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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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auf weithin zu transportieren, muss diese auf relative Kleinheit der ein-
zelnen Wirtschaftskreise beschränken, während das Geld grade durch
seine absolute Beweglichkeit das Band bildet, das die grösste Ausdehnung
des Kreises mit der Verselbständigung der Persönlichkeiten verbindet.
Der vermittelnde Begriff für diese Korrelation zwischen dem Geld einer-
seits und der Vergrösserung des Kreises wie der Differenzierung der Indi-
viduen andrerseits ist oft das Privateigentum überhaupt. Der kleine und
naturalwirtschaftliche Kreis neigt zu Gemeineigentum. Jede Vergrösserung
desselben drängt auf Aussonderung der Anteile: bei sehr gewachsener
Zahl von Genossen wird die Verwaltungstechnik des Gemeinbesitzes so
kompliziert und konfliktsreich, die Entstehungswahrscheinlichkeit unver-
träglicher oder über die kommunistische Enge hinausdrängender Indivi-
duen wächst so sehr, die dem Gemeinbesitz widerstrebende Arbeits-
teilung und Intensität der Ausnutzung wird zu einer solchen Notwendig-
keit, dass man den Privatbesitz als eine direkte Folge der quantitativen
Mehrung der Gruppe bezeichnen kann. Eine irländische Handschrift des
12. Jahrhunderts berichtet, dass die Aufteilungen des Bodens wegen
der zu gross gewordenen Zahl der Familien stattfanden; und in Russ-
land, wo sich der Übergang vom Gesamt- zum Sondereigentum noch
beobachtbar vollzieht, ist es ganz deutlich, dass die blosse Vermehrung
der Bevölkerung ihn trägt oder beschleunigt. Das Geld aber ist ersicht-
lich das geeignetste Substrat der privaten und persönlichen Besitzform.
Die gesonderte Verteilung, die Fixierung der Vermögensrechte, die
Realisierung der einzelnen Ansprüche ist erst durch das Geld ohne
weiteres möglich geworden. Darum wehrt sich aber das Geld auch --
und dies ist die Kehrseite eben derselben Thatsache -- gegen gewisse
kollektivistische Verfügungen, die sich innerhalb der Naturalwirtschaft
von selbst ergeben. Im Mittelalter galt die Theorie, dass eine Geld-
leistung nur von demjenigen zu fordern wäre, der sie persönlich ver-
sprochen hätte; die Mitglieder der Stände, die in der bewilligenden
Versammlung nicht gegenwärtig waren, versagten deshalb oft die
Leistung. Anfangs des 13. Jahrhunderts steht es in England noch
nicht formell fest, dass der Beschluss des Supreme Council der
Ständevertretung alle Unterthanen in Sachen der Besteuerung
auch gegen den Willen des Einzelnen binden solle. Und als in
Deutschland am Ende des Mittelalters die Landstände vielfach dem
Landesherrn gegenüber eine als Einheit wirkende Körperschaft bildeten
und ihre Aktionen nicht die summierten Aktionen von Einzelnen,
sondern solche der Gesamtheit der Stände waren, da erhielt sich doch
die erstere Vorstellung noch am längsten bei der Steuerbewilligung;
hier schien am längsten die Gesamtheit nur die Summe der Einzelnen

