe in früherem Zusammenhang
darauf hingewiesen, eine wie grosse Erhebung über die ursprüngliche
undifferenzierte Subjektivität des Menschen schon der Handel darstellt.
Noch heute giebt es Völker in Afrika und Mikronesien, die keinen
anderen Besitzwechsel als in den Formen des Raubes und des Ge-
schenkes kennen. Wie dem höheren Menschen neben und über den
subjektivistischen Antrieben von Egoismus und Altruismus -- in deren
Alternative die Ethik leider noch die menschlichen Motivierungen
einzusperren pflegt -- objektive Interessen erwachsen, ein Hin-
gegebensein oder Verpflichtetsein, das gar nicht mit Verhältnissen von
Subjekten, sondern mit sachlichen Angemessenheiten und Idealen zu
thun hat: so entwickelt sich, jenseits der egoistischen Impulsivität des
Raubes und der nicht geringeren altruistischen des Geschenkes, der
Besitzwechsel nach der Norm objektiver Richtigkeit und Gerechtigkeit,
der Tausch. Das Geld aber stellt das Moment der Objektivität der
Tauschhandlungen gleichsam in reiner Abgelöstheit und selbständiger
Verkörperung dar, da es von allen einseitigen Qualifikationen der
tauschbaren Einzeldinge frei ist und deshalb von sich aus zu keiner
wirtschaftlichen Subjektivität ein entschiedneres Verhältnis hat als zu
einer anderen -- grade wie das theoretische Gesetz die für sich seiende
Objektivität des Naturgeschehens darstellt, der gegenüber jeder einzelne,
von jenem bestimmte Fall als zufällig -- das Seitenstück zu dem Sub-
jektiven im Menschlichen -- erscheint. Dass dennoch die verschiedenen
Persönlichkeiten grade zum Gelde die verschiedensten inneren Be-
ziehungen haben, beweist grade seine Jenseitigkeit von jeder sub-

die Differenzierung des Verhaltens folgt nur noch einer objektiven An-
gemessenheit statt denen der persönlichen Leidenschaft. Aber dieses
Volk war auch völlig intellektualistisch gestimmt: an scharfer Logik,
grüblerischer Tiefe der Weltkonstruktion, ja, einer kahlen Verstandes-
mäſsigkeit selbst seiner gigantischsten Phantasien wie seiner gesteigert-
sten ethischen Ideale war es in alten Zeiten allen anderen ebenso über-
legen, wie es an ausstrahlender Wärme des eigentlichen Gemütslebens
und an Willenskraft hinter sehr vielen zurückstand; es war ein bloſser
Zuschauer und logischer Konstrukteur des Weltlaufs geworden — aber
daſs es das geworden war, das ruhte dennoch auf letzten Entschei-
dungen des Gefühles, auf einer Unermeſslichkeit des Leidens, die zu
einem metaphysisch-religiösen Fühlen seiner kosmischen Notwendigkeit
auswuchs, weil der Einzelne mit ihm weder innerhalb der Gefühls-
provinz selbst, noch durch die Ableitungen einer energischen Lebens-
praxis fertig werden konnte.

Eben diese Objektivität der Lebensverfassung geht auch von deren
Beziehung zum Gelde aus. Ich habe in früherem Zusammenhang
darauf hingewiesen, eine wie groſse Erhebung über die ursprüngliche
undifferenzierte Subjektivität des Menschen schon der Handel darstellt.
Noch heute giebt es Völker in Afrika und Mikronesien, die keinen
anderen Besitzwechsel als in den Formen des Raubes und des Ge-
schenkes kennen. Wie dem höheren Menschen neben und über den
subjektivistischen Antrieben von Egoismus und Altruismus — in deren
Alternative die Ethik leider noch die menschlichen Motivierungen
einzusperren pflegt — objektive Interessen erwachsen, ein Hin-
gegebensein oder Verpflichtetsein, das gar nicht mit Verhältnissen von
Subjekten, sondern mit sachlichen Angemessenheiten und Idealen zu
thun hat: so entwickelt sich, jenseits der egoistischen Impulsivität des
Raubes und der nicht geringeren altruistischen des Geschenkes, der
Besitzwechsel nach der Norm objektiver Richtigkeit und Gerechtigkeit,
der Tausch. Das Geld aber stellt das Moment der Objektivität der
Tauschhandlungen gleichsam in reiner Abgelöstheit und selbständiger
Verkörperung dar, da es von allen einseitigen Qualifikationen der
tauschbaren Einzeldinge frei ist und deshalb von sich aus zu keiner
wirtschaftlichen Subjektivität ein entschiedneres Verhältnis hat als zu
einer anderen — grade wie das theoretische Gesetz die für sich seiende
Objektivität des Naturgeschehens darstellt, der gegenüber jeder einzelne,
von jenem bestimmte Fall als zufällig — das Seitenstück zu dem Sub-
jektiven im Menschlichen — erscheint. Daſs dennoch die verschiedenen
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ziehungen haben, beweist grade seine Jenseitigkeit von jeder sub-

