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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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bindung, die Reserve und scharf geformte Abgeschlossenheit der Aristo-
kratie muss von beiden her ein Abschleifen und Nivellieren fürchten.
Deshalb war auch dem venetianischen Adel zur guten Zeit der Aristo-
kratie aller eigene Handel untersagt, und erst 1784 wurden die Adligen
durch ein Gesetz ermächtigt, unter eigenem Namen Handel zu treiben.
Vorher konnten sie dies nur als stille Teilnehmer an den Geschäften
der cittadini, also nur wie aus der Ferne und unter einer Maske.
Und schon zu Beginn der Neuzeit empfand man in England, dass die
Reichtumsunterschiede, die in der Stadt galten, durchaus keine so ent-
schieden abgeschlossene Aristokratie schaffen konnten, wie die auf dem
Lande geltenden Standesgrenzen. Der ärmste Lehrling konnte die
höchste Zukunft erhoffen, wo diese nur im Geldbesitz lag, während
eine völlig unbiegsame Linie die Landaristokratie von dem yeoman
schied. Die unendliche quantitative Abstufbarkeit des Geldbesitzes
lässt die Stufen ineinander übergehen und verwischt die Formbestimmt-
heit der vornehmen Klassen, die ohne Festigkeit der Grenzen nicht be-
stehen kann.

Dem Vornehmheitsideal ist wie dem ästhetischen, von dem ich
dies schon früher hervorhob, die Gleichgültigkeit gegen das Wieviel
eigen. Vor dem abgeschlossenen Insichruhen des Wertes, den es dem
an ihm teilhabenden Wesen gewährt, tritt die Quantitätsfrage ganz
zurück; die rein qualitative Bedeutung, die jenes Ideal meint, wird
dadurch verhältnismässig wenig gehoben, dass mehr Exemplare auf
diese Höhe gelangen. Das Entscheidende ist, dass sie dem Dasein
überhaupt gelungen ist, und für sich allein der vollgültige Repräsen-
tant davon zu sein, verleiht dem vornehmen -- ob menschlichen,
ob untermenschlichen -- Wesen seine spezifische Natur. In dem
Augenblick aber, in dem die Dinge auf ihren Geldwert hin an-
gesehen und gewertet sind, rücken sie aus dem Bereich dieser Kate-
gorie fort, ihre Wertqualität ist in ihrem Wertquantum unter-
gegangen und jenes Sich-selbst-gehören -- das geschilderte Doppel-
verhältnis zu Anderen und zu sich selbst --, das wir von einem ge-
wissen Grade an als Vornehmheit empfinden, hat seine Basis verloren.
Das Wesen der Prostitution, das wir am Gelde erkannten, teilt sich
den Gegenständen mit, die nur noch als seine Äquivalente funktionieren,
ja, diesen vielleicht in noch fühlbarerem Masse, weil sie mehr zu ver-
lieren haben, als das Geld es von vornherein hat. Jener äusserste
Gegensatz der Vornehmheitskategorie, das Sich-gemein-machen mit
Anderen, wird zum typischen Verhältnis der Dinge in der Geldwirt-
schaft, weil sie durch das Geld, wie durch eine Zentralstation, mit
einander verbunden sind, alle mit gleicher spezifischer Schwere in dem

bindung, die Reserve und scharf geformte Abgeschlossenheit der Aristo-
kratie muſs von beiden her ein Abschleifen und Nivellieren fürchten.
Deshalb war auch dem venetianischen Adel zur guten Zeit der Aristo-
kratie aller eigene Handel untersagt, und erst 1784 wurden die Adligen
durch ein Gesetz ermächtigt, unter eigenem Namen Handel zu treiben.
Vorher konnten sie dies nur als stille Teilnehmer an den Geschäften
der cittadini, also nur wie aus der Ferne und unter einer Maske.
Und schon zu Beginn der Neuzeit empfand man in England, daſs die
Reichtumsunterschiede, die in der Stadt galten, durchaus keine so ent-
schieden abgeschlossene Aristokratie schaffen konnten, wie die auf dem
Lande geltenden Standesgrenzen. Der ärmste Lehrling konnte die
höchste Zukunft erhoffen, wo diese nur im Geldbesitz lag, während
eine völlig unbiegsame Linie die Landaristokratie von dem yeoman
schied. Die unendliche quantitative Abstufbarkeit des Geldbesitzes
läſst die Stufen ineinander übergehen und verwischt die Formbestimmt-
heit der vornehmen Klassen, die ohne Festigkeit der Grenzen nicht be-
stehen kann.

