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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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zu lassen. Ja auf Grund dieser vollen subjektiven Freiheit, die die
blosse Geldbeteiligung den Mitgliedern der Assoziation lässt, sind ge-
wisse Vereinigungen überhaupt erst möglich geworden. Der Gustav-
Adolf-Verein, jene grosse Gemeinschaft zur Unterstützung bedürftiger
evangelischer Gemeinden, hätte gar nicht zur Existenz und Wirksam-
keit kommen können, wenn nicht der Charakter (oder vielmehr die
Charakterlosigkeit) der Geldbeiträge die konfessionellen Unterschiede
der Beitragenden verwischt hätte. Zu keiner andern Einungsform
wären Lutheraner, Reformierte, Unierte zu bewegen gewesen. Dasselbe
gilt, wenn das gemeinsame Geldinteresse sozusagen ein passives wird.
Der englische Klerus bildete bis ziemlich tief in das Mittelalter hinein
durchaus keine Einheit; insbesondere gehörten die Bischöfe, als Feu-
dalherren, zu den Lords, in sozialer und politischer Absonderung von
dem niederen Klerus. Dies fand namentlich so lange statt, als nur der
Grundbesitz, an dem letzterer nicht teil hatte, besteuert wurde. So-
bald aber besondere Besteuerungen des gesamten geistlichen Ein-
kommens aufkamen, war durch Opposition dagegen oder durch Be-
willigung ein gemeinsames Interesse für den ganzen Stand geschaffen,
das der beste Kenner jener Zeit für eins der Hauptbindemittel hält, die
überhaupt den Klerus erst als einheitlichen Stand schufen. Schon die
Anfänge der Geldwirtschaft zeitigen Entwicklungen der wirtschaftlichen
Vereinigung aus demselben Grundmotiv heraus. Die Vermehrung und
vermehrte Bedeutung des Kapitals erzeugte vom 14. Jahrhundert an
das Bedürfnis, dasselbe in der Familie ungeteilt zu erhalten. Denn
indem die Anteile aller Erben einheitlich zusammenblieben, übten sie
weit reichere Wirkungen zu gunsten eines jeden, als er bei ihrer
Zersplitterung erreichen konnte. Es begann also in Deutschland der
Eintritt aller Erben in die ungeteilte Erbschaft und der Weiterbestand
des alten Geschäfts zu gesamter Hand. Daran knüpften sich nun
zwei Konsequenzen. Es entstand innerhalb der Familie die Trennung
von Hauswirtschaft und Geschäft, so dass Familienmitglieder mit ge-
trennter Hauswirtschaft und separatem Vermögen doch Teilhaber der
einen ungeteilten "Firma" bleiben konnten; während die Bedeutung
des Geldkapitals die alte Familienwirtschaft überhaupt gesprengt hatte,
schuf es nun doch über dieser Trennung eine neue Vereinigung, in
deren reine Sachlichkeit die von den eigentlichen Privatinteressen ge-
lösten, ausschliesslichen Vermögensinteressen eingingen. Und zweitens
wurde diese Vereinigungsform nun auch von solchen nachgeahmt, welche
nicht einmal in einer ursprünglichen Familienbeziehung standen; nach-
dem einmal aus der Hauswirtschaft sich das "Geschäft" herausgelöst
hatte, wurde es auch von Nichtverwandten als Vereinigungsform der

Simmel, Philosophie des Geldes. 23

zu lassen. Ja auf Grund dieser vollen subjektiven Freiheit, die die
bloſse Geldbeteiligung den Mitgliedern der Assoziation läſst, sind ge-
wisse Vereinigungen überhaupt erst möglich geworden. Der Gustav-
Adolf-Verein, jene groſse Gemeinschaft zur Unterstützung bedürftiger
evangelischer Gemeinden, hätte gar nicht zur Existenz und Wirksam-
keit kommen können, wenn nicht der Charakter (oder vielmehr die
Charakterlosigkeit) der Geldbeiträge die konfessionellen Unterschiede
der Beitragenden verwischt hätte. Zu keiner andern Einungsform
wären Lutheraner, Reformierte, Unierte zu bewegen gewesen. Dasselbe
gilt, wenn das gemeinsame Geldinteresse sozusagen ein passives wird.
Der englische Klerus bildete bis ziemlich tief in das Mittelalter hinein
durchaus keine Einheit; insbesondere gehörten die Bischöfe, als Feu-
dalherren, zu den Lords, in sozialer und politischer Absonderung von
dem niederen Klerus. Dies fand namentlich so lange statt, als nur der
Grundbesitz, an dem letzterer nicht teil hatte, besteuert wurde. So-
bald aber besondere Besteuerungen des gesamten geistlichen Ein-
kommens aufkamen, war durch Opposition dagegen oder durch Be-
willigung ein gemeinsames Interesse für den ganzen Stand geschaffen,
das der beste Kenner jener Zeit für eins der Hauptbindemittel hält, die
überhaupt den Klerus erst als einheitlichen Stand schufen. Schon die
Anfänge der Geldwirtschaft zeitigen Entwicklungen der wirtschaftlichen
Vereinigung aus demselben Grundmotiv heraus. Die Vermehrung und
vermehrte Bedeutung des Kapitals erzeugte vom 14. Jahrhundert an
das Bedürfnis, dasselbe in der Familie ungeteilt zu erhalten. Denn
indem die Anteile aller Erben einheitlich zusammenblieben, übten sie
weit reichere Wirkungen zu gunsten eines jeden, als er bei ihrer
Zersplitterung erreichen konnte. Es begann also in Deutschland der
Eintritt aller Erben in die ungeteilte Erbschaft und der Weiterbestand
des alten Geschäfts zu gesamter Hand. Daran knüpften sich nun
zwei Konsequenzen. Es entstand innerhalb der Familie die Trennung
von Hauswirtschaft und Geschäft, so daſs Familienmitglieder mit ge-
trennter Hauswirtschaft und separatem Vermögen doch Teilhaber der
einen ungeteilten „Firma“ bleiben konnten; während die Bedeutung
des Geldkapitals die alte Familienwirtschaft überhaupt gesprengt hatte,
schuf es nun doch über dieser Trennung eine neue Vereinigung, in
deren reine Sachlichkeit die von den eigentlichen Privatinteressen ge-
lösten, ausschlieſslichen Vermögensinteressen eingingen. Und zweitens
wurde diese Vereinigungsform nun auch von solchen nachgeahmt, welche
nicht einmal in einer ursprünglichen Familienbeziehung standen; nach-
dem einmal aus der Hauswirtschaft sich das „Geschäft“ herausgelöst
hatte, wurde es auch von Nichtverwandten als Vereinigungsform der

