psychische Beisatz jedes Gliedes durch ein Glied von reiner physischem Wesen getragen wird, so dass jener sich auf der letzten Stufe dem Grenzwert Null nähert. Es lässt sich also denken, dass prinzipiell alle äusseren Bedingungen der geistigen Arbeit in Muskelarbeitsgrössen aus- drückbar sind. Könnte man nun die alte Theorie vom Kostenwert gelten lassen, so würde der Wert der geistigen Arbeit, insofern er den Kosten ihrer Produktion gleich ist, dem Werte gewisser Muskel- leistungen gleich sein. Und nun wäre diese Theorie vielleicht in einer Modifikation haltbar: der Wert eines Produkts ist zwar nicht seinen Kosten gleichzusetzen, wohl aber könnten sich die Werte zweier Pro- dukte zu einander verhalten, wie die ihrer Entstehungsbedingungen. Eine Psyche, durch Unterhaltsmittel ernährt und angeregt, wird Produkte hergeben, die den Wert jener von ihr verbrauchten Bedingungen um ein Vielfaches übersteigen mögen; darum könnte aber doch das Wert- verhältnis je zweier Bedingungskomplexe gleich dem je zweier Produkte sein -- wie die Werte zweier Bodenerzeugnisse, von denen jedes ein Vielfaches seines Samens ist, sich so verhalten können wie die Werte der Samen zu einander; denn der werterhöhende Faktor könnte, für den Durchschnitt der Menschen, eine Konstante sein. Wenn alle diese Voraussetzungen zuträfen, so wäre damit die Reduktion der geistigen Arbeiten auf physische in dem Sinne vollbracht, dass man zwar nicht die absolute, aber die relative Wertbedeutung jeder der ersteren durch bestimmte Verhältnisse der letzteren ausdrücken könnte.
Nun erscheint aber der Gedanke, dass die Werthöhen der geistigen Leistung sich proportional den Werten der Unterhaltsmittel verhalten sollten, völlig paradox, ja unsinnig. Dennoch lohnt es, die Punkte aufzusuchen, in denen sich die Wirklichkeit ihm wenigstens nähert, weil diese tief in die inneren und kulturellen Beziehungen geistiger Werte zu ihren wirtschaftlichen Bedingungen und Äquivalenten hinab- reichen. Wir haben uns wohl vorzustellen, dass im Gehirn, als dem Gipfel- punkt der organischen Entwicklung, ein sehr grosses Mass von Spann- kräften aufgespeichert liegt. Das Gehirn ist offenbar im stande, eine grosse Kraftsumme abzugeben, woraus sich u. a. die erstaunliche Leistungsfähigkeit schwacher Muskeln erklärt, die sie auf psychische Reize hin entfalten können. Auch die grosse Erschöpfung des ganzen Organismus nach geistigen Arbeiten oder Alterationen weist darauf hin, dass die psychische Thätigkeit, von der Seite ihres physischen Korre- lats her angesehn, sehr viel organische Kraft verbraucht. Der Ersatz dieser Kraft ist nun nicht nur durch ein blosses Mehr derjenigen Unterhaltsmittel, die der Muskelarbeiter braucht, zu erzielen; denn die Aufnahmefähigkeit des Körpers ist in Hinsicht auf das Quantum von
psychische Beisatz jedes Gliedes durch ein Glied von reiner physischem Wesen getragen wird, so daſs jener sich auf der letzten Stufe dem Grenzwert Null nähert. Es läſst sich also denken, daſs prinzipiell alle äuſseren Bedingungen der geistigen Arbeit in Muskelarbeitsgröſsen aus- drückbar sind. Könnte man nun die alte Theorie vom Kostenwert gelten lassen, so würde der Wert der geistigen Arbeit, insofern er den Kosten ihrer Produktion gleich ist, dem Werte gewisser Muskel- leistungen gleich sein. Und nun wäre diese Theorie vielleicht in einer Modifikation haltbar: der Wert eines Produkts ist zwar nicht seinen Kosten gleichzusetzen, wohl aber könnten sich die Werte zweier Pro- dukte zu einander verhalten, wie die ihrer Entstehungsbedingungen. Eine Psyche, durch Unterhaltsmittel ernährt und angeregt, wird Produkte hergeben, die den Wert jener von ihr verbrauchten Bedingungen um ein Vielfaches übersteigen mögen; darum könnte aber doch das Wert- verhältnis je zweier Bedingungskomplexe gleich dem je zweier Produkte sein — wie die Werte zweier Bodenerzeugnisse, von denen jedes ein Vielfaches seines Samens ist, sich so verhalten können wie die Werte der Samen zu einander; denn der werterhöhende Faktor könnte, für den Durchschnitt der Menschen, eine Konstante sein. Wenn alle diese Voraussetzungen zuträfen, so wäre damit die Reduktion der geistigen Arbeiten auf physische in dem Sinne vollbracht, daſs man zwar nicht die absolute, aber die relative Wertbedeutung jeder der ersteren durch bestimmte Verhältnisse der letzteren ausdrücken könnte.
