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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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auf diejenigen Fälle, in denen das Interesse des Geschädigten in Geld
ausdrückbar ist. Dies wird, wenn wir die Reihe der Kulturstadien
überblicken, bei einer ganz tiefen Stufe weniger der Fall sein, als bei
einer etwas höheren; hier aber wieder mehr als auf einer noch
höheren. Dies liegt etwa da besonders deutlich vor, wo städtische
Verhältnisse gegenüber ländlichen dem Geld erhebliche Wichtigkeit
zuwachsen lassen, während das Gesamtniveau beider ein relativ nie-
driges ist: so besteht im jetzigen Arabien die Blutrache unter den
Wüstenbewohnern, während in den Städten Wergeld gezahlt wird. In
dem wirtschaftlich interessierteren städtischen Leben liegt es eben
näher, die Bedeutung eines Menschen durch eine Geldsumme zu inter-
pretieren. Wie sehr sich das nun dahin zuspitzt, grade der im Geld-
wert abzumessenden Beschädigung einen besonderen Anspruch auf straf-
rechtliche Sühne zuzubilligen, das tritt jetzt besonders deutlich an dem
Begriff des Betruges hervor, den erst eine durchgehends auf Geld ge-
stellte Ordnung des Lebens ganz eindeutig zu fixieren gestattete. Das
deutsche Strafgesetzbuch lässt nämlich als strafwürdigen Betrug nur
gelten, wenn jemand die Vorspiegelung falscher Thatsachen "in der
Absicht, sich oder einem Anderen einen rechtswidrigen Vorteil zu ver-
schaffen" begeht. Die Untersuchung der anderen Fälle, in denen dies
Gesetzbuch betrügerische Vorspiegelungen bestraft, ergiebt nur noch
zwei, höchstens drei, in denen die individuelle Schädigung des Be-
trogenen den Grund der Bestrafung ausmacht: die Verführung eines
Mädchens unter der Vorspiegelung der Ehe, die Herbeiführung des
Eheschlusses unter betrügerischem Verschweigen von Ehehindernissen,
die wissentlich falsche Denunziation. Prüft man die übrigen Fälle, in
denen betrügerische Vorgaben mit Strafe bedroht werden, so zeigen sie
sich als solche, in denen kein individuelles, sondern prinzipiell nur das
staatliche Interesse geschädigt wird: Meineid, Wahlfälschungen, falsche
Entschuldigungen bei Schöffen, Zeugen und Geschworenen, Angaben
falscher Namen und Titel zuständigen Beamten gegenüber
u. s. w., ja selbst in diesem Fall des staatlichen Interesses wird die
Strafe überhaupt oder ihre Höhe oft daran geknüpft, dass ein ökono-
misches Interesse den Thäter bestimmt hat. So wird die Fälschung
von Pässen, Dienstbüchern etc. mit dem Zusatz unter Strafe gestellt,
dass sie "zum Zwecke des besseren Fortkommens" geschehe; so wird,
ganz besonders charakteristisch, die Fälschung des Personenstandes
(Kindesunterschiebung etc.) mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft,
aber, "wenn die Handlung in gewinnsüchtiger Absicht begangen wurde",
mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Wie nun eine Kindesunterschiebung
zweifellos aus sehr viel unsittlicheren und verbrecherischeren Motiven

