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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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für seine Tötung -- wenn auch durch ein theologisches Missverständnis
hervorgerufen -- wies doch darauf hin, dass eine ökonomische Wert-
bestimmtheit des Menschen aus einer objektiven Ordnung hervorgehen
konnte, die seine Wertung aus der blossen privaten Nützlichkeit für
den Berechtigten durchbrach. Dieser Übergang wird in dem Masse
erleichtert und bezeichnet, in dem das Wergeld eine rein staat-
liche Institution wird. Es kommt grade im äusseren Gegensatz zu dem
eben erwähnten Fall vor, dass nur der Freie Wergeld hat, der Un-
freie aber überhaupt nicht. Im florentiner Gebiet finden wir während
des Mittelalters eine reiche Abstufung von Hörigen als coloni, sedentes,
quilini, inquilini, adscripticii, censiti u. s. w. -- deren Bindungen wahr-
scheinlich im umgekehrten Verhältnis ihres Wergeldes zunahmen, so
dass für die gänzlich Unfreien überhaupt kein Wergeld mehr bestand.
Noch im 13. Jahrhundert wurde dieses an sich damals längst veraltete
und rein formell gewordene Kriterium z. B. vor Gericht festgestellt,
um die Bedeutung der Zeugenaussagen danach zu rangieren. Vom indivi-
dualistischen Nützlichkeitsstandpunkte aus müsste umgekehrt das Wergeld
um so entschiedener festgehalten werden, je mehr jemand das Eigen-
tum eines Dritten ist. Dass es anders geschah, und dass jene Ordnung
als Symbol für das Gewicht der persönlichen Aussage funktionierte,
das zeigt den Punkt an, auf dem das Wergeld zum Ausdruck des
objektiven Persönlichkeitswertes geworden war.

In der Entwicklung, die so von einer bloss utilitarischen zu einer
sachlichen Preisschätzung des Menschen aufstieg, macht sich ein sehr
allgemeiner Modus des Denkens geltend. Wenn alle Subjekte von
einem Objekt einen und denselben Eindruck empfangen, so scheint
das nicht anders erklärbar, als dass das Objekt eben diese bestimmte
Qualität, den Inhalt jenes Eindrucks an sich besitze; ganz verschiedene
Eindrücke mögen in ihrer Verschiedenheit aus den aufnehmenden Sub-
jekten stammen, ihre Gleichheit aber kann, wenn man den unwahr-
scheinlichsten Zufall ausschliessen will, nur daher stammen, dass sich
das so qualifizierte Objekt in den Geistern spiegelt -- zugegeben selbst,
dass dies nur ein symbolischer und tieferer Ergänzung bedürftiger Aus-
druck ist. Innerhalb der Wertsetzung wiederholt sich dieser Vorgang.
Wenn dasselbe Objekt in verschiedenen Fällen und von verschiedenen
Personen verschieden gewertet wird, so wird die ganze Schätzung seiner
als ein subjektiver Prozess erscheinen, der infolgedessen je nach den
persönlichen Umständen und Dispositionen verschieden ausfallen muss.
Wird es indes von verschiedenen Personen immer genau gleich ge-
schätzt, so scheint der Schluss unvermeidlich, dass es ebenso viel wert
ist. Wenn also etwa die Angehörigen der Erschlagenen ganz ver-

Simmel, Philosophie des Geldes. 24

für seine Tötung — wenn auch durch ein theologisches Miſsverständnis
hervorgerufen — wies doch darauf hin, daſs eine ökonomische Wert-
bestimmtheit des Menschen aus einer objektiven Ordnung hervorgehen
konnte, die seine Wertung aus der bloſsen privaten Nützlichkeit für
den Berechtigten durchbrach. Dieser Übergang wird in dem Maſse
erleichtert und bezeichnet, in dem das Wergeld eine rein staat-
liche Institution wird. Es kommt grade im äuſseren Gegensatz zu dem
eben erwähnten Fall vor, daſs nur der Freie Wergeld hat, der Un-
freie aber überhaupt nicht. Im florentiner Gebiet finden wir während
des Mittelalters eine reiche Abstufung von Hörigen als coloni, sedentes,
quilini, inquilini, adscripticii, censiti u. s. w. — deren Bindungen wahr-
scheinlich im umgekehrten Verhältnis ihres Wergeldes zunahmen, so
daſs für die gänzlich Unfreien überhaupt kein Wergeld mehr bestand.
Noch im 13. Jahrhundert wurde dieses an sich damals längst veraltete
und rein formell gewordene Kriterium z. B. vor Gericht festgestellt,
um die Bedeutung der Zeugenaussagen danach zu rangieren. Vom indivi-
dualistischen Nützlichkeitsstandpunkte aus müſste umgekehrt das Wergeld
um so entschiedener festgehalten werden, je mehr jemand das Eigen-
tum eines Dritten ist. Daſs es anders geschah, und daſs jene Ordnung
als Symbol für das Gewicht der persönlichen Aussage funktionierte,
das zeigt den Punkt an, auf dem das Wergeld zum Ausdruck des
objektiven Persönlichkeitswertes geworden war.

