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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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seiner Konsumtion sein könnte, hinweggefallen ist, wird unter Unbequem-
lichkeiten und Schädlichkeiten konsumiert, bloss weil das dafür aus-
gegebene Geld ihm einen absoluten Wert verliehen hat. Der Zweck-
prozess ist hier also nicht nur an der Geldinstanz erstarrt, sondern er
wird noch darüber hinaus sozusagen rückläufig und pervers, indem die
an sich nicht-zweckmässige Wertung durch direkt unzweckmässiges Ver-
fahren realisiert wird.

Die Stellung des Geldes, insoweit sie seinen Charakter über das
blosse Mittlertum hinaus zu einem selbständigen Interesse steigert, will
ich nun noch nach zwei negativen Instanzen hin verfolgen. Die Ver-
schwendung
ist nach mehr als einer Richtung dem Geize verwandter
als die Entgegengesetztheit ihrer Erscheinungen zu verraten scheint.
Es ist hier zu bemerken, dass in Zeiten naturaler Wirtschaft die geizige
Konservierung der Werte mit deren Natur, mit der sehr begrenzten
Aufhebbarkeit der landwirtschaftlichen Produkte nicht vereinbar ist.
Wo daher deren Umsetzung in das unbegrenzt aufhebbare Geld nicht
thunlich oder wenigstens nicht selbstverständlich ist, findet man selten
ein eigentlich geiziges Aufhäufen derselben; wo Bodenprodukte un-
mittelbar gewonnen und konsumiert werden, besteht meistens eine ge-
wisse Liberalität, besonders etwa Gästen und Bedürftigen gegenüber,
wie sie das zum Sammeln viel mehr einladende Geld weniger nahe
legt; so dass Petrus Martyr die Kakaosäcke rühmt, die den alten Mexi-
kanern als Geld dienten, weil sie nicht lange aufgehäuft und verborgen
aufbewahrt werden konnten und also keinen Geiz gestatteten. Ganz
entsprechend beschränken naturale Verhältnisse die Möglichkeit und
den Reiz der Verschwendung. Die verschwenderische Konsumtion und
leichtsinnige Vergeudung innerhalb derselben haben doch, abgesehen
von sinnloser Zerstörung, an der Aufnahmefähigkeit des eigenen und
fremder Subjekte ihre Grenze. Die Hauptsache aber ist, dass die Ver-
schwendung des Geldes überhaupt einen ganz anderen Sinn, eine ganz
neue Nüance gegenüber der Verschwendung konkreter Gegenstände
enthält: die letztere bedeutet, dass der Wert für die vernünftigen
Zweckreihen des Individuums schlechthin vernichtet ist, die erstere,
dass er in unzweckmässiger Weise in andere Werte umgesetzt ist. Der
Typus des Verschwenders in der Geldwirtschaft und derjenige, der
allein eine geldphilosophisch bedeutsame Erscheinung bietet, ist nicht
jemand, der das Geld in natura sinnlos verschenkt, sondern der es zu
sinnlosen bezw. seinen Verhältnissen nicht angemessenen Käufen ver-
wendet. Die Lust am Verschwenden, die genau von der Lust etwa an
dem flüchtigen Genuss der Gegenstände, an dem damit verbundenen
Protzentum, an dem anregenden Wechsel zwischen Erwerb und Ver-

seiner Konsumtion sein könnte, hinweggefallen ist, wird unter Unbequem-
lichkeiten und Schädlichkeiten konsumiert, bloſs weil das dafür aus-
gegebene Geld ihm einen absoluten Wert verliehen hat. Der Zweck-
prozeſs ist hier also nicht nur an der Geldinstanz erstarrt, sondern er
wird noch darüber hinaus sozusagen rückläufig und pervers, indem die
an sich nicht-zweckmäſsige Wertung durch direkt unzweckmäſsiges Ver-
fahren realisiert wird.