Simmel, Philosophie des Geldes. 23
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[353/0377] zu lassen. Ja auf Grund dieser vollen subjektiven Freiheit, die die bloſse Geldbeteiligung den Mitgliedern der Assoziation läſst, sind ge- wisse Vereinigungen überhaupt erst möglich geworden. Der Gustav- Adolf-Verein, jene groſse Gemeinschaft zur Unterstützung bedürftiger evangelischer Gemeinden, hätte gar nicht zur Existenz und Wirksam- keit kommen können, wenn nicht der Charakter (oder vielmehr die Charakterlosigkeit) der Geldbeiträge die konfessionellen Unterschiede der Beitragenden verwischt hätte. Zu keiner andern Einungsform wären Lutheraner, Reformierte, Unierte zu bewegen gewesen. Dasselbe gilt, wenn das gemeinsame Geldinteresse sozusagen ein passives wird. Der englische Klerus bildete bis ziemlich tief in das Mittelalter hinein durchaus keine Einheit; insbesondere gehörten die Bischöfe, als Feu- dalherren, zu den Lords, in sozialer und politischer Absonderung von dem niederen Klerus. Dies fand namentlich so lange statt, als nur der Grundbesitz, an dem letzterer nicht teil hatte, besteuert wurde. So- bald aber besondere Besteuerungen des gesamten geistlichen Ein- kommens aufkamen, war durch Opposition dagegen oder durch Be- willigung ein gemeinsames Interesse für den ganzen Stand geschaffen, das der beste Kenner jener Zeit für eins der Hauptbindemittel hält, die überhaupt den Klerus erst als einheitlichen Stand schufen. Schon die Anfänge der Geldwirtschaft zeitigen Entwicklungen der wirtschaftlichen Vereinigung aus demselben Grundmotiv heraus. Die Vermehrung und vermehrte Bedeutung des Kapitals erzeugte vom 14. Jahrhundert an das Bedürfnis, dasselbe in der Familie ungeteilt zu erhalten. Denn indem die Anteile aller Erben einheitlich zusammenblieben, übten sie weit reichere Wirkungen zu gunsten eines jeden, als er bei ihrer Zersplitterung erreichen konnte. Es begann also in Deutschland der Eintritt aller Erben in die ungeteilte Erbschaft und der Weiterbestand des alten Geschäfts zu gesamter Hand. Daran knüpften sich nun zwei Konsequenzen. Es entstand innerhalb der Familie die Trennung von Hauswirtschaft und Geschäft, so daſs Familienmitglieder mit ge- trennter Hauswirtschaft und separatem Vermögen doch Teilhaber der einen ungeteilten „Firma“ bleiben konnten; während die Bedeutung des Geldkapitals die alte Familienwirtschaft überhaupt gesprengt hatte, schuf es nun doch über dieser Trennung eine neue Vereinigung, in deren reine Sachlichkeit die von den eigentlichen Privatinteressen ge- lösten, ausschlieſslichen Vermögensinteressen eingingen. Und zweitens wurde diese Vereinigungsform nun auch von solchen nachgeahmt, welche nicht einmal in einer ursprünglichen Familienbeziehung standen; nach- dem einmal aus der Hauswirtschaft sich das „Geschäft“ herausgelöst hatte, wurde es auch von Nichtverwandten als Vereinigungsform der Simmel, Philosophie des Geldes. 23

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/377>, abgerufen am 03.05.2024.