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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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in ihrem Momente erschöpfen mag, so dass, äusserlich betrachtet, von
ihr noch weniger, als von einem Geldgeschenk, an der Persönlichkeit
haften bleibt -- so ist diese Spurlosigkeit doch insbesondere nach der
Seite der inneren Konsequenzen nicht dieselbe wie bei der Bestechung
durch Geld; denn das Bezeichnende für diese ist, dass mit dem ge-
gebenen und genommenen Geld insoweit jegliche Beziehung zwischen
den handelnden Personen zu Ende ist, während in jenem Fall an die
Stelle der momentanen Gefühlserregung viel eher Aversion, Reue oder
Hass als blosse Gleichgültigkeit zu treten pflegt. Solcher Vorteil der
Geldbestechung wird freilich naturgemäss dadurch aufgewogen, dass,
wenn die Verheimlichung nicht gelingt, sie die stärkste Deklassierung
des Betreffenden mit sich bringt. Auch hier ist die Parallele mit dem
Diebstahl bezeichnend. Dienstboten stehlen sehr viel seltener, d. h.
nur bei sehr viel grösserer moralischer Verkommenheit, Geld, als Ess-
waren, oder eine sonstige Kleinigkeit. Die Erfahrungen an manchen
zeigen, dass sie davor zurückschrecken, denselben Wert in Geld zu
stehlen, den sie sich als eine Flasche Wein oder weiblichen Putz-
gegenstand mit ziemlich ruhigem Gewissen aneignen. Von dem ganz
entsprechenden Standpunkt aus lässt unser Strafgesetzbuch die Ent-
wendung geringer Mengen von Ess- und Genusswaren zum alsbaldigen
Verbrauch nur als eine ganz leichte Übertretung gelten, während es
den Diebstahl der gleichwertigen Geldsumme unter Umständen recht
streng ahndet. Es wird offenbar vorausgesetzt, dass bei einem
momentanen Bedürfnis die Aneignungsmöglichkeit seines unmittelbaren
Gegenstandes einen so starken Anreiz bildet, dass ihm zu unterliegen
etwas allzumenschliches ist, um hart bestraft zu werden. Je ent-
fernter das Objekt von dieser unmittelbaren Funktion ist, auf einem
je längeren Umweg erst es das Bedürfnis befriedigen kann, um so
schwächer wirkt der Reiz und eine um so stärkere Immoralität beweist
es, ihm nachzugeben. Deshalb ist nach dem Erkenntnis eines höchsten
Gerichtshofes z. B. Feuerungsmaterial nicht unter die Genussmittel zu
rechnen und der Diebstahl desselben nimmt an der Straferleichterung
für den Diebstahl solcher nicht teil. Zweifellos ist unter Umständen
Feuerung ein ebenso dringendes Bedürfnis und für die Selbsterhaltung
ebenso erforderlich wie Brot. Allein seine Verwendung ist doch eine
mittelbarere als die des Brotes, sie hat gleichsam mehr Zwischenstationen
und man kann deshalb annehmen, dass ihm gegenüber der in Ver-
suchung Befindliche mehr Zeit zur Besinnung hat, die ihm die sinn-
liche Unmittelbarkeit des Reizes nicht lässt. Von solcher Gegenwärtigkeit
des Geniessens steht das Geld am weitesten ab, das Bedürfnis knüpft
sich immer nur an das, was hinter ihm steht, so dass die von ihm

in ihrem Momente erschöpfen mag, so daſs, äuſserlich betrachtet, von
ihr noch weniger, als von einem Geldgeschenk, an der Persönlichkeit
haften bleibt — so ist diese Spurlosigkeit doch insbesondere nach der
Seite der inneren Konsequenzen nicht dieselbe wie bei der Bestechung
durch Geld; denn das Bezeichnende für diese ist, daſs mit dem ge-
gebenen und genommenen Geld insoweit jegliche Beziehung zwischen
den handelnden Personen zu Ende ist, während in jenem Fall an die
Stelle der momentanen Gefühlserregung viel eher Aversion, Reue oder
Haſs als bloſse Gleichgültigkeit zu treten pflegt. Solcher Vorteil der
Geldbestechung wird freilich naturgemäſs dadurch aufgewogen, daſs,
wenn die Verheimlichung nicht gelingt, sie die stärkste Deklassierung
des Betreffenden mit sich bringt. Auch hier ist die Parallele mit dem
Diebstahl bezeichnend. Dienstboten stehlen sehr viel seltener, d. h.
