nur durch die Beziehungen bestimmter Quantitäten zu unserer Auf- nahmefähigkeit möglich wären --, aber es braucht diese Schranken- losigkeit des Begehrens nicht durch jenen Abstand von dem unmittel- baren Bedürfen auszugleichen, wie es die Edelmetalle als Schmuckmaterial müssen, da es das Korrelat auch der unmittelbarsten Lebensnotdurft geworden ist. Geiz und Verschwendung stellen diesen merkwürdig kombinierten Begehrungscharakter des Geldes gleichsam abgelöst dar, es ist für sie in sein reines Begehrtwerden aufgegangen; sie zeigen nach der schlimmen Seite hin, was wir auch nach der guten am Geld beobachten: dass es den Durchmesser des Kreises erweitert, in dem unsere antagonistischen psychischen Bewegungen schwingen. Nur dass der Geiz in gleichsam substanzieller Erstarrung zeigt, was die Verschwendung in der Form des Fliessens und der Expansion offenbart.
Nach einer anderen Dimension hin, als die Verschwendung es thut, steht der Geldgier und dem Geize eine zweite negative Er- scheinung gegenüber: die Armut als definitiver Wert, als für sich be- friedigender Lebenszweck. Das Auswachsen eines Gliedes der Zweck- reihe zu absoluter Bedeutung hat sich hier in eine ganz andere Richtung derselben verpflanzt als beim Geiz und der Verschwendung; denn während diese bei den Mitteln zu Endzwecken stehen blieben, verharrt die Armut bei dem Ausbleiben der Mittel oder rückt in den hinter dem Endzweck liegenden Teil, insoweit sie sich als der Erfolg abgelaufener Zweckreihen einstellt. Ähnlich wie jene beiden tritt Armut in ihrer reinsten und spezifischen Erscheinung nur bei irgend einem Masse von Geldwirtschaft auf. In naturalen Verhält- nissen, die noch nicht geldwirtschaftlich bestimmt sind, so lange also die Bodenprodukte noch nicht als blosse Waren, d. h. unmittelbar als Geldwerte figurieren, kommt es nicht so leicht zu absoluter Bedürftig- keit Einzelner: noch bis in die letzte Zeit hinein hat man sich in Russland gerühmt, dass die wenig geldwirtschaftlich entwickelten Be- zirke daselbst keine persönliche Armut kennten. Als allgemeine Er- scheinung liegt das nicht nur an der leichteren Zugängigkeit des un- mittelbar Nötigen, zu dem es nicht erst der Beschaffung des Geldmittels bedarf, sondern auch daran, dass die humanen und sympathischen Ge- fühle der Armut gegenüber in jenen Verhältnissen leichter erweckt werden, als wenn das, was dem Armen fehlt und womit man ihm helfen soll, gar nicht das ihm unmittelbar Nötige ist. Das Mitgefühl hat in reinen Geldverhältnissen erst einen Umweg zu machen, ehe es auf den Punkt seines eigentlichen Interesses kommt. Auf diesem Umwege er- lahmt es oft. Dem entspricht es, dass grade praktisch hilfreiche und mitleidige Menschen dem Armen lieber mit Nahrung und Kleidung als
nur durch die Beziehungen bestimmter Quantitäten zu unserer Auf- nahmefähigkeit möglich wären —, aber es braucht diese Schranken- losigkeit des Begehrens nicht durch jenen Abstand von dem unmittel- baren Bedürfen auszugleichen, wie es die Edelmetalle als Schmuckmaterial müssen, da es das Korrelat auch der unmittelbarsten Lebensnotdurft geworden ist. Geiz und Verschwendung stellen diesen merkwürdig kombinierten Begehrungscharakter des Geldes gleichsam abgelöst dar, es ist für sie in sein reines Begehrtwerden aufgegangen; sie zeigen nach der schlimmen Seite hin, was wir auch nach der guten am Geld beobachten: daſs es den Durchmesser des Kreises erweitert, in dem unsere antagonistischen psychischen Bewegungen schwingen. Nur daſs der Geiz in gleichsam substanzieller Erstarrung zeigt, was die Verschwendung in der Form des Flieſsens und der Expansion offenbart.
