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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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dividuell angepasste Lebensbedingungen möglich ist. Die unglaublich
bescheidenen Verhältnisse, unter denen früher oft ein höchstes geistiges
Leben sich entfaltete, wären für die überwiegende Mehrzahl der heutigen
geistigen Arbeiter von vornherein erdrückend, diese würden in ihnen
nicht die Begünstigungen und Anregungen finden, die sie -- manch-
mal jeder anders als der andre -- grade für ihre individuelle Pro-
duktion brauchen. Das kann jedem Epikureismus völlig fern liegen,
und geht, als reale Bedingung der Leistung, vielleicht einerseits aus der
gewachsenen Reizbarkeit und Schwäche des Nervensystems, andrerseits
aus der zugespitzten Individualisiertheit hervor, die auf jene einfachen,
d. h. typisch-generellen Lebensreize nicht reagieren kann, sondern sich
nur auf entsprechend individualisierte hin entfaltet. Wenn die neueste
Zeit die historische Milieu-Theorie aufs entschiedenste durchgeführt
hat, so dürften wohl auch hier reale Verhältnisse durch ihre Exagge-
rierung eines Elementes uns den Blick für dessen Wirksamkeit auch
auf Stufen seiner geringeren Entwicklung geöffnet haben -- grade wie
die in Wirklichkeit gestiegene Bedeutung der Massen im 19. Jahr-
hundert erst die Veranlassung geworden ist, sich ihrer Bedeutung auch
in allen früheren Epochen wissenschaftlich bewusst zu werden. Inso-
weit diese Verhältnisse gelten, besteht also wirklich eine gewisse
Proportion zwischen den Werten, die wir konsumieren, und denen,
die wir produzieren, d. h. die letzteren, als geistige Leistungen, sind
Funktionen der Muskelleistungen, die in den ersteren substanziiert
sind.

Allein diese mögliche Reduktion geistiger auf Muskelarbeits-
werte findet von verschiedenen Seiten her eine sehr frühe Grenze.
Jene Proportion ist nämlich zunächst nicht umkehrbar. Zu be-
stimmten Leistungen gehören allerdings sehr erhebliche personale
Aufwendungen, aber diese ihrerseits erzeugen keineswegs überall
jene Leistungen: der Unbegabte, in noch so günstige und verfeinerte
Lebensbedingungen versetzt, wird dennoch niemals dasjenige leisten,
wozu ebendieselben den Begabten anregen. Die Reihe der Pro-
dukte könnte also nur dann eine stetige Funktion der Reihe der
Aufwendungen sein, wenn die letzteren genau im Verhältnis der natür-
lichen personalen Begabungen erfolgten. Allein das Unmögliche selbst
angenommen, dass die letzteren sich exakt feststellen liessen und eine
ideale Anpassung, nach dieser Feststellung die Unterhaltsmittel genau
bemessend, die Leistungshöhen zum Index der letzteren machen wollte,
so würde dies Unternehmen seine Grenze immer an der Ungleich-
mässigkeit der Unterhaltsbedingungen finden, die selbst zwischen den
zu gleichen Leistungen qualifizierten Persönlichkeiten besteht. Hier

dividuell angepaſste Lebensbedingungen möglich ist. Die unglaublich
bescheidenen Verhältnisse, unter denen früher oft ein höchstes geistiges
Leben sich entfaltete, wären für die überwiegende Mehrzahl der heutigen
geistigen Arbeiter von vornherein erdrückend, diese würden in ihnen
nicht die Begünstigungen und Anregungen finden, die sie — manch-
mal jeder anders als der andre — grade für ihre individuelle Pro-
duktion brauchen. Das kann jedem Epikureismus völlig fern liegen,
und geht, als reale Bedingung der Leistung, vielleicht einerseits aus der
gewachsenen Reizbarkeit und Schwäche des Nervensystems, andrerseits
aus der zugespitzten Individualisiertheit hervor, die auf jene einfachen,
d. h. typisch-generellen Lebensreize nicht reagieren kann, sondern sich
nur auf entsprechend individualisierte hin entfaltet. Wenn die neueste
Zeit die historische Milieu-Theorie aufs entschiedenste durchgeführt
hat, so dürften wohl auch hier reale Verhältnisse durch ihre Exagge-
rierung eines Elementes uns den Blick für dessen Wirksamkeit auch
auf Stufen seiner geringeren Entwicklung geöffnet haben — grade wie
die in Wirklichkeit gestiegene Bedeutung der Massen im 19. Jahr-
hundert erst die Veranlassung geworden ist, sich ihrer Bedeutung auch
in allen früheren Epochen wissenschaftlich bewuſst zu werden. Inso-
weit diese Verhältnisse gelten, besteht also wirklich eine gewisse
Proportion zwischen den Werten, die wir konsumieren, und denen,
die wir produzieren, d. h. die letzteren, als geistige Leistungen, sind
Funktionen der Muskelleistungen, die in den ersteren substanziiert
sind.

