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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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diese das Zweckbewusstsein nur in illusionärer und nicht haltbarer
Weise erfüllt; sie ist aber andrerseits völlig ausgelöscht, sobald der
Wille wirklich definitiv am Geldbesitz Halt macht. Wenn man die
menschlichen Lose in das Schema der Verhältnisse zwischen dem
Wunsch und seinem Gegenstand fassen will, so muss man sagen, dass
je nach dem Haltpunkt der Zweckreihe das Geld zwar der inadä-
quateste, aber auch der adäquateste Gegenstand unseres Begehrens ist.

Übrigens muss der Machtcharakter des Geldes, auf den ich jetzt
noch einmal komme, fast am fühlbarsten, wenigstens am unheim-
lichsten da hervortreten, wo die Geldwirtschaft noch nicht vollkommen
durchgedrungen und selbstverständlich ist, sondern wo das Geld seine
zwingende Macht an Verhältnissen zeigt, die ihm, ihrer eigentlichen
Struktur nach, nicht von selbst gehorchen. Dass grade in der höchst
ausgebildeten Kultur das Geld seinen Machthöhepunkt erreicht zu haben
scheint, liegt daran, dass in ihr freilich unendlich viele, früher über-
haupt unbekannte Objekte ihm zur Verfügung stehen; aber sie sind
von vornherein auf den Gehorsam gegen das Geld angelegt, es kommt
nicht zu jener Reibung, die die ganze Art und Wertungsweise natu-
ralerer Verhältnisse dem ihnen heterogenen Geldwesen entgegensetzen,
und deren Überwindung erst das Bewusstsein der Macht besonders
zuspitzen muss. Wie das Geld der Wert der Werte ist, so nennt
ein Kenner des indischen Lebens den indischen Dorfbankier, den
Geldleiher: the man of all men in the village; sein indischer
Name bedeute: the great man! Es wird hervorgehoben, dass, als im
13. Jahrhundert zuerst wieder grössere Kapitalvermögen aufkamen, das
Kapital ein Machtmittel war, das der Masse des Volkes noch unbekannt
war und zu dessen Wirkung deshalb noch der psychologische Zuschlag
des Unerhörten und sozusagen Überempirischen trat. Ganz abgesehen
davon, dass Kirche und Volk damals das Geldgeschäft überhaupt ver-
werflich fanden -- zu dem kirchlichen Grundsatz: mercator seine pecca-
mine vix esse potest, bekannte sich sogar ein Kölner Patrizier des
13. Jahrhunderts -- musste die Ausnutzung einer so mystischen und
unberechenbaren Macht, wie das Kapital war, als etwas sittlich bedenk-
liches, als ein vergewaltigender Missbrauch erscheinen. Und wie so
oft irrige Vorurteile den davon Betroffenen in ihre Bewahrheitung
hineintreiben, so verfielen die handelsaristokratischen Geschlechter dieser
Zeit thatsächlich dem gewissenlosen Missbrauch ihrer Macht, dessen
Art und Umfang eben durch die Neuheit des Geldkapitals und die
Frische seines Eindrucks auf ganz anders konstruierte Verhältnisse
möglich war. Damit hängt es zusammen, dass das niedere Volk -- vom
Mittelalter an bis in das 19. Jahrhundert hinein -- sich die Ent-

diese das Zweckbewuſstsein nur in illusionärer und nicht haltbarer
Weise erfüllt; sie ist aber andrerseits völlig ausgelöscht, sobald der
Wille wirklich definitiv am Geldbesitz Halt macht. Wenn man die
menschlichen Lose in das Schema der Verhältnisse zwischen dem
Wunsch und seinem Gegenstand fassen will, so muſs man sagen, daſs
je nach dem Haltpunkt der Zweckreihe das Geld zwar der inadä-
quateste, aber auch der adäquateste Gegenstand unseres Begehrens ist.

