anlassenden Reize und der subjektiven Empfindung, die er auslöst, auch in folgender Weise. Sehr niedrige ökonomische Werte, die aber zweifellos Werte sind, regen uns dennoch oft nicht zu demjenigen Ver- halten an, das sonst dem ökonomischen Wert als solchem entspricht. Es giebt geldwerte Objekte, deren Geldwert vielfach überhaupt nicht gerechnet wird, gar nicht als Faktor in die Operation mit ihnen ein- tritt, z. B. Postmarken. Man mutet fremden Leuten, von denen man sonst nicht für einen Pfennig Wert verlangen dürfte oder würde, Ant- wort auf Anfragen zu, an denen sie selbst gar kein Interesse haben, und das Hinzufügen der Antwortmarke wird man einem Gleichstehenden gegenüber kaum wagen. Auch wer sonst mit Groschen überlegt spar- sam umgeht, pflegt an eine Briefmarke oder auch einen Strassenbahngroschen weniger Sparsamkeitsbedenken zu knüpfen, als an vieles anderes Gleich- wertiges. Es scheint eine freilich nach dem Vermögen und dem Tempera- ment des Subjekts sehr verschieden liegende Schwelle des öko- nomischen Bewusstseins zu geben, derart, dass ökonomische Reize, welche unterhalb derselben bleiben, gar nicht als ökonomische empfunden werden. Dies ist wohl eine Erscheinung, die allen höheren Gebieten gemeinsam ist. Denn diese entstehen doch, indem sonst schon vor- handene und merkbare Elemente zu einer neuen Form zusammengehen und dadurch zu einer Bedeutung erhoben werden, die sie bisher nicht kannten: so werden die Dinge zu Gegenständen des Rechts, des ästhe- tischen Genusses, der philosophischen Betrachtung -- Dinge, deren längst bekanntem Inhalt so eine neue Seite zuwächst. Dazu aber, dass dies geschieht, wird in vielen Fällen ein bestimmtes Quantum solcher Elemente vorausgesetzt; bleiben sie unterhalb desselben, so steigen sie nicht zu den höheren und relativ schwer reizbaren Schichten des Be- wusstseins auf, in denen jene Kategorien wohnen. So mögen z. B. gewisse Farben oder Farbenkombinationen mit voller Deutlichkeit wahr- genommen werden -- aber ein ästhetisches Gefallen erregen sie doch nicht, wenn die von ihnen eingenommenen Flächen nicht eine erheblichere Ausdehnung haben; vorher sind es einfache Thatsächlichkeiten, die zwar die Schwelle des sinnlichen Bewusstseins, aber nicht die des ästhetischen überschreiten. Noch höher hinauf vielleicht liegt die Schwelle des philosophischen Bewusstseins. Dieselben Erscheinungen, die in minimer Quantität zu den verfliessenden Gleichgültigkeiten des Tages gehören, in etwas höherer vielleicht ästhetische Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können in gewaltigen und erregenden Dimensionen zu Gegenständen philosophischer oder religiöser Reflexion werden. Ähn- lich hat auch das Gefühl des Tragischen eine Quantitätsschwelle. Vielerlei Widersprüche, Unzulänglichkeiten, Enttäuschungen, die als
anlassenden Reize und der subjektiven Empfindung, die er auslöst, auch in folgender Weise. Sehr niedrige ökonomische Werte, die aber zweifellos Werte sind, regen uns dennoch oft nicht zu demjenigen Ver- halten an, das sonst dem ökonomischen Wert als solchem entspricht. Es giebt geldwerte Objekte, deren Geldwert vielfach überhaupt nicht gerechnet wird, gar nicht als Faktor in die Operation mit ihnen ein- tritt, z. B. Postmarken. Man mutet fremden Leuten, von denen man sonst nicht für einen Pfennig Wert verlangen dürfte oder würde, Ant- wort auf Anfragen zu, an denen sie selbst gar kein Interesse haben, und das Hinzufügen der Antwortmarke wird man einem Gleichstehenden gegenüber kaum wagen. Auch wer sonst mit Groschen überlegt spar- sam umgeht, pflegt an eine Briefmarke oder auch einen Straſsenbahngroschen weniger Sparsamkeitsbedenken zu knüpfen, als an vieles anderes Gleich- wertiges. Es scheint eine freilich nach dem Vermögen und dem Tempera- ment des Subjekts sehr verschieden liegende Schwelle des öko- nomischen Bewuſstseins zu geben, derart, daſs ökonomische Reize, welche unterhalb derselben bleiben, gar nicht als ökonomische empfunden werden. Dies ist wohl eine Erscheinung, die allen höheren Gebieten gemeinsam ist. Denn diese entstehen doch, indem sonst schon vor- handene und merkbare Elemente zu einer neuen Form zusammengehen und dadurch zu einer Bedeutung erhoben werden, die sie bisher nicht kannten: so werden die Dinge zu Gegenständen des Rechts, des