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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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und die sich dann technisch zum "Münzfuss" verfeinert, ist gleichsam
die absolute Grundlage der quantitativen Relationen, in denen der
Geldverkehr verläuft. Nun wäre freilich, rein begrifflich angesehen,
die Grösse dieser Einheit ganz gleichgültig, denn wie sie auch sei,
durch Division oder Multiplikation lassen sich alle erforderlichen
Grössen aus ihr herstellen; über ihre Festsetzung werden denn auch
wirklich, namentlich in späterer Zeit, nur teils historisch-politische,
teils münztechnische Gründe entscheiden. Dennoch wird dasjenige
Geldquantum, das einem als der Massstab aller anderen vor Augen
steht, sobald von Geld geredet wird, und sozusagen der Repräsentant
des Geldes überhaupt ist -- das wird wenigstens ursprünglich auch
zu irgend einem zentralen Wertgefühl des Menschen in Beziehung
stehen müssen, als Äquivalent für irgend ein im Vordergrund des
Bewusstseins stehendes Objekt oder Leistung kreiert werden. Woraus
sich übrigens die oft bemerkte Thatsache erklärt, dass in Ländern mit
hoher Münzeinheit die Lebenshaltung teurer ist als in solchen mit
minderer -- also, ceteris paribus, in Dollarländern teurer als in Mark-
ländern, in Markländern teurer als in Frankländern. Vielerlei Lebens-
bedürfnisse scheinen eben diese Einheit, bezw. bestimmte Vielfache der-
selben zu kosten, gleichviel welches deren absolute Grösse ist. Die
Münzeinheit innerhalb eines sozialen Kreises, so irrelevant sie vermöge
ihrer beliebigen Teilung und Multiplizierung zu sein scheint, hat
dennoch, sowohl als Folge wie als Ursache, sehr tiefe Beziehungen zu
dem ökonomisch ausdeutbaren Typus der Lebenswerte überhaupt. Es
war noch ein Erfolg dieses Zusammenhanges, dass die erste französische
Konstitution von 1791 als Wertmesser den Tagelohn annahm. Jeder
vollberechtigte Bürger musste eine direkte Steuer von mindestens
3 Journees de travail zahlen, um Wähler zu sein, bedurfte es eines
Einkommens von 150--200 Journees. So ist die werttheoretische
Meinung aufgetaucht, die Tagesexigenz, also dasjenige, was für
den Menschen den unumgänglichsten Wert hat, sei der absolute
Wertmesser, dem gegenüber die edlen Metalle und alles Geld über-
haupt als Ware im Preise steigen oder fallen. Und in derselben
Richtung, als die Werteinheit ein zentrales und durch ein wesent-
liches menschliches Interesse umgrenztes Objekt zu setzen, liegt der
Vorschlag eines "Arbeitsgeldes", dessen Grundeinheit gleich dem
Arbeitswerte einer Stunde oder eines Tages sei. Demgegenüber möchte
man es als einen nur quantitativen Unterschied bezeichnen, wenn das
Äquivalent für den ganzen Menschen, das Wergeld, als das charakte-
ristische Geldquantum überhaupt hervortritt.

Der Ursprung des Wergeldes ist offenbar rein utilitarisch, und

und die sich dann technisch zum „Münzfuſs“ verfeinert, ist gleichsam
die absolute Grundlage der quantitativen Relationen, in denen der
Geldverkehr verläuft. Nun wäre freilich, rein begrifflich angesehen,
die Gröſse dieser Einheit ganz gleichgültig, denn wie sie auch sei,
durch Division oder Multiplikation lassen sich alle erforderlichen
Gröſsen aus ihr herstellen; über ihre Festsetzung werden denn auch
wirklich, namentlich in späterer Zeit, nur teils historisch-politische,
teils münztechnische Gründe entscheiden. Dennoch wird dasjenige
Geldquantum, das einem als der Maſsstab aller anderen vor Augen
steht, sobald von Geld geredet wird, und sozusagen der Repräsentant
des Geldes überhaupt ist — das wird wenigstens ursprünglich auch
zu irgend einem zentralen Wertgefühl des Menschen in Beziehung
stehen müssen, als Äquivalent für irgend ein im Vordergrund des
Bewuſstseins stehendes Objekt oder Leistung kreiert werden. Woraus
sich übrigens die oft bemerkte Thatsache erklärt, daſs in Ländern mit
hoher Münzeinheit die Lebenshaltung teurer ist als in solchen mit
minderer — also, ceteris paribus, in Dollarländern teurer als in Mark-
ländern, in Markländern teurer als in Frankländern. Vielerlei Lebens-
bedürfnisse scheinen eben diese Einheit, bezw. bestimmte Vielfache der-
selben zu kosten, gleichviel welches deren absolute Gröſse ist. Die
Münzeinheit innerhalb eines sozialen Kreises, so irrelevant sie vermöge
ihrer beliebigen Teilung und Multiplizierung zu sein scheint, hat
dennoch, sowohl als Folge wie als Ursache, sehr tiefe Beziehungen zu
dem ökonomisch ausdeutbaren Typus der Lebenswerte überhaupt. Es
war noch ein Erfolg dieses Zusammenhanges, daſs die erste französische
Konstitution von 1791 als Wertmesser den Tagelohn annahm. Jeder
vollberechtigte Bürger muſste eine direkte Steuer von mindestens
3 Journées de travail zahlen, um Wähler zu sein, bedurfte es eines
Einkommens von 150—200 Journées. So ist die werttheoretische
Meinung aufgetaucht, die Tagesexigenz, also dasjenige, was für
den Menschen den unumgänglichsten Wert hat, sei der absolute
Wertmesser, dem gegenüber die edlen Metalle und alles Geld über-
haupt als Ware im Preise steigen oder fallen. Und in derselben
Richtung, als die Werteinheit ein zentrales und durch ein wesent-
liches menschliches Interesse umgrenztes Objekt zu setzen, liegt der
Vorschlag eines „Arbeitsgeldes“, dessen Grundeinheit gleich dem
Arbeitswerte einer Stunde oder eines Tages sei. Demgegenüber möchte
man es als einen nur quantitativen Unterschied bezeichnen, wenn das
Äquivalent für den ganzen Menschen, das Wergeld, als das charakte-
ristische Geldquantum überhaupt hervortritt.

