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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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würden; denn die Last der Nichtarbeit wird nur in den seltensten
Ausnahmefällen empfunden, die der Arbeit aber nur in eben solchen
nicht empfunden. Niemand pflegt daher Leid und Mühe der Arbeit
auf sich zu nehmen, ohne etwas dafür zu haben. Was an der Arbeit
eigentlich vergolten wird, der Rechtstitel, auf den hin man eine Ver-
geltung für sie fordert, ist der psychische Kraftaufwand, dessen es
zum Aufsichnehmen und Überwinden der inneren Hemmungs- und
Unlustgefühle bedarf.

Die Sprache deutet diesen Sachverhalt gut an, indem sie den
äusserlich-ökonomischen ebenso wie den innerlich-moralischen Ertrag
unseres Thuns gleichmässig als Verdienst bezeichnet. Denn auch im
letzteren Sinne tritt dieses doch erst ein, wenn der sittliche Impuls
Hemmnisse der Versuchung, des Egoismus, der Sinnlichkeit überwunden
hat, nicht, wenn die sittliche Handlung aus einem ganz selbstverständ-
lichen, die Möglichkeit des Gegenteils von vornherein ausschliessenden
Triebe quillt; so dass, um den sittlichen Musterbildern nicht das
sittliche Verdienst absprechen zu müssen, die Mythenbildung der
Völker allenthalben ihre Religionsstifter eine "Versuchung" besiegen
lässt und Tertullian sogar den Ruhm Gottes für grösser hält, si labo-
ravit
. Wie sich der eigentlich moralische Wert an das überwundene
Hemmnis entgegengesetzter Impulse knüpft, so der ökonomische.
Wenn der Mensch seine Arbeit leistete, wie die Blume ihr Blühen
oder der Vogel sein Singen, so würde sich kein entgeltbarer Wert
mit ihr verknüpfen. Dieser liegt also nicht in ihrer äusseren Er-
scheinung, in dem sichtbaren Thun und Erfolg, sondern auch bei der
Muskelarbeit in dem Willensaufwand, den Gefühlsreflexen, kurz, in
den seelischen Bedingungen. Damit gewinnen wir die Ergänzung für
die an das andere Ende der wirtschaftlichen Reihen sich anschliessende
fundamentale Erkenntnis: dass aller Wert und alle Bedeutung der
Gegenstände und ihres Besitzes in den Gefühlen liegt, die sie hervor-
rufen, dass das Haben ihrer als ein bloss äusserliches Verhältnis gleich-
gültig und sinnlos wäre, wenn sich nicht innere Zustände, Affekte der
Lust, der Erhöhung und Erweiterung des Ich, daran schlössen. So
wird die Sichtbarkeit wirtschaftlicher Güter von beiden Seiten -- des
Leistenden wie des Geniessenden -- her durch psychische Vorgänge
begrenzt, die allein es begründen, dass für die einzelne Leistung ein
Gegenwert gefordert wie gewährt wird. Ebenso unwesentlich und be-
ziehungslos, wie uns ein Besitzgegenstand ist, der nicht in eine psychische
Erregung übergeht, wäre uns das eigne Thun, wenn es nicht aus einem
inneren empfundenen Zustande hervorginge, dessen Unlust und Opfer-
gefühl allein die Forderung eines Entgeltes und deren Mass in sich

würden; denn die Last der Nichtarbeit wird nur in den seltensten
Ausnahmefällen empfunden, die der Arbeit aber nur in eben solchen
nicht empfunden. Niemand pflegt daher Leid und Mühe der Arbeit
auf sich zu nehmen, ohne etwas dafür zu haben. Was an der Arbeit
eigentlich vergolten wird, der Rechtstitel, auf den hin man eine Ver-
geltung für sie fordert, ist der psychische Kraftaufwand, dessen es
zum Aufsichnehmen und Überwinden der inneren Hemmungs- und
Unlustgefühle bedarf.