In der Entwicklung, die so von einer bloſs utilitarischen zu einer
sachlichen Preisschätzung des Menschen aufstieg, macht sich ein sehr
allgemeiner Modus des Denkens geltend. Wenn alle Subjekte von
einem Objekt einen und denselben Eindruck empfangen, so scheint
das nicht anders erklärbar, als daſs das Objekt eben diese bestimmte
Qualität, den Inhalt jenes Eindrucks an sich besitze; ganz verschiedene
Eindrücke mögen in ihrer Verschiedenheit aus den aufnehmenden Sub-
jekten stammen, ihre Gleichheit aber kann, wenn man den unwahr-
scheinlichsten Zufall ausschlieſsen will, nur daher stammen, daſs sich
das so qualifizierte Objekt in den Geistern spiegelt — zugegeben selbst,
daſs dies nur ein symbolischer und tieferer Ergänzung bedürftiger Aus-
druck ist. Innerhalb der Wertsetzung wiederholt sich dieser Vorgang.
Wenn dasselbe Objekt in verschiedenen Fällen und von verschiedenen
Personen verschieden gewertet wird, so wird die ganze Schätzung seiner
als ein subjektiver Prozeſs erscheinen, der infolgedessen je nach den
persönlichen Umständen und Dispositionen verschieden ausfallen muſs.
Wird es indes von verschiedenen Personen immer genau gleich ge-
schätzt, so scheint der Schluſs unvermeidlich, daſs es ebenso viel wert
ist. Wenn also etwa die Angehörigen der Erschlagenen ganz ver-

Simmel, Philosophie des Geldes. 24
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[369/0393] für seine Tötung — wenn auch durch ein theologisches Miſsverständnis hervorgerufen — wies doch darauf hin, daſs eine ökonomische Wert- bestimmtheit des Menschen aus einer objektiven Ordnung hervorgehen konnte, die seine Wertung aus der bloſsen privaten Nützlichkeit für den Berechtigten durchbrach. Dieser Übergang wird in dem Maſse erleichtert und bezeichnet, in dem das Wergeld eine rein staat- liche Institution wird. Es kommt grade im äuſseren Gegensatz zu dem eben erwähnten Fall vor, daſs nur der Freie Wergeld hat, der Un- freie aber überhaupt nicht. Im florentiner Gebiet finden wir während des Mittelalters eine reiche Abstufung von Hörigen als coloni, sedentes, quilini, inquilini, adscripticii, censiti u. s. w. — deren Bindungen wahr- scheinlich im umgekehrten Verhältnis ihres Wergeldes zunahmen, so daſs für die gänzlich Unfreien überhaupt kein Wergeld mehr bestand. Noch im 13. Jahrhundert wurde dieses an sich damals längst veraltete und rein formell gewordene Kriterium z. B. vor Gericht festgestellt, um die Bedeutung der Zeugenaussagen danach zu rangieren. Vom indivi- dualistischen Nützlichkeitsstandpunkte aus müſste umgekehrt das Wergeld um so entschiedener festgehalten werden, je mehr jemand das Eigen- tum eines Dritten ist. Daſs es anders geschah, und daſs jene Ordnung als Symbol für das Gewicht der persönlichen Aussage funktionierte, das zeigt den Punkt an, auf dem das Wergeld zum Ausdruck des objektiven Persönlichkeitswertes geworden war. In der Entwicklung, die so von einer bloſs utilitarischen zu einer sachlichen Preisschätzung des Menschen aufstieg, macht sich ein sehr allgemeiner Modus des Denkens geltend. Wenn alle Subjekte von einem Objekt einen und denselben Eindruck empfangen, so scheint das nicht anders erklärbar, als daſs das Objekt eben diese bestimmte Qualität, den Inhalt jenes Eindrucks an sich besitze; ganz verschiedene Eindrücke mögen in ihrer Verschiedenheit aus den aufnehmenden Sub- jekten stammen, ihre Gleichheit aber kann, wenn man den unwahr- scheinlichsten Zufall ausschlieſsen will, nur daher stammen, daſs sich das so qualifizierte Objekt in den Geistern spiegelt — zugegeben selbst, daſs dies nur ein symbolischer und tieferer Ergänzung bedürftiger Aus- druck ist. Innerhalb der Wertsetzung wiederholt sich dieser Vorgang. Wenn dasselbe Objekt in verschiedenen Fällen und von verschiedenen Personen verschieden gewertet wird, so wird die ganze Schätzung seiner als ein subjektiver Prozeſs erscheinen, der infolgedessen je nach den persönlichen Umständen und Dispositionen verschieden ausfallen muſs. Wird es indes von verschiedenen Personen immer genau gleich ge- schätzt, so scheint der Schluſs unvermeidlich, daſs es ebenso viel wert ist. Wenn also etwa die Angehörigen der Erschlagenen ganz ver- Simmel, Philosophie des Geldes. 24

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/393>, abgerufen am 03.05.2024.