auf diejenigen Fälle, in denen das Interesse des Geschädigten in Geld
ausdrückbar ist. Dies wird, wenn wir die Reihe der Kulturstadien
überblicken, bei einer ganz tiefen Stufe weniger der Fall sein, als bei
einer etwas höheren; hier aber wieder mehr als auf einer noch
höheren. Dies liegt etwa da besonders deutlich vor, wo städtische
Verhältnisse gegenüber ländlichen dem Geld erhebliche Wichtigkeit
zuwachsen lassen, während das Gesamtniveau beider ein relativ nie-
driges ist: so besteht im jetzigen Arabien die Blutrache unter den
Wüstenbewohnern, während in den Städten Wergeld gezahlt wird. In
dem wirtschaftlich interessierteren städtischen Leben liegt es eben
näher, die Bedeutung eines Menschen durch eine Geldsumme zu inter-
pretieren. Wie sehr sich das nun dahin zuspitzt, grade der im Geld-
wert abzumessenden Beschädigung einen besonderen Anspruch auf straf-
rechtliche Sühne zuzubilligen, das tritt jetzt besonders deutlich an dem
Begriff des Betruges hervor, den erst eine durchgehends auf Geld ge-
stellte Ordnung des Lebens ganz eindeutig zu fixieren gestattete. Das
deutsche Strafgesetzbuch läſst nämlich als strafwürdigen Betrug nur
gelten, wenn jemand die Vorspiegelung falscher Thatsachen „in der
Absicht, sich oder einem Anderen einen rechtswidrigen Vorteil zu ver-
schaffen“ begeht. Die Untersuchung der anderen Fälle, in denen dies
Gesetzbuch betrügerische Vorspiegelungen bestraft, ergiebt nur noch
zwei, höchstens drei, in denen die individuelle Schädigung des Be-
trogenen den Grund der Bestrafung ausmacht: die Verführung eines
Mädchens unter der Vorspiegelung der Ehe, die Herbeiführung des
Eheschlusses unter betrügerischem Verschweigen von Ehehindernissen,
die wissentlich falsche Denunziation. Prüft man die übrigen Fälle, in
denen betrügerische Vorgaben mit Strafe bedroht werden, so zeigen sie
sich als solche, in denen kein individuelles, sondern prinzipiell nur das
staatliche Interesse geschädigt wird: Meineid, Wahlfälschungen, falsche
Entschuldigungen bei Schöffen, Zeugen und Geschworenen, Angaben
falscher Namen und Titel zuständigen Beamten gegenüber
u. s. w., ja selbst in diesem Fall des staatlichen Interesses wird die
Strafe überhaupt oder ihre Höhe oft daran geknüpft, daſs ein ökono-
misches Interesse den Thäter bestimmt hat. So wird die Fälschung
von Pässen, Dienstbüchern etc. mit dem Zusatz unter Strafe gestellt,
daſs sie „zum Zwecke des besseren Fortkommens“ geschehe; so wird,
ganz besonders charakteristisch, die Fälschung des Personenstandes
(Kindesunterschiebung etc.) mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft,
aber, „wenn die Handlung in gewinnsüchtiger Absicht begangen wurde“,
mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Wie nun eine Kindesunterschiebung
zweifellos aus sehr viel unsittlicheren und verbrecherischeren Motiven

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[380/0404] auf diejenigen Fälle, in denen das Interesse des Geschädigten in Geld ausdrückbar ist. Dies wird, wenn wir die Reihe der Kulturstadien überblicken, bei einer ganz tiefen Stufe weniger der Fall sein, als bei einer etwas höheren; hier aber wieder mehr als auf einer noch höheren. Dies liegt etwa da besonders deutlich vor, wo städtische Verhältnisse gegenüber ländlichen dem Geld erhebliche Wichtigkeit zuwachsen lassen, während das Gesamtniveau beider ein relativ nie- driges ist: so besteht im jetzigen Arabien die Blutrache unter den Wüstenbewohnern, während in den Städten Wergeld gezahlt wird. In dem wirtschaftlich interessierteren städtischen Leben liegt es eben näher, die Bedeutung eines Menschen durch eine Geldsumme zu inter- pretieren. Wie sehr sich das nun dahin zuspitzt, grade der im Geld- wert abzumessenden Beschädigung einen besonderen Anspruch auf straf- rechtliche Sühne zuzubilligen, das tritt jetzt besonders deutlich an dem Begriff des Betruges hervor, den erst eine durchgehends auf Geld ge- stellte Ordnung des Lebens ganz eindeutig zu fixieren gestattete. Das deutsche Strafgesetzbuch läſst nämlich als strafwürdigen Betrug nur gelten, wenn jemand die Vorspiegelung falscher Thatsachen „in der Absicht, sich oder einem Anderen einen rechtswidrigen Vorteil zu ver- schaffen“ begeht. Die Untersuchung der anderen Fälle, in denen dies Gesetzbuch betrügerische Vorspiegelungen bestraft, ergiebt nur noch zwei, höchstens drei, in denen die individuelle Schädigung des Be- trogenen den Grund der Bestrafung ausmacht: die Verführung eines Mädchens unter der Vorspiegelung der Ehe, die Herbeiführung des Eheschlusses unter betrügerischem Verschweigen von Ehehindernissen, die wissentlich falsche Denunziation. Prüft man die übrigen Fälle, in denen betrügerische Vorgaben mit Strafe bedroht werden, so zeigen sie sich als solche, in denen kein individuelles, sondern prinzipiell nur das staatliche Interesse geschädigt wird: Meineid, Wahlfälschungen, falsche Entschuldigungen bei Schöffen, Zeugen und Geschworenen, Angaben falscher Namen und Titel zuständigen Beamten gegenüber u. s. w., ja selbst in diesem Fall des staatlichen Interesses wird die Strafe überhaupt oder ihre Höhe oft daran geknüpft, daſs ein ökono- misches Interesse den Thäter bestimmt hat. So wird die Fälschung von Pässen, Dienstbüchern etc. mit dem Zusatz unter Strafe gestellt, daſs sie „zum Zwecke des besseren Fortkommens“ geschehe; so wird, ganz besonders charakteristisch, die Fälschung des Personenstandes (Kindesunterschiebung etc.) mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft, aber, „wenn die Handlung in gewinnsüchtiger Absicht begangen wurde“, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Wie nun eine Kindesunterschiebung zweifellos aus sehr viel unsittlicheren und verbrecherischeren Motiven

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/404>, abgerufen am 22.11.2024.