auf weithin zu transportieren, muſs diese auf relative Kleinheit der ein-
zelnen Wirtschaftskreise beschränken, während das Geld grade durch
seine absolute Beweglichkeit das Band bildet, das die gröſste Ausdehnung
des Kreises mit der Verselbständigung der Persönlichkeiten verbindet.
Der vermittelnde Begriff für diese Korrelation zwischen dem Geld einer-
seits und der Vergröſserung des Kreises wie der Differenzierung der Indi-
viduen andrerseits ist oft das Privateigentum überhaupt. Der kleine und
naturalwirtschaftliche Kreis neigt zu Gemeineigentum. Jede Vergröſserung
desselben drängt auf Aussonderung der Anteile: bei sehr gewachsener
Zahl von Genossen wird die Verwaltungstechnik des Gemeinbesitzes so
kompliziert und konfliktsreich, die Entstehungswahrscheinlichkeit unver-
träglicher oder über die kommunistische Enge hinausdrängender Indivi-
duen wächst so sehr, die dem Gemeinbesitz widerstrebende Arbeits-
teilung und Intensität der Ausnutzung wird zu einer solchen Notwendig-
keit, daſs man den Privatbesitz als eine direkte Folge der quantitativen
Mehrung der Gruppe bezeichnen kann. Eine irländische Handschrift des
12. Jahrhunderts berichtet, daſs die Aufteilungen des Bodens wegen
der zu groſs gewordenen Zahl der Familien stattfanden; und in Ruſs-
land, wo sich der Übergang vom Gesamt- zum Sondereigentum noch
beobachtbar vollzieht, ist es ganz deutlich, daſs die bloſse Vermehrung
der Bevölkerung ihn trägt oder beschleunigt. Das Geld aber ist ersicht-
lich das geeignetste Substrat der privaten und persönlichen Besitzform.
Die gesonderte Verteilung, die Fixierung der Vermögensrechte, die
Realisierung der einzelnen Ansprüche ist erst durch das Geld ohne
weiteres möglich geworden. Darum wehrt sich aber das Geld auch —
und dies ist die Kehrseite eben derselben Thatsache — gegen gewisse
kollektivistische Verfügungen, die sich innerhalb der Naturalwirtschaft
von selbst ergeben. Im Mittelalter galt die Theorie, daſs eine Geld-
leistung nur von demjenigen zu fordern wäre, der sie persönlich ver-
sprochen hätte; die Mitglieder der Stände, die in der bewilligenden
Versammlung nicht gegenwärtig waren, versagten deshalb oft die
Leistung. Anfangs des 13. Jahrhunderts steht es in England noch
nicht formell fest, daſs der Beschluſs des Supreme Council der
Ständevertretung alle Unterthanen in Sachen der Besteuerung
auch gegen den Willen des Einzelnen binden solle. Und als in
Deutschland am Ende des Mittelalters die Landstände vielfach dem
Landesherrn gegenüber eine als Einheit wirkende Körperschaft bildeten
und ihre Aktionen nicht die summierten Aktionen von Einzelnen,
sondern solche der Gesamtheit der Stände waren, da erhielt sich doch
die erstere Vorstellung noch am längsten bei der Steuerbewilligung;
hier schien am längsten die Gesamtheit nur die Summe der Einzelnen

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[358/0382] auf weithin zu transportieren, muſs diese auf relative Kleinheit der ein- zelnen Wirtschaftskreise beschränken, während das Geld grade durch seine absolute Beweglichkeit das Band bildet, das die gröſste Ausdehnung des Kreises mit der Verselbständigung der Persönlichkeiten verbindet. Der vermittelnde Begriff für diese Korrelation zwischen dem Geld einer- seits und der Vergröſserung des Kreises wie der Differenzierung der Indi- viduen andrerseits ist oft das Privateigentum überhaupt. Der kleine und naturalwirtschaftliche Kreis neigt zu Gemeineigentum. Jede Vergröſserung desselben drängt auf Aussonderung der Anteile: bei sehr gewachsener Zahl von Genossen wird die Verwaltungstechnik des Gemeinbesitzes so kompliziert und konfliktsreich, die Entstehungswahrscheinlichkeit unver- träglicher oder über die kommunistische Enge hinausdrängender Indivi- duen wächst so sehr, die dem Gemeinbesitz widerstrebende Arbeits- teilung und Intensität der Ausnutzung wird zu einer solchen Notwendig- keit, daſs man den Privatbesitz als eine direkte Folge der quantitativen Mehrung der Gruppe bezeichnen kann. Eine irländische Handschrift des 12. Jahrhunderts berichtet, daſs die Aufteilungen des Bodens wegen der zu groſs gewordenen Zahl der Familien stattfanden; und in Ruſs- land, wo sich der Übergang vom Gesamt- zum Sondereigentum noch beobachtbar vollzieht, ist es ganz deutlich, daſs die bloſse Vermehrung der Bevölkerung ihn trägt oder beschleunigt. Das Geld aber ist ersicht- lich das geeignetste Substrat der privaten und persönlichen Besitzform. Die gesonderte Verteilung, die Fixierung der Vermögensrechte, die Realisierung der einzelnen Ansprüche ist erst durch das Geld ohne weiteres möglich geworden. Darum wehrt sich aber das Geld auch — und dies ist die Kehrseite eben derselben Thatsache — gegen gewisse kollektivistische Verfügungen, die sich innerhalb der Naturalwirtschaft von selbst ergeben. Im Mittelalter galt die Theorie, daſs eine Geld- leistung nur von demjenigen zu fordern wäre, der sie persönlich ver- sprochen hätte; die Mitglieder der Stände, die in der bewilligenden Versammlung nicht gegenwärtig waren, versagten deshalb oft die Leistung. Anfangs des 13. Jahrhunderts steht es in England noch nicht formell fest, daſs der Beschluſs des Supreme Council der Ständevertretung alle Unterthanen in Sachen der Besteuerung auch gegen den Willen des Einzelnen binden solle. Und als in Deutschland am Ende des Mittelalters die Landstände vielfach dem Landesherrn gegenüber eine als Einheit wirkende Körperschaft bildeten und ihre Aktionen nicht die summierten Aktionen von Einzelnen, sondern solche der Gesamtheit der Stände waren, da erhielt sich doch die erstere Vorstellung noch am längsten bei der Steuerbewilligung; hier schien am längsten die Gesamtheit nur die Summe der Einzelnen

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/382>, abgerufen am 22.11.2024.