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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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sierung der modernen Persönlichkeiten und der daraus hervorgehenden
Schwierigkeit der Gattenwahl giebt es doch wohl noch für jeden noch
so differenzierten Menschen einen entsprechenden des anderen Ge-
schlechtes, mit dem er sich ergänzt, an dem er den "richtigen" Gatten
fände. Die ganze Schwierigkeit liegt nur darin, dass die so gleichsam
für einander Prädestinierten sich nicht zusammenfinden. Die Sinnlosig-
keit von Menschenschicksalen kann sich nicht tragischer zeigen, als in
der Ehelosigkeit oder den unglücklichen Ehen zweier einander fremder
Menschen, die sich nur hätten kennen zu lernen brauchen, um an-
einander jedes mögliche Glück zu gewinnen. Kein Zweifel, dass die
vollendete Ausbildung der Heiratsannonce das blinde Geratewohl dieser
Verhältnisse rationalisieren könnte, wie die Annonce überhaupt dadurch
einer der grössten Kulturträger ist, dass sie dem Einzelnen eine un-
endlich höhere Chance adäquater Bedürfnisbefriedigung verschafft, als
wenn er auf die Zufälligkeit des direkten Auffindens der Objekte an-
gewiesen wäre. Grade die gesteigerte Individualisierung der Bedürf-
nisse macht die Annonce, als Erweiterung des Kreises von Angeboten,
durchaus erforderlich. Wenn dennoch grade in den Schichten der
differenzierteren Persönlichkeiten, die prinzipiell am meisten auf die
Heiratsannonce angewiesen scheinen, dieselbe gar nicht in Frage
kommt, so muss diese Perhorreszierung einen ganz positiven Grund
haben. Verfolgt man nun die thatsächlich erscheinenden Heirats-
annoncen, so sieht man, dass darin die Vermögensverhältnisse der
Suchenden oder Gesuchten den eigentlichen, wenn auch manchmal
verhüllten Zentralpunkt des Interesses bilden. Und das ist sehr be-
greiflich. Alle andern Qualitäten der Persönlichkeit nämlich lassen
sich in einer Annonce nicht mit irgendwelcher genauen oder über-
zeugenden Bestimmtheit angeben. Weder die äussere Erscheinung,
noch der Charakter, weder das Mass von Liebenswürdigkeit, noch von
Intellekt können leicht so beschrieben werden, dass ein unzweideutiges
und individuelles Interesse erregendes Bild entsteht. Das Einzige,
was in allen Fällen mit völliger Sicherheit bezeichnet werden kann,
ist der Geldbesitz der Personen, und es ist ein unvermeidlicher Zug
des menschlichen Vorstellens, unter mehreren Bestimmungen eines Ob-
jektes diejenige, welche mit der grössten Genauigkeit und Bestimmtheit
anzugeben oder zu erkennen ist, auch für die sachlich erste und wesent-
lichste gelten zu lassen. Dieser eigentümliche, sozusagen methodo-
logische Vorzug des Geldbesitzes macht die Heiratsannonce grade für
diejenigen Stände, welche ihrer eigentlich am dringendsten bedürften,
dadurch unmöglich, dass er ihr das Eingeständnis des blossen Geld-
interesses aufprägt.