Die Stellung des Geldes, insoweit sie seinen Charakter über das
bloſse Mittlertum hinaus zu einem selbständigen Interesse steigert, will
ich nun noch nach zwei negativen Instanzen hin verfolgen. Die Ver-
schwendung
ist nach mehr als einer Richtung dem Geize verwandter
als die Entgegengesetztheit ihrer Erscheinungen zu verraten scheint.
Es ist hier zu bemerken, daſs in Zeiten naturaler Wirtschaft die geizige
Konservierung der Werte mit deren Natur, mit der sehr begrenzten
Aufhebbarkeit der landwirtschaftlichen Produkte nicht vereinbar ist.
Wo daher deren Umsetzung in das unbegrenzt aufhebbare Geld nicht
thunlich oder wenigstens nicht selbstverständlich ist, findet man selten
ein eigentlich geiziges Aufhäufen derselben; wo Bodenprodukte un-
mittelbar gewonnen und konsumiert werden, besteht meistens eine ge-
wisse Liberalität, besonders etwa Gästen und Bedürftigen gegenüber,
wie sie das zum Sammeln viel mehr einladende Geld weniger nahe
legt; so daſs Petrus Martyr die Kakaosäcke rühmt, die den alten Mexi-
kanern als Geld dienten, weil sie nicht lange aufgehäuft und verborgen
aufbewahrt werden konnten und also keinen Geiz gestatteten. Ganz
entsprechend beschränken naturale Verhältnisse die Möglichkeit und
den Reiz der Verschwendung. Die verschwenderische Konsumtion und
leichtsinnige Vergeudung innerhalb derselben haben doch, abgesehen
von sinnloser Zerstörung, an der Aufnahmefähigkeit des eigenen und
fremder Subjekte ihre Grenze. Die Hauptsache aber ist, daſs die Ver-
schwendung des Geldes überhaupt einen ganz anderen Sinn, eine ganz
neue Nüance gegenüber der Verschwendung konkreter Gegenstände
enthält: die letztere bedeutet, daſs der Wert für die vernünftigen
Zweckreihen des Individuums schlechthin vernichtet ist, die erstere,
daſs er in unzweckmäſsiger Weise in andere Werte umgesetzt ist. Der
Typus des Verschwenders in der Geldwirtschaft und derjenige, der
allein eine geldphilosophisch bedeutsame Erscheinung bietet, ist nicht
jemand, der das Geld in natura sinnlos verschenkt, sondern der es zu
sinnlosen bezw. seinen Verhältnissen nicht angemessenen Käufen ver-
wendet. Die Lust am Verschwenden, die genau von der Lust etwa an
dem flüchtigen Genuſs der Gegenstände, an dem damit verbundenen
Protzentum, an dem anregenden Wechsel zwischen Erwerb und Ver-

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[237/0261] seiner Konsumtion sein könnte, hinweggefallen ist, wird unter Unbequem- lichkeiten und Schädlichkeiten konsumiert, bloſs weil das dafür aus- gegebene Geld ihm einen absoluten Wert verliehen hat. Der Zweck- prozeſs ist hier also nicht nur an der Geldinstanz erstarrt, sondern er wird noch darüber hinaus sozusagen rückläufig und pervers, indem die an sich nicht-zweckmäſsige Wertung durch direkt unzweckmäſsiges Ver- fahren realisiert wird. Die Stellung des Geldes, insoweit sie seinen Charakter über das bloſse Mittlertum hinaus zu einem selbständigen Interesse steigert, will ich nun noch nach zwei negativen Instanzen hin verfolgen. Die Ver- schwendung ist nach mehr als einer Richtung dem Geize verwandter als die Entgegengesetztheit ihrer Erscheinungen zu verraten scheint. Es ist hier zu bemerken, daſs in Zeiten naturaler Wirtschaft die geizige Konservierung der Werte mit deren Natur, mit der sehr begrenzten Aufhebbarkeit der landwirtschaftlichen Produkte nicht vereinbar ist. Wo daher deren Umsetzung in das unbegrenzt aufhebbare Geld nicht thunlich oder wenigstens nicht selbstverständlich ist, findet man selten ein eigentlich geiziges Aufhäufen derselben; wo Bodenprodukte un- mittelbar gewonnen und konsumiert werden, besteht meistens eine ge- wisse Liberalität, besonders etwa Gästen und Bedürftigen gegenüber, wie sie das zum Sammeln viel mehr einladende Geld weniger nahe legt; so daſs Petrus Martyr die Kakaosäcke rühmt, die den alten Mexi- kanern als Geld dienten, weil sie nicht lange aufgehäuft und verborgen aufbewahrt werden konnten und also keinen Geiz gestatteten. Ganz entsprechend beschränken naturale Verhältnisse die Möglichkeit und den Reiz der Verschwendung. Die verschwenderische Konsumtion und leichtsinnige Vergeudung innerhalb derselben haben doch, abgesehen von sinnloser Zerstörung, an der Aufnahmefähigkeit des eigenen und fremder Subjekte ihre Grenze. Die Hauptsache aber ist, daſs die Ver- schwendung des Geldes überhaupt einen ganz anderen Sinn, eine ganz neue Nüance gegenüber der Verschwendung konkreter Gegenstände enthält: die letztere bedeutet, daſs der Wert für die vernünftigen Zweckreihen des Individuums schlechthin vernichtet ist, die erstere, daſs er in unzweckmäſsiger Weise in andere Werte umgesetzt ist. Der Typus des Verschwenders in der Geldwirtschaft und derjenige, der allein eine geldphilosophisch bedeutsame Erscheinung bietet, ist nicht jemand, der das Geld in natura sinnlos verschenkt, sondern der es zu sinnlosen bezw. seinen Verhältnissen nicht angemessenen Käufen ver- wendet. Die Lust am Verschwenden, die genau von der Lust etwa an dem flüchtigen Genuſs der Gegenstände, an dem damit verbundenen Protzentum, an dem anregenden Wechsel zwischen Erwerb und Ver-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/261>, abgerufen am 03.05.2024.