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[462/0486] die Differenzierung des Verhaltens folgt nur noch einer objektiven An- gemessenheit statt denen der persönlichen Leidenschaft. Aber dieses Volk war auch völlig intellektualistisch gestimmt: an scharfer Logik, grüblerischer Tiefe der Weltkonstruktion, ja, einer kahlen Verstandes- mäſsigkeit selbst seiner gigantischsten Phantasien wie seiner gesteigert- sten ethischen Ideale war es in alten Zeiten allen anderen ebenso über- legen, wie es an ausstrahlender Wärme des eigentlichen Gemütslebens und an Willenskraft hinter sehr vielen zurückstand; es war ein bloſser Zuschauer und logischer Konstrukteur des Weltlaufs geworden — aber daſs es das geworden war, das ruhte dennoch auf letzten Entschei- dungen des Gefühles, auf einer Unermeſslichkeit des Leidens, die zu einem metaphysisch-religiösen Fühlen seiner kosmischen Notwendigkeit auswuchs, weil der Einzelne mit ihm weder innerhalb der Gefühls- provinz selbst, noch durch die Ableitungen einer energischen Lebens- praxis fertig werden konnte. Eben diese Objektivität der Lebensverfassung geht auch von deren Beziehung zum Gelde aus. Ich habe in früherem Zusammenhang darauf hingewiesen, eine wie groſse Erhebung über die ursprüngliche undifferenzierte Subjektivität des Menschen schon der Handel darstellt. Noch heute giebt es Völker in Afrika und Mikronesien, die keinen anderen Besitzwechsel als in den Formen des Raubes und des Ge- schenkes kennen. Wie dem höheren Menschen neben und über den subjektivistischen Antrieben von Egoismus und Altruismus — in deren Alternative die Ethik leider noch die menschlichen Motivierungen einzusperren pflegt — objektive Interessen erwachsen, ein Hin- gegebensein oder Verpflichtetsein, das gar nicht mit Verhältnissen von Subjekten, sondern mit sachlichen Angemessenheiten und Idealen zu thun hat: so entwickelt sich, jenseits der egoistischen Impulsivität des Raubes und der nicht geringeren altruistischen des Geschenkes, der Besitzwechsel nach der Norm objektiver Richtigkeit und Gerechtigkeit, der Tausch. Das Geld aber stellt das Moment der Objektivität der Tauschhandlungen gleichsam in reiner Abgelöstheit und selbständiger Verkörperung dar, da es von allen einseitigen Qualifikationen der tauschbaren Einzeldinge frei ist und deshalb von sich aus zu keiner wirtschaftlichen Subjektivität ein entschiedneres Verhältnis hat als zu einer anderen — grade wie das theoretische Gesetz die für sich seiende Objektivität des Naturgeschehens darstellt, der gegenüber jeder einzelne, von jenem bestimmte Fall als zufällig — das Seitenstück zu dem Sub- jektiven im Menschlichen — erscheint. Daſs dennoch die verschiedenen Persönlichkeiten grade zum Gelde die verschiedensten inneren Be- ziehungen haben, beweist grade seine Jenseitigkeit von jeder sub-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/486>, abgerufen am 09.05.2024.