Nach einer anderen Dimension hin, als die Verschwendung es thut, steht der Geldgier und dem Geize eine zweite negative Er- scheinung gegenüber: die Armut als definitiver Wert, als für sich be- friedigender Lebenszweck. Das Auswachsen eines Gliedes der Zweck- reihe zu absoluter Bedeutung hat sich hier in eine ganz andere Richtung derselben verpflanzt als beim Geiz und der Verschwendung; denn während diese bei den Mitteln zu Endzwecken stehen blieben, verharrt die Armut bei dem Ausbleiben der Mittel oder rückt in den hinter dem Endzweck liegenden Teil, insoweit sie sich als der Erfolg abgelaufener Zweckreihen einstellt. Ähnlich wie jene beiden tritt Armut in ihrer reinsten und spezifischen Erscheinung nur bei irgend einem Maſse von Geldwirtschaft auf. In naturalen Verhält- nissen, die noch nicht geldwirtschaftlich bestimmt sind, so lange also die Bodenprodukte noch nicht als bloſse Waren, d. h. unmittelbar als Geldwerte figurieren, kommt es nicht so leicht zu absoluter Bedürftig- keit Einzelner: noch bis in die letzte Zeit hinein hat man sich in Ruſsland gerühmt, daſs die wenig geldwirtschaftlich entwickelten Be- zirke daselbst keine persönliche Armut kennten. Als allgemeine Er- scheinung liegt das nicht nur an der leichteren Zugängigkeit des un- mittelbar Nötigen, zu dem es nicht erst der Beschaffung des Geldmittels bedarf, sondern auch daran, daſs die humanen und sympathischen Ge- fühle der Armut gegenüber in jenen Verhältnissen leichter erweckt werden, als wenn das, was dem Armen fehlt und womit man ihm helfen soll, gar nicht das ihm unmittelbar Nötige ist. Das Mitgefühl hat in reinen Geldverhältnissen erst einen Umweg zu machen, ehe es auf den Punkt seines eigentlichen Interesses kommt. Auf diesem Umwege er- lahmt es oft. Dem entspricht es, daſs grade praktisch hilfreiche und mitleidige Menschen dem Armen lieber mit Nahrung und Kleidung als
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nur durch die Beziehungen bestimmter Quantitäten zu unserer Auf-
nahmefähigkeit möglich wären —, aber es braucht diese Schranken-
losigkeit des Begehrens nicht durch jenen Abstand von dem unmittel-
baren Bedürfen auszugleichen, wie es die Edelmetalle als Schmuckmaterial
müssen, da es das Korrelat auch der unmittelbarsten Lebensnotdurft
geworden ist. Geiz und Verschwendung stellen diesen merkwürdig
kombinierten Begehrungscharakter des Geldes gleichsam abgelöst dar,
es ist für sie in sein reines Begehrtwerden aufgegangen; sie zeigen
nach der schlimmen Seite hin, was wir auch nach der guten am
Geld beobachten: daſs es den Durchmesser des Kreises erweitert, in
dem unsere antagonistischen psychischen Bewegungen schwingen. Nur
daſs der Geiz in gleichsam substanzieller Erstarrung zeigt, was die
Verschwendung in der Form des Flieſsens und der Expansion offenbart.
Nach einer anderen Dimension hin, als die Verschwendung
es thut, steht der Geldgier und dem Geize eine zweite negative Er-
scheinung gegenüber: die Armut als definitiver Wert, als für sich be-
friedigender Lebenszweck. Das Auswachsen eines Gliedes der Zweck-
reihe zu absoluter Bedeutung hat sich hier in eine ganz andere Richtung
derselben verpflanzt als beim Geiz und der Verschwendung; denn
während diese bei den Mitteln zu Endzwecken stehen blieben,
verharrt die Armut bei dem Ausbleiben der Mittel oder rückt in den
hinter dem Endzweck liegenden Teil, insoweit sie sich als der
Erfolg abgelaufener Zweckreihen einstellt. Ähnlich wie jene beiden
tritt Armut in ihrer reinsten und spezifischen Erscheinung nur bei
irgend einem Maſse von Geldwirtschaft auf. In naturalen Verhält-
nissen, die noch nicht geldwirtschaftlich bestimmt sind, so lange also
die Bodenprodukte noch nicht als bloſse Waren, d. h. unmittelbar als
Geldwerte figurieren, kommt es nicht so leicht zu absoluter Bedürftig-
keit Einzelner: noch bis in die letzte Zeit hinein hat man sich in
Ruſsland gerühmt, daſs die wenig geldwirtschaftlich entwickelten Be-
zirke daselbst keine persönliche Armut kennten. Als allgemeine Er-
scheinung liegt das nicht nur an der leichteren Zugängigkeit des un-
mittelbar Nötigen, zu dem es nicht erst der Beschaffung des Geldmittels
bedarf, sondern auch daran, daſs die humanen und sympathischen Ge-
fühle der Armut gegenüber in jenen Verhältnissen leichter erweckt
werden, als wenn das, was dem Armen fehlt und womit man ihm helfen
soll, gar nicht das ihm unmittelbar Nötige ist. Das Mitgefühl hat in
reinen Geldverhältnissen erst einen Umweg zu machen, ehe es auf den
Punkt seines eigentlichen Interesses kommt. Auf diesem Umwege er-
lahmt es oft. Dem entspricht es, daſs grade praktisch hilfreiche und
mitleidige Menschen dem Armen lieber mit Nahrung und Kleidung als
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/266>, abgerufen am 24.11.2024.
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