der Person selbst werden, von dem sich zu trennen, einem der Art nach gleichen Widerstand begegnet, wie von einem Körpergliede; so dass statt der Expansion des Ich -- die die unendlichen "Möglich- keiten" des Geldbesitzes ebenso lockend wie undeutlich versprechen -- eine Kontraktion desselben eintritt. Die Klarheit hierüber ist nicht ohne Belang für das Verständnis unserer Zeit. Seit es überhaupt Geld giebt, ist, im grossen und ganzen, jedermann geneigter zu verkaufen als zu kaufen. Mit steigender Geldwirtschaft wird diese Geneigtheit immer stärker und ergreift immer mehr von denjenigen Objekten, welche gar nicht zum Verkauf hergestellt sind, sondern den Charakter ruhenden Besitzes tragen und vielmehr bestimmt scheinen, die Persön- lichkeit an sich zu knüpfen, als sich in raschem Wechsel von ihr zu lösen: Geschäfte und Betriebe, Kunstwerke und Sammlungen, Grund- besitz, Rechte und Positionen allerhand Art. Indem alles dies immer kürzere Zeit in einer Hand bleibt, die Persönlichkeit immer schneller und öfter aus der spezifischen Bedingtheit solchen Besitzes heraustritt, wird freilich ein ausserordentliches Gesamtmass von Freiheit verwirk- licht; allein weil nur das Geld mit seiner Unbestimmtheit und inneren Direktionslosigkeit die nächste Seite dieser Befreiungsvorgänge ist, so bleiben sie bei der Thatsache der Entwurzelung stehen und leiten oft genug zu keinem neuen Wurzelschlagen über. Ja, indem jene Besitze bei sehr rapidem Geldverkehr überhaupt nicht mehr unter der Ka- tegorie eines definitiven Lebensinhaltes angesehen werden, so kommt es von vornherein nicht zu jener innerlichen Bindung, Verschmelzung, Hingabe, die der Persönlichkeit zwar eindeutig determinierende Grenzen, aber zugleich Halt und Inhalt giebt. So erklärt es sich, dass unsere Zeit, die, als ganze betrachtet, sicher mehr Freiheit besitzt als irgend eine frühere, dieser Freiheit doch so wenig froh wird. Das Geld er- möglicht nicht nur, uns von den Bindungen Anderen gegenüber, sondern von denen, die aus unserem eigenen Besitz quellen, loszukaufen; es befreit uns nicht nur, indem wir es geben, sondern auch, indem wir es nehmen. So gewinnen fortwährende Befreiungsprozesse einen ausser- ordentlich breiten Raum im modernen Leben, auch an diesem Punkte den tieferen Zusammenhang der Geldwirtschaft mit den Tendenzen des Liberalismus enthüllend, freilich auch einen der Gründe aufweisend, weshalb die Freiheit des Liberalismus so manche Haltlosigkeit, Wirrnis und Unbefriedigung erzeugt hat.
Indem so viele Dinge aber, fortwährend durch Geld abgelöst, ihre Richtung gebende Bedeutung für uns verlieren, findet diese Ver- änderung unserer Beziehung zu ihnen eine praktische Reaktion. Wenn sich jene geldwirtschaftliche Unsicherheit und Treulosigkeit
der Person selbst werden, von dem sich zu trennen, einem der Art nach gleichen Widerstand begegnet, wie von einem Körpergliede; so daſs statt der Expansion des Ich — die die unendlichen „Möglich- keiten“ des Geldbesitzes ebenso lockend wie undeutlich versprechen — eine Kontraktion desselben eintritt. Die Klarheit hierüber ist nicht ohne Belang für das Verständnis unserer Zeit. Seit es überhaupt Geld giebt, ist, im groſsen und ganzen, jedermann geneigter zu verkaufen als zu kaufen. Mit steigender Geldwirtschaft wird diese Geneigtheit immer stärker und ergreift immer mehr von denjenigen Objekten, welche gar nicht zum Verkauf hergestellt sind, sondern den Charakter ruhenden Besitzes tragen und vielmehr bestimmt scheinen, die Persön- lichkeit an sich zu knüpfen, als sich in raschem Wechsel von ihr zu lösen: Geschäfte und Betriebe, Kunstwerke und Sammlungen, Grund- besitz, Rechte und Positionen allerhand Art. Indem alles dies immer kürzere Zeit in einer Hand bleibt, die Persönlichkeit immer schneller und öfter aus der spezifischen Bedingtheit solchen Besitzes heraustritt, wird freilich ein auſserordentliches Gesamtmaſs von Freiheit verwirk- licht; allein weil nur das Geld mit seiner Unbestimmtheit und inneren Direktionslosigkeit die nächste Seite dieser Befreiungsvorgänge ist, so bleiben sie bei der Thatsache der Entwurzelung stehen und leiten oft genug zu keinem neuen Wurzelschlagen über. Ja, indem jene Besitze bei sehr rapidem Geldverkehr überhaupt nicht mehr unter der Ka- tegorie eines definitiven Lebensinhaltes angesehen werden, so kommt es von vornherein nicht zu jener innerlichen Bindung, Verschmelzung, Hingabe, die der Persönlichkeit zwar eindeutig determinierende Grenzen, aber zugleich Halt und Inhalt giebt. So erklärt es sich, daſs unsere Zeit, die, als ganze betrachtet, sicher mehr Freiheit besitzt als irgend eine frühere, dieser Freiheit doch so wenig froh wird. Das Geld er- möglicht nicht nur, uns von den Bindungen Anderen gegenüber, sondern von denen, die aus unserem eigenen Besitz quellen, loszukaufen; es befreit uns nicht nur, indem wir es geben, sondern auch, indem wir es nehmen. So gewinnen fortwährende Befreiungsprozesse einen auſser- ordentlich breiten Raum im modernen Leben, auch an diesem Punkte den tieferen Zusammenhang der Geldwirtschaft mit den Tendenzen des Liberalismus enthüllend, freilich auch einen der Gründe aufweisend, weshalb die Freiheit des Liberalismus so manche Haltlosigkeit, Wirrnis und Unbefriedigung erzeugt hat.