sierung der modernen Persönlichkeiten und der daraus hervorgehenden
Schwierigkeit der Gattenwahl giebt es doch wohl noch für jeden noch
so differenzierten Menschen einen entsprechenden des anderen Ge-
schlechtes, mit dem er sich ergänzt, an dem er den „richtigen“ Gatten
fände. Die ganze Schwierigkeit liegt nur darin, daſs die so gleichsam
für einander Prädestinierten sich nicht zusammenfinden. Die Sinnlosig-
keit von Menschenschicksalen kann sich nicht tragischer zeigen, als in
der Ehelosigkeit oder den unglücklichen Ehen zweier einander fremder
Menschen, die sich nur hätten kennen zu lernen brauchen, um an-
einander jedes mögliche Glück zu gewinnen. Kein Zweifel, daſs die
vollendete Ausbildung der Heiratsannonce das blinde Geratewohl dieser
Verhältnisse rationalisieren könnte, wie die Annonce überhaupt dadurch
einer der gröſsten Kulturträger ist, daſs sie dem Einzelnen eine un-
endlich höhere Chance adäquater Bedürfnisbefriedigung verschafft, als
wenn er auf die Zufälligkeit des direkten Auffindens der Objekte an-
gewiesen wäre. Grade die gesteigerte Individualisierung der Bedürf-
nisse macht die Annonce, als Erweiterung des Kreises von Angeboten,
durchaus erforderlich. Wenn dennoch grade in den Schichten der
differenzierteren Persönlichkeiten, die prinzipiell am meisten auf die
Heiratsannonce angewiesen scheinen, dieselbe gar nicht in Frage
kommt, so muſs diese Perhorreszierung einen ganz positiven Grund
haben. Verfolgt man nun die thatsächlich erscheinenden Heirats-
annoncen, so sieht man, daſs darin die Vermögensverhältnisse der
Suchenden oder Gesuchten den eigentlichen, wenn auch manchmal
verhüllten Zentralpunkt des Interesses bilden. Und das ist sehr be-
greiflich. Alle andern Qualitäten der Persönlichkeit nämlich lassen
sich in einer Annonce nicht mit irgendwelcher genauen oder über-
zeugenden Bestimmtheit angeben. Weder die äuſsere Erscheinung,
noch der Charakter, weder das Maſs von Liebenswürdigkeit, noch von
Intellekt können leicht so beschrieben werden, daſs ein unzweideutiges
und individuelles Interesse erregendes Bild entsteht. Das Einzige,
was in allen Fällen mit völliger Sicherheit bezeichnet werden kann,
ist der Geldbesitz der Personen, und es ist ein unvermeidlicher Zug
des menschlichen Vorstellens, unter mehreren Bestimmungen eines Ob-
jektes diejenige, welche mit der gröſsten Genauigkeit und Bestimmtheit
anzugeben oder zu erkennen ist, auch für die sachlich erste und wesent-
lichste gelten zu lassen. Dieser eigentümliche, sozusagen methodo-
logische Vorzug des Geldbesitzes macht die Heiratsannonce grade für
diejenigen Stände, welche ihrer eigentlich am dringendsten bedürften,
dadurch unmöglich, daſs er ihr das Eingeständnis des bloſsen Geld-
interesses aufprägt.

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[399/0423] sierung der modernen Persönlichkeiten und der daraus hervorgehenden Schwierigkeit der Gattenwahl giebt es doch wohl noch für jeden noch so differenzierten Menschen einen entsprechenden des anderen Ge- schlechtes, mit dem er sich ergänzt, an dem er den „richtigen“ Gatten fände. Die ganze Schwierigkeit liegt nur darin, daſs die so gleichsam für einander Prädestinierten sich nicht zusammenfinden. Die Sinnlosig- keit von Menschenschicksalen kann sich nicht tragischer zeigen, als in der Ehelosigkeit oder den unglücklichen Ehen zweier einander fremder Menschen, die sich nur hätten kennen zu lernen brauchen, um an- einander jedes mögliche Glück zu gewinnen. Kein Zweifel, daſs die vollendete Ausbildung der Heiratsannonce das blinde Geratewohl dieser Verhältnisse rationalisieren könnte, wie die Annonce überhaupt dadurch einer der gröſsten Kulturträger ist, daſs sie dem Einzelnen eine un- endlich höhere Chance adäquater Bedürfnisbefriedigung verschafft, als wenn er auf die Zufälligkeit des direkten Auffindens der Objekte an- gewiesen wäre. Grade die gesteigerte Individualisierung der Bedürf- nisse macht die Annonce, als Erweiterung des Kreises von Angeboten, durchaus erforderlich. Wenn dennoch grade in den Schichten der differenzierteren Persönlichkeiten, die prinzipiell am meisten auf die Heiratsannonce angewiesen scheinen, dieselbe gar nicht in Frage kommt, so muſs diese Perhorreszierung einen ganz positiven Grund haben. Verfolgt man nun die thatsächlich erscheinenden Heirats- annoncen, so sieht man, daſs darin die Vermögensverhältnisse der Suchenden oder Gesuchten den eigentlichen, wenn auch manchmal verhüllten Zentralpunkt des Interesses bilden. Und das ist sehr be- greiflich. Alle andern Qualitäten der Persönlichkeit nämlich lassen sich in einer Annonce nicht mit irgendwelcher genauen oder über- zeugenden Bestimmtheit angeben. Weder die äuſsere Erscheinung, noch der Charakter, weder das Maſs von Liebenswürdigkeit, noch von Intellekt können leicht so beschrieben werden, daſs ein unzweideutiges und individuelles Interesse erregendes Bild entsteht. Das Einzige, was in allen Fällen mit völliger Sicherheit bezeichnet werden kann, ist der Geldbesitz der Personen, und es ist ein unvermeidlicher Zug des menschlichen Vorstellens, unter mehreren Bestimmungen eines Ob- jektes diejenige, welche mit der gröſsten Genauigkeit und Bestimmtheit anzugeben oder zu erkennen ist, auch für die sachlich erste und wesent- lichste gelten zu lassen. Dieser eigentümliche, sozusagen methodo- logische Vorzug des Geldbesitzes macht die Heiratsannonce grade für diejenigen Stände, welche ihrer eigentlich am dringendsten bedürften, dadurch unmöglich, daſs er ihr das Eingeständnis des bloſsen Geld- interesses aufprägt.

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/423>, abgerufen am 22.11.2024.