Allein diese mögliche Reduktion geistiger auf Muskelarbeits-
werte findet von verschiedenen Seiten her eine sehr frühe Grenze.
Jene Proportion ist nämlich zunächst nicht umkehrbar. Zu be-
stimmten Leistungen gehören allerdings sehr erhebliche personale
Aufwendungen, aber diese ihrerseits erzeugen keineswegs überall
jene Leistungen: der Unbegabte, in noch so günstige und verfeinerte
Lebensbedingungen versetzt, wird dennoch niemals dasjenige leisten,
wozu ebendieselben den Begabten anregen. Die Reihe der Pro-
dukte könnte also nur dann eine stetige Funktion der Reihe der
Aufwendungen sein, wenn die letzteren genau im Verhältnis der natür-
lichen personalen Begabungen erfolgten. Allein das Unmögliche selbst
angenommen, daſs die letzteren sich exakt feststellen lieſsen und eine
ideale Anpassung, nach dieser Feststellung die Unterhaltsmittel genau
bemessend, die Leistungshöhen zum Index der letzteren machen wollte,
so würde dies Unternehmen seine Grenze immer an der Ungleich-
mäſsigkeit der Unterhaltsbedingungen finden, die selbst zwischen den
zu gleichen Leistungen qualifizierten Persönlichkeiten besteht. Hier

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[445/0469] dividuell angepaſste Lebensbedingungen möglich ist. Die unglaublich bescheidenen Verhältnisse, unter denen früher oft ein höchstes geistiges Leben sich entfaltete, wären für die überwiegende Mehrzahl der heutigen geistigen Arbeiter von vornherein erdrückend, diese würden in ihnen nicht die Begünstigungen und Anregungen finden, die sie — manch- mal jeder anders als der andre — grade für ihre individuelle Pro- duktion brauchen. Das kann jedem Epikureismus völlig fern liegen, und geht, als reale Bedingung der Leistung, vielleicht einerseits aus der gewachsenen Reizbarkeit und Schwäche des Nervensystems, andrerseits aus der zugespitzten Individualisiertheit hervor, die auf jene einfachen, d. h. typisch-generellen Lebensreize nicht reagieren kann, sondern sich nur auf entsprechend individualisierte hin entfaltet. Wenn die neueste Zeit die historische Milieu-Theorie aufs entschiedenste durchgeführt hat, so dürften wohl auch hier reale Verhältnisse durch ihre Exagge- rierung eines Elementes uns den Blick für dessen Wirksamkeit auch auf Stufen seiner geringeren Entwicklung geöffnet haben — grade wie die in Wirklichkeit gestiegene Bedeutung der Massen im 19. Jahr- hundert erst die Veranlassung geworden ist, sich ihrer Bedeutung auch in allen früheren Epochen wissenschaftlich bewuſst zu werden. Inso- weit diese Verhältnisse gelten, besteht also wirklich eine gewisse Proportion zwischen den Werten, die wir konsumieren, und denen, die wir produzieren, d. h. die letzteren, als geistige Leistungen, sind Funktionen der Muskelleistungen, die in den ersteren substanziiert sind. Allein diese mögliche Reduktion geistiger auf Muskelarbeits- werte findet von verschiedenen Seiten her eine sehr frühe Grenze. Jene Proportion ist nämlich zunächst nicht umkehrbar. Zu be- stimmten Leistungen gehören allerdings sehr erhebliche personale Aufwendungen, aber diese ihrerseits erzeugen keineswegs überall jene Leistungen: der Unbegabte, in noch so günstige und verfeinerte Lebensbedingungen versetzt, wird dennoch niemals dasjenige leisten, wozu ebendieselben den Begabten anregen. Die Reihe der Pro- dukte könnte also nur dann eine stetige Funktion der Reihe der Aufwendungen sein, wenn die letzteren genau im Verhältnis der natür- lichen personalen Begabungen erfolgten. Allein das Unmögliche selbst angenommen, daſs die letzteren sich exakt feststellen lieſsen und eine ideale Anpassung, nach dieser Feststellung die Unterhaltsmittel genau bemessend, die Leistungshöhen zum Index der letzteren machen wollte, so würde dies Unternehmen seine Grenze immer an der Ungleich- mäſsigkeit der Unterhaltsbedingungen finden, die selbst zwischen den zu gleichen Leistungen qualifizierten Persönlichkeiten besteht. Hier

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/469>, abgerufen am 23.11.2024.