Indem so viele Dinge aber, fortwährend durch Geld abgelöst, ihre Richtung gebende Bedeutung für uns verlieren, findet diese Ver- änderung unserer Beziehung zu ihnen eine praktische Reaktion. Wenn sich jene geldwirtschaftliche Unsicherheit und Treulosigkeit
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[424/0448]
der Person selbst werden, von dem sich zu trennen, einem der Art
nach gleichen Widerstand begegnet, wie von einem Körpergliede; so
daſs statt der Expansion des Ich — die die unendlichen „Möglich-
keiten“ des Geldbesitzes ebenso lockend wie undeutlich versprechen —
eine Kontraktion desselben eintritt. Die Klarheit hierüber ist nicht
ohne Belang für das Verständnis unserer Zeit. Seit es überhaupt Geld
giebt, ist, im groſsen und ganzen, jedermann geneigter zu verkaufen
als zu kaufen. Mit steigender Geldwirtschaft wird diese Geneigtheit
immer stärker und ergreift immer mehr von denjenigen Objekten,
welche gar nicht zum Verkauf hergestellt sind, sondern den Charakter
ruhenden Besitzes tragen und vielmehr bestimmt scheinen, die Persön-
lichkeit an sich zu knüpfen, als sich in raschem Wechsel von ihr zu
lösen: Geschäfte und Betriebe, Kunstwerke und Sammlungen, Grund-
besitz, Rechte und Positionen allerhand Art. Indem alles dies immer
kürzere Zeit in einer Hand bleibt, die Persönlichkeit immer schneller
und öfter aus der spezifischen Bedingtheit solchen Besitzes heraustritt,
wird freilich ein auſserordentliches Gesamtmaſs von Freiheit verwirk-
licht; allein weil nur das Geld mit seiner Unbestimmtheit und inneren
Direktionslosigkeit die nächste Seite dieser Befreiungsvorgänge ist, so
bleiben sie bei der Thatsache der Entwurzelung stehen und leiten oft
genug zu keinem neuen Wurzelschlagen über. Ja, indem jene Besitze
bei sehr rapidem Geldverkehr überhaupt nicht mehr unter der Ka-
tegorie eines definitiven Lebensinhaltes angesehen werden, so kommt
es von vornherein nicht zu jener innerlichen Bindung, Verschmelzung,
Hingabe, die der Persönlichkeit zwar eindeutig determinierende Grenzen,
aber zugleich Halt und Inhalt giebt. So erklärt es sich, daſs unsere
Zeit, die, als ganze betrachtet, sicher mehr Freiheit besitzt als irgend
eine frühere, dieser Freiheit doch so wenig froh wird. Das Geld er-
möglicht nicht nur, uns von den Bindungen Anderen gegenüber, sondern
von denen, die aus unserem eigenen Besitz quellen, loszukaufen; es
befreit uns nicht nur, indem wir es geben, sondern auch, indem wir
es nehmen. So gewinnen fortwährende Befreiungsprozesse einen auſser-
ordentlich breiten Raum im modernen Leben, auch an diesem Punkte
den tieferen Zusammenhang der Geldwirtschaft mit den Tendenzen des
Liberalismus enthüllend, freilich auch einen der Gründe aufweisend,
weshalb die Freiheit des Liberalismus so manche Haltlosigkeit, Wirrnis
und Unbefriedigung erzeugt hat.
Indem so viele Dinge aber, fortwährend durch Geld abgelöst, ihre
Richtung gebende Bedeutung für uns verlieren, findet diese Ver-
änderung unserer Beziehung zu ihnen eine praktische Reaktion.
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/448>, abgerufen am 22.11.2024.
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