nur bei sehr viel gröſserer moralischer Verkommenheit, Geld, als Eſs-
waren, oder eine sonstige Kleinigkeit. Die Erfahrungen an manchen
zeigen, daſs sie davor zurückschrecken, denselben Wert in Geld zu
stehlen, den sie sich als eine Flasche Wein oder weiblichen Putz-
gegenstand mit ziemlich ruhigem Gewissen aneignen. Von dem ganz
entsprechenden Standpunkt aus läſst unser Strafgesetzbuch die Ent-
wendung geringer Mengen von Eſs- und Genuſswaren zum alsbaldigen
Verbrauch nur als eine ganz leichte Übertretung gelten, während es
den Diebstahl der gleichwertigen Geldsumme unter Umständen recht
streng ahndet. Es wird offenbar vorausgesetzt, daſs bei einem
momentanen Bedürfnis die Aneignungsmöglichkeit seines unmittelbaren
Gegenstandes einen so starken Anreiz bildet, daſs ihm zu unterliegen
etwas allzumenschliches ist, um hart bestraft zu werden. Je ent-
fernter das Objekt von dieser unmittelbaren Funktion ist, auf einem
je längeren Umweg erst es das Bedürfnis befriedigen kann, um so
schwächer wirkt der Reiz und eine um so stärkere Immoralität beweist
es, ihm nachzugeben. Deshalb ist nach dem Erkenntnis eines höchsten
Gerichtshofes z. B. Feuerungsmaterial nicht unter die Genuſsmittel zu
rechnen und der Diebstahl desselben nimmt an der Straferleichterung
für den Diebstahl solcher nicht teil. Zweifellos ist unter Umständen
Feuerung ein ebenso dringendes Bedürfnis und für die Selbsterhaltung
ebenso erforderlich wie Brot. Allein seine Verwendung ist doch eine
mittelbarere als die des Brotes, sie hat gleichsam mehr Zwischenstationen
und man kann deshalb annehmen, daſs ihm gegenüber der in Ver-
suchung Befindliche mehr Zeit zur Besinnung hat, die ihm die sinn-
liche Unmittelbarkeit des Reizes nicht läſst. Von solcher Gegenwärtigkeit
des Genieſsens steht das Geld am weitesten ab, das Bedürfnis knüpft
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[404/0428] in ihrem Momente erschöpfen mag, so daſs, äuſserlich betrachtet, von ihr noch weniger, als von einem Geldgeschenk, an der Persönlichkeit haften bleibt — so ist diese Spurlosigkeit doch insbesondere nach der Seite der inneren Konsequenzen nicht dieselbe wie bei der Bestechung durch Geld; denn das Bezeichnende für diese ist, daſs mit dem ge- gebenen und genommenen Geld insoweit jegliche Beziehung zwischen den handelnden Personen zu Ende ist, während in jenem Fall an die Stelle der momentanen Gefühlserregung viel eher Aversion, Reue oder Haſs als bloſse Gleichgültigkeit zu treten pflegt. Solcher Vorteil der Geldbestechung wird freilich naturgemäſs dadurch aufgewogen, daſs, wenn die Verheimlichung nicht gelingt, sie die stärkste Deklassierung des Betreffenden mit sich bringt. Auch hier ist die Parallele mit dem Diebstahl bezeichnend. Dienstboten stehlen sehr viel seltener, d. h. nur bei sehr viel gröſserer moralischer Verkommenheit, Geld, als Eſs- waren, oder eine sonstige Kleinigkeit. Die Erfahrungen an manchen zeigen, daſs sie davor zurückschrecken, denselben Wert in Geld zu stehlen, den sie sich als eine Flasche Wein oder weiblichen Putz- gegenstand mit ziemlich ruhigem Gewissen aneignen. Von dem ganz entsprechenden Standpunkt aus läſst unser Strafgesetzbuch die Ent- wendung geringer Mengen von Eſs- und Genuſswaren zum alsbaldigen Verbrauch nur als eine ganz leichte Übertretung gelten, während es den Diebstahl der gleichwertigen Geldsumme unter Umständen recht streng ahndet. Es wird offenbar vorausgesetzt, daſs bei einem momentanen Bedürfnis die Aneignungsmöglichkeit seines unmittelbaren Gegenstandes einen so starken Anreiz bildet, daſs ihm zu unterliegen etwas allzumenschliches ist, um hart bestraft zu werden. Je ent- fernter das Objekt von dieser unmittelbaren Funktion ist, auf einem je längeren Umweg erst es das Bedürfnis befriedigen kann, um so schwächer wirkt der Reiz und eine um so stärkere Immoralität beweist es, ihm nachzugeben. Deshalb ist nach dem Erkenntnis eines höchsten Gerichtshofes z. B. Feuerungsmaterial nicht unter die Genuſsmittel zu rechnen und der Diebstahl desselben nimmt an der Straferleichterung für den Diebstahl solcher nicht teil. Zweifellos ist unter Umständen Feuerung ein ebenso dringendes Bedürfnis und für die Selbsterhaltung ebenso erforderlich wie Brot. Allein seine Verwendung ist doch eine mittelbarere als die des Brotes, sie hat gleichsam mehr Zwischenstationen und man kann deshalb annehmen, daſs ihm gegenüber der in Ver- suchung Befindliche mehr Zeit zur Besinnung hat, die ihm die sinn- liche Unmittelbarkeit des Reizes nicht läſst. Von solcher Gegenwärtigkeit des Genieſsens steht das Geld am weitesten ab, das Bedürfnis knüpft sich immer nur an das, was hinter ihm steht, so daſs die von ihm

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/428>, abgerufen am 22.11.2024.