Dem Vornehmheitsideal ist wie dem ästhetischen, von dem ich
dies schon früher hervorhob, die Gleichgültigkeit gegen das Wieviel
eigen. Vor dem abgeschlossenen Insichruhen des Wertes, den es dem
an ihm teilhabenden Wesen gewährt, tritt die Quantitätsfrage ganz
zurück; die rein qualitative Bedeutung, die jenes Ideal meint, wird
dadurch verhältnismäſsig wenig gehoben, daſs mehr Exemplare auf
diese Höhe gelangen. Das Entscheidende ist, daſs sie dem Dasein
überhaupt gelungen ist, und für sich allein der vollgültige Repräsen-
tant davon zu sein, verleiht dem vornehmen — ob menschlichen,
ob untermenschlichen — Wesen seine spezifische Natur. In dem
Augenblick aber, in dem die Dinge auf ihren Geldwert hin an-
gesehen und gewertet sind, rücken sie aus dem Bereich dieser Kate-
gorie fort, ihre Wertqualität ist in ihrem Wertquantum unter-
gegangen und jenes Sich-selbst-gehören — das geschilderte Doppel-
verhältnis zu Anderen und zu sich selbst —, das wir von einem ge-
wissen Grade an als Vornehmheit empfinden, hat seine Basis verloren.
Das Wesen der Prostitution, das wir am Gelde erkannten, teilt sich
den Gegenständen mit, die nur noch als seine Äquivalente funktionieren,
ja, diesen vielleicht in noch fühlbarerem Maſse, weil sie mehr zu ver-
lieren haben, als das Geld es von vornherein hat. Jener äuſserste
Gegensatz der Vornehmheitskategorie, das Sich-gemein-machen mit
Anderen, wird zum typischen Verhältnis der Dinge in der Geldwirt-
schaft, weil sie durch das Geld, wie durch eine Zentralstation, mit
einander verbunden sind, alle mit gleicher spezifischer Schwere in dem

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[409/0433] bindung, die Reserve und scharf geformte Abgeschlossenheit der Aristo- kratie muſs von beiden her ein Abschleifen und Nivellieren fürchten. Deshalb war auch dem venetianischen Adel zur guten Zeit der Aristo- kratie aller eigene Handel untersagt, und erst 1784 wurden die Adligen durch ein Gesetz ermächtigt, unter eigenem Namen Handel zu treiben. Vorher konnten sie dies nur als stille Teilnehmer an den Geschäften der cittadini, also nur wie aus der Ferne und unter einer Maske. Und schon zu Beginn der Neuzeit empfand man in England, daſs die Reichtumsunterschiede, die in der Stadt galten, durchaus keine so ent- schieden abgeschlossene Aristokratie schaffen konnten, wie die auf dem Lande geltenden Standesgrenzen. Der ärmste Lehrling konnte die höchste Zukunft erhoffen, wo diese nur im Geldbesitz lag, während eine völlig unbiegsame Linie die Landaristokratie von dem yeoman schied. Die unendliche quantitative Abstufbarkeit des Geldbesitzes läſst die Stufen ineinander übergehen und verwischt die Formbestimmt- heit der vornehmen Klassen, die ohne Festigkeit der Grenzen nicht be- stehen kann. Dem Vornehmheitsideal ist wie dem ästhetischen, von dem ich dies schon früher hervorhob, die Gleichgültigkeit gegen das Wieviel eigen. Vor dem abgeschlossenen Insichruhen des Wertes, den es dem an ihm teilhabenden Wesen gewährt, tritt die Quantitätsfrage ganz zurück; die rein qualitative Bedeutung, die jenes Ideal meint, wird dadurch verhältnismäſsig wenig gehoben, daſs mehr Exemplare auf diese Höhe gelangen. Das Entscheidende ist, daſs sie dem Dasein überhaupt gelungen ist, und für sich allein der vollgültige Repräsen- tant davon zu sein, verleiht dem vornehmen — ob menschlichen, ob untermenschlichen — Wesen seine spezifische Natur. In dem Augenblick aber, in dem die Dinge auf ihren Geldwert hin an- gesehen und gewertet sind, rücken sie aus dem Bereich dieser Kate- gorie fort, ihre Wertqualität ist in ihrem Wertquantum unter- gegangen und jenes Sich-selbst-gehören — das geschilderte Doppel- verhältnis zu Anderen und zu sich selbst —, das wir von einem ge- wissen Grade an als Vornehmheit empfinden, hat seine Basis verloren. Das Wesen der Prostitution, das wir am Gelde erkannten, teilt sich den Gegenständen mit, die nur noch als seine Äquivalente funktionieren, ja, diesen vielleicht in noch fühlbarerem Maſse, weil sie mehr zu ver- lieren haben, als das Geld es von vornherein hat. Jener äuſserste Gegensatz der Vornehmheitskategorie, das Sich-gemein-machen mit Anderen, wird zum typischen Verhältnis der Dinge in der Geldwirt- schaft, weil sie durch das Geld, wie durch eine Zentralstation, mit einander verbunden sind, alle mit gleicher spezifischer Schwere in dem

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/433>, abgerufen am 22.11.2024.