Der Ursprung des Wergeldes ist offenbar rein utilitarisch, und

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[367/0391] und die sich dann technisch zum „Münzfuſs“ verfeinert, ist gleichsam die absolute Grundlage der quantitativen Relationen, in denen der Geldverkehr verläuft. Nun wäre freilich, rein begrifflich angesehen, die Gröſse dieser Einheit ganz gleichgültig, denn wie sie auch sei, durch Division oder Multiplikation lassen sich alle erforderlichen Gröſsen aus ihr herstellen; über ihre Festsetzung werden denn auch wirklich, namentlich in späterer Zeit, nur teils historisch-politische, teils münztechnische Gründe entscheiden. Dennoch wird dasjenige Geldquantum, das einem als der Maſsstab aller anderen vor Augen steht, sobald von Geld geredet wird, und sozusagen der Repräsentant des Geldes überhaupt ist — das wird wenigstens ursprünglich auch zu irgend einem zentralen Wertgefühl des Menschen in Beziehung stehen müssen, als Äquivalent für irgend ein im Vordergrund des Bewuſstseins stehendes Objekt oder Leistung kreiert werden. Woraus sich übrigens die oft bemerkte Thatsache erklärt, daſs in Ländern mit hoher Münzeinheit die Lebenshaltung teurer ist als in solchen mit minderer — also, ceteris paribus, in Dollarländern teurer als in Mark- ländern, in Markländern teurer als in Frankländern. Vielerlei Lebens- bedürfnisse scheinen eben diese Einheit, bezw. bestimmte Vielfache der- selben zu kosten, gleichviel welches deren absolute Gröſse ist. Die Münzeinheit innerhalb eines sozialen Kreises, so irrelevant sie vermöge ihrer beliebigen Teilung und Multiplizierung zu sein scheint, hat dennoch, sowohl als Folge wie als Ursache, sehr tiefe Beziehungen zu dem ökonomisch ausdeutbaren Typus der Lebenswerte überhaupt. Es war noch ein Erfolg dieses Zusammenhanges, daſs die erste französische Konstitution von 1791 als Wertmesser den Tagelohn annahm. Jeder vollberechtigte Bürger muſste eine direkte Steuer von mindestens 3 Journées de travail zahlen, um Wähler zu sein, bedurfte es eines Einkommens von 150—200 Journées. So ist die werttheoretische Meinung aufgetaucht, die Tagesexigenz, also dasjenige, was für den Menschen den unumgänglichsten Wert hat, sei der absolute Wertmesser, dem gegenüber die edlen Metalle und alles Geld über- haupt als Ware im Preise steigen oder fallen. Und in derselben Richtung, als die Werteinheit ein zentrales und durch ein wesent- liches menschliches Interesse umgrenztes Objekt zu setzen, liegt der Vorschlag eines „Arbeitsgeldes“, dessen Grundeinheit gleich dem Arbeitswerte einer Stunde oder eines Tages sei. Demgegenüber möchte man es als einen nur quantitativen Unterschied bezeichnen, wenn das Äquivalent für den ganzen Menschen, das Wergeld, als das charakte- ristische Geldquantum überhaupt hervortritt. Der Ursprung des Wergeldes ist offenbar rein utilitarisch, und

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/391>, abgerufen am 03.05.2024.