Die Sprache deutet diesen Sachverhalt gut an, indem sie den
äuſserlich-ökonomischen ebenso wie den innerlich-moralischen Ertrag
unseres Thuns gleichmäſsig als Verdienst bezeichnet. Denn auch im
letzteren Sinne tritt dieses doch erst ein, wenn der sittliche Impuls
Hemmnisse der Versuchung, des Egoismus, der Sinnlichkeit überwunden
hat, nicht, wenn die sittliche Handlung aus einem ganz selbstverständ-
lichen, die Möglichkeit des Gegenteils von vornherein ausschlieſsenden
Triebe quillt; so daſs, um den sittlichen Musterbildern nicht das
sittliche Verdienst absprechen zu müssen, die Mythenbildung der
Völker allenthalben ihre Religionsstifter eine „Versuchung“ besiegen
läſst und Tertullian sogar den Ruhm Gottes für gröſser hält, si labo-
ravit
. Wie sich der eigentlich moralische Wert an das überwundene
Hemmnis entgegengesetzter Impulse knüpft, so der ökonomische.
Wenn der Mensch seine Arbeit leistete, wie die Blume ihr Blühen
oder der Vogel sein Singen, so würde sich kein entgeltbarer Wert
mit ihr verknüpfen. Dieser liegt also nicht in ihrer äuſseren Er-
scheinung, in dem sichtbaren Thun und Erfolg, sondern auch bei der
Muskelarbeit in dem Willensaufwand, den Gefühlsreflexen, kurz, in
den seelischen Bedingungen. Damit gewinnen wir die Ergänzung für
die an das andere Ende der wirtschaftlichen Reihen sich anschlieſsende
fundamentale Erkenntnis: daſs aller Wert und alle Bedeutung der
Gegenstände und ihres Besitzes in den Gefühlen liegt, die sie hervor-
rufen, daſs das Haben ihrer als ein bloſs äuſserliches Verhältnis gleich-
gültig und sinnlos wäre, wenn sich nicht innere Zustände, Affekte der
Lust, der Erhöhung und Erweiterung des Ich, daran schlössen. So
wird die Sichtbarkeit wirtschaftlicher Güter von beiden Seiten — des
Leistenden wie des Genieſsenden — her durch psychische Vorgänge
begrenzt, die allein es begründen, daſs für die einzelne Leistung ein
Gegenwert gefordert wie gewährt wird. Ebenso unwesentlich und be-
ziehungslos, wie uns ein Besitzgegenstand ist, der nicht in eine psychische
Erregung übergeht, wäre uns das eigne Thun, wenn es nicht aus einem
inneren empfundenen Zustande hervorginge, dessen Unlust und Opfer-
gefühl allein die Forderung eines Entgeltes und deren Maſs in sich

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[448/0472] würden; denn die Last der Nichtarbeit wird nur in den seltensten Ausnahmefällen empfunden, die der Arbeit aber nur in eben solchen nicht empfunden. Niemand pflegt daher Leid und Mühe der Arbeit auf sich zu nehmen, ohne etwas dafür zu haben. Was an der Arbeit eigentlich vergolten wird, der Rechtstitel, auf den hin man eine Ver- geltung für sie fordert, ist der psychische Kraftaufwand, dessen es zum Aufsichnehmen und Überwinden der inneren Hemmungs- und Unlustgefühle bedarf. Die Sprache deutet diesen Sachverhalt gut an, indem sie den äuſserlich-ökonomischen ebenso wie den innerlich-moralischen Ertrag unseres Thuns gleichmäſsig als Verdienst bezeichnet. Denn auch im letzteren Sinne tritt dieses doch erst ein, wenn der sittliche Impuls Hemmnisse der Versuchung, des Egoismus, der Sinnlichkeit überwunden hat, nicht, wenn die sittliche Handlung aus einem ganz selbstverständ- lichen, die Möglichkeit des Gegenteils von vornherein ausschlieſsenden Triebe quillt; so daſs, um den sittlichen Musterbildern nicht das sittliche Verdienst absprechen zu müssen, die Mythenbildung der Völker allenthalben ihre Religionsstifter eine „Versuchung“ besiegen läſst und Tertullian sogar den Ruhm Gottes für gröſser hält, si labo- ravit. Wie sich der eigentlich moralische Wert an das überwundene Hemmnis entgegengesetzter Impulse knüpft, so der ökonomische. Wenn der Mensch seine Arbeit leistete, wie die Blume ihr Blühen oder der Vogel sein Singen, so würde sich kein entgeltbarer Wert mit ihr verknüpfen. Dieser liegt also nicht in ihrer äuſseren Er- scheinung, in dem sichtbaren Thun und Erfolg, sondern auch bei der Muskelarbeit in dem Willensaufwand, den Gefühlsreflexen, kurz, in den seelischen Bedingungen. Damit gewinnen wir die Ergänzung für die an das andere Ende der wirtschaftlichen Reihen sich anschlieſsende fundamentale Erkenntnis: daſs aller Wert und alle Bedeutung der Gegenstände und ihres Besitzes in den Gefühlen liegt, die sie hervor- rufen, daſs das Haben ihrer als ein bloſs äuſserliches Verhältnis gleich- gültig und sinnlos wäre, wenn sich nicht innere Zustände, Affekte der Lust, der Erhöhung und Erweiterung des Ich, daran schlössen. So wird die Sichtbarkeit wirtschaftlicher Güter von beiden Seiten — des Leistenden wie des Genieſsenden — her durch psychische Vorgänge begrenzt, die allein es begründen, daſs für die einzelne Leistung ein Gegenwert gefordert wie gewährt wird. Ebenso unwesentlich und be- ziehungslos, wie uns ein Besitzgegenstand ist, der nicht in eine psychische Erregung übergeht, wäre uns das eigne Thun, wenn es nicht aus einem inneren empfundenen Zustande hervorginge, dessen Unlust und Opfer- gefühl allein die Forderung eines Entgeltes und deren Maſs in sich

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/472>, abgerufen am 22.11.2024.