Nun erscheint aber der Gedanke, daſs die Werthöhen der geistigen Leistung sich proportional den Werten der Unterhaltsmittel verhalten sollten, völlig paradox, ja unsinnig. Dennoch lohnt es, die Punkte aufzusuchen, in denen sich die Wirklichkeit ihm wenigstens nähert, weil diese tief in die inneren und kulturellen Beziehungen geistiger Werte zu ihren wirtschaftlichen Bedingungen und Äquivalenten hinab- reichen. Wir haben uns wohl vorzustellen, daſs im Gehirn, als dem Gipfel- punkt der organischen Entwicklung, ein sehr groſses Maſs von Spann- kräften aufgespeichert liegt. Das Gehirn ist offenbar im stande, eine groſse Kraftsumme abzugeben, woraus sich u. a. die erstaunliche Leistungsfähigkeit schwacher Muskeln erklärt, die sie auf psychische Reize hin entfalten können. Auch die groſse Erschöpfung des ganzen Organismus nach geistigen Arbeiten oder Alterationen weist darauf hin, daſs die psychische Thätigkeit, von der Seite ihres physischen Korre- lats her angesehn, sehr viel organische Kraft verbraucht. Der Ersatz dieser Kraft ist nun nicht nur durch ein bloſses Mehr derjenigen Unterhaltsmittel, die der Muskelarbeiter braucht, zu erzielen; denn die Aufnahmefähigkeit des Körpers ist in Hinsicht auf das Quantum von
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psychische Beisatz jedes Gliedes durch ein Glied von reiner physischem
Wesen getragen wird, so daſs jener sich auf der letzten Stufe dem
Grenzwert Null nähert. Es läſst sich also denken, daſs prinzipiell alle
äuſseren Bedingungen der geistigen Arbeit in Muskelarbeitsgröſsen aus-
drückbar sind. Könnte man nun die alte Theorie vom Kostenwert
gelten lassen, so würde der Wert der geistigen Arbeit, insofern er den
Kosten ihrer Produktion gleich ist, dem Werte gewisser Muskel-
leistungen gleich sein. Und nun wäre diese Theorie vielleicht in einer
Modifikation haltbar: der Wert eines Produkts ist zwar nicht seinen
Kosten gleichzusetzen, wohl aber könnten sich die Werte zweier Pro-
dukte zu einander verhalten, wie die ihrer Entstehungsbedingungen.
Eine Psyche, durch Unterhaltsmittel ernährt und angeregt, wird Produkte
hergeben, die den Wert jener von ihr verbrauchten Bedingungen um
ein Vielfaches übersteigen mögen; darum könnte aber doch das Wert-
verhältnis je zweier Bedingungskomplexe gleich dem je zweier Produkte
sein — wie die Werte zweier Bodenerzeugnisse, von denen jedes ein
Vielfaches seines Samens ist, sich so verhalten können wie die Werte
der Samen zu einander; denn der werterhöhende Faktor könnte, für
den Durchschnitt der Menschen, eine Konstante sein. Wenn alle diese
Voraussetzungen zuträfen, so wäre damit die Reduktion der geistigen
Arbeiten auf physische in dem Sinne vollbracht, daſs man zwar nicht
die absolute, aber die relative Wertbedeutung jeder der ersteren durch
bestimmte Verhältnisse der letzteren ausdrücken könnte.
Nun erscheint aber der Gedanke, daſs die Werthöhen der geistigen
Leistung sich proportional den Werten der Unterhaltsmittel verhalten
sollten, völlig paradox, ja unsinnig. Dennoch lohnt es, die Punkte
aufzusuchen, in denen sich die Wirklichkeit ihm wenigstens nähert,
weil diese tief in die inneren und kulturellen Beziehungen geistiger
Werte zu ihren wirtschaftlichen Bedingungen und Äquivalenten hinab-
reichen. Wir haben uns wohl vorzustellen, daſs im Gehirn, als dem Gipfel-
punkt der organischen Entwicklung, ein sehr groſses Maſs von Spann-
kräften aufgespeichert liegt. Das Gehirn ist offenbar im stande, eine
groſse Kraftsumme abzugeben, woraus sich u. a. die erstaunliche
Leistungsfähigkeit schwacher Muskeln erklärt, die sie auf psychische
Reize hin entfalten können. Auch die groſse Erschöpfung des ganzen
Organismus nach geistigen Arbeiten oder Alterationen weist darauf hin,
daſs die psychische Thätigkeit, von der Seite ihres physischen Korre-
lats her angesehn, sehr viel organische Kraft verbraucht. Der Ersatz
dieser Kraft ist nun nicht nur durch ein bloſses Mehr derjenigen
Unterhaltsmittel, die der Muskelarbeiter braucht, zu erzielen; denn die
Aufnahmefähigkeit des Körpers ist in Hinsicht auf das Quantum von
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/467>, abgerufen am 22.11.2024.
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