ästhe- tischen Genusses, der philosophischen Betrachtung — Dinge, deren längst bekanntem Inhalt so eine neue Seite zuwächst. Dazu aber, daſs dies geschieht, wird in vielen Fällen ein bestimmtes Quantum solcher Elemente vorausgesetzt; bleiben sie unterhalb desselben, so steigen sie nicht zu den höheren und relativ schwer reizbaren Schichten des Be- wuſstseins auf, in denen jene Kategorien wohnen. So mögen z. B. gewisse Farben oder Farbenkombinationen mit voller Deutlichkeit wahr- genommen werden — aber ein ästhetisches Gefallen erregen sie doch nicht, wenn die von ihnen eingenommenen Flächen nicht eine erheblichere Ausdehnung haben; vorher sind es einfache Thatsächlichkeiten, die zwar die Schwelle des sinnlichen Bewuſstseins, aber nicht die des ästhetischen überschreiten. Noch höher hinauf vielleicht liegt die Schwelle des philosophischen Bewuſstseins. Dieselben Erscheinungen, die in minimer Quantität zu den verflieſsenden Gleichgültigkeiten des Tages gehören, in etwas höherer vielleicht ästhetische Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können in gewaltigen und erregenden Dimensionen zu Gegenständen philosophischer oder religiöser Reflexion werden. Ähn- lich hat auch das Gefühl des Tragischen eine Quantitätsschwelle. Vielerlei Widersprüche, Unzulänglichkeiten, Enttäuschungen, die als
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anlassenden Reize und der subjektiven Empfindung, die er auslöst,
auch in folgender Weise. Sehr niedrige ökonomische Werte, die aber
zweifellos Werte sind, regen uns dennoch oft nicht zu demjenigen Ver-
halten an, das sonst dem ökonomischen Wert als solchem entspricht.
Es giebt geldwerte Objekte, deren Geldwert vielfach überhaupt nicht
gerechnet wird, gar nicht als Faktor in die Operation mit ihnen ein-
tritt, z. B. Postmarken. Man mutet fremden Leuten, von denen man
sonst nicht für einen Pfennig Wert verlangen dürfte oder würde, Ant-
wort auf Anfragen zu, an denen sie selbst gar kein Interesse haben,
und das Hinzufügen der Antwortmarke wird man einem Gleichstehenden
gegenüber kaum wagen. Auch wer sonst mit Groschen überlegt spar-
sam umgeht, pflegt an eine Briefmarke oder auch einen Straſsenbahngroschen
weniger Sparsamkeitsbedenken zu knüpfen, als an vieles anderes Gleich-
wertiges. Es scheint eine freilich nach dem Vermögen und dem Tempera-
ment des Subjekts sehr verschieden liegende Schwelle des öko-
nomischen Bewuſstseins zu geben, derart, daſs ökonomische Reize,
welche unterhalb derselben bleiben, gar nicht als ökonomische empfunden
werden. Dies ist wohl eine Erscheinung, die allen höheren Gebieten
gemeinsam ist. Denn diese entstehen doch, indem sonst schon vor-
handene und merkbare Elemente zu einer neuen Form zusammengehen
und dadurch zu einer Bedeutung erhoben werden, die sie bisher nicht
kannten: so werden die Dinge zu Gegenständen des Rechts, des ästhe-
tischen Genusses, der philosophischen Betrachtung — Dinge, deren
längst bekanntem Inhalt so eine neue Seite zuwächst. Dazu aber, daſs
dies geschieht, wird in vielen Fällen ein bestimmtes Quantum solcher
Elemente vorausgesetzt; bleiben sie unterhalb desselben, so steigen sie
nicht zu den höheren und relativ schwer reizbaren Schichten des Be-
wuſstseins auf, in denen jene Kategorien wohnen. So mögen z. B.
gewisse Farben oder Farbenkombinationen mit voller Deutlichkeit wahr-
genommen werden — aber ein ästhetisches Gefallen erregen sie doch
nicht, wenn die von ihnen eingenommenen Flächen nicht eine erheblichere
Ausdehnung haben; vorher sind es einfache Thatsächlichkeiten, die
zwar die Schwelle des sinnlichen Bewuſstseins, aber nicht die des
ästhetischen überschreiten. Noch höher hinauf vielleicht liegt die
Schwelle des philosophischen Bewuſstseins. Dieselben Erscheinungen,
die in minimer Quantität zu den verflieſsenden Gleichgültigkeiten des
Tages gehören, in etwas höherer vielleicht ästhetische Aufmerksamkeit
auf sich ziehen, können in gewaltigen und erregenden Dimensionen
zu Gegenständen philosophischer oder religiöser Reflexion werden. Ähn-
lich hat auch das Gefühl des Tragischen eine Quantitätsschwelle.
Vielerlei Widersprüche, Unzulänglichkeiten, Enttäuschungen, die als
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/280>, abgerufen am 24.11.2024.
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