Übrigens muſs der Machtcharakter des Geldes, auf den ich jetzt
noch einmal komme, fast am fühlbarsten, wenigstens am unheim-
lichsten da hervortreten, wo die Geldwirtschaft noch nicht vollkommen
durchgedrungen und selbstverständlich ist, sondern wo das Geld seine
zwingende Macht an Verhältnissen zeigt, die ihm, ihrer eigentlichen
Struktur nach, nicht von selbst gehorchen. Daſs grade in der höchst
ausgebildeten Kultur das Geld seinen Machthöhepunkt erreicht zu haben
scheint, liegt daran, daſs in ihr freilich unendlich viele, früher über-
haupt unbekannte Objekte ihm zur Verfügung stehen; aber sie sind
von vornherein auf den Gehorsam gegen das Geld angelegt, es kommt
nicht zu jener Reibung, die die ganze Art und Wertungsweise natu-
ralerer Verhältnisse dem ihnen heterogenen Geldwesen entgegensetzen,
und deren Überwindung erst das Bewuſstsein der Macht besonders
zuspitzen muſs. Wie das Geld der Wert der Werte ist, so nennt
ein Kenner des indischen Lebens den indischen Dorfbankier, den
Geldleiher: the man of all men in the village; sein indischer
Name bedeute: the great man! Es wird hervorgehoben, daſs, als im
13. Jahrhundert zuerst wieder gröſsere Kapitalvermögen aufkamen, das
Kapital ein Machtmittel war, das der Masse des Volkes noch unbekannt
war und zu dessen Wirkung deshalb noch der psychologische Zuschlag
des Unerhörten und sozusagen Überempirischen trat. Ganz abgesehen
davon, daſs Kirche und Volk damals das Geldgeschäft überhaupt ver-
werflich fanden — zu dem kirchlichen Grundsatz: mercator seine pecca-
mine vix esse potest, bekannte sich sogar ein Kölner Patrizier des
13. Jahrhunderts — muſste die Ausnutzung einer so mystischen und
unberechenbaren Macht, wie das Kapital war, als etwas sittlich bedenk-
liches, als ein vergewaltigender Miſsbrauch erscheinen. Und wie so
oft irrige Vorurteile den davon Betroffenen in ihre Bewahrheitung
hineintreiben, so verfielen die handelsaristokratischen Geschlechter dieser
Zeit thatsächlich dem gewissenlosen Miſsbrauch ihrer Macht, dessen
Art und Umfang eben durch die Neuheit des Geldkapitals und die
Frische seines Eindrucks auf ganz anders konstruierte Verhältnisse
möglich war. Damit hängt es zusammen, daſs das niedere Volk — vom
Mittelalter an bis in das 19. Jahrhundert hinein — sich die Ent-

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[233/0257] diese das Zweckbewuſstsein nur in illusionärer und nicht haltbarer Weise erfüllt; sie ist aber andrerseits völlig ausgelöscht, sobald der Wille wirklich definitiv am Geldbesitz Halt macht. Wenn man die menschlichen Lose in das Schema der Verhältnisse zwischen dem Wunsch und seinem Gegenstand fassen will, so muſs man sagen, daſs je nach dem Haltpunkt der Zweckreihe das Geld zwar der inadä- quateste, aber auch der adäquateste Gegenstand unseres Begehrens ist. Übrigens muſs der Machtcharakter des Geldes, auf den ich jetzt noch einmal komme, fast am fühlbarsten, wenigstens am unheim- lichsten da hervortreten, wo die Geldwirtschaft noch nicht vollkommen durchgedrungen und selbstverständlich ist, sondern wo das Geld seine zwingende Macht an Verhältnissen zeigt, die ihm, ihrer eigentlichen Struktur nach, nicht von selbst gehorchen. Daſs grade in der höchst ausgebildeten Kultur das Geld seinen Machthöhepunkt erreicht zu haben scheint, liegt daran, daſs in ihr freilich unendlich viele, früher über- haupt unbekannte Objekte ihm zur Verfügung stehen; aber sie sind von vornherein auf den Gehorsam gegen das Geld angelegt, es kommt nicht zu jener Reibung, die die ganze Art und Wertungsweise natu- ralerer Verhältnisse dem ihnen heterogenen Geldwesen entgegensetzen, und deren Überwindung erst das Bewuſstsein der Macht besonders zuspitzen muſs. Wie das Geld der Wert der Werte ist, so nennt ein Kenner des indischen Lebens den indischen Dorfbankier, den Geldleiher: the man of all men in the village; sein indischer Name bedeute: the great man! Es wird hervorgehoben, daſs, als im 13. Jahrhundert zuerst wieder gröſsere Kapitalvermögen aufkamen, das Kapital ein Machtmittel war, das der Masse des Volkes noch unbekannt war und zu dessen Wirkung deshalb noch der psychologische Zuschlag des Unerhörten und sozusagen Überempirischen trat. Ganz abgesehen davon, daſs Kirche und Volk damals das Geldgeschäft überhaupt ver- werflich fanden — zu dem kirchlichen Grundsatz: mercator seine pecca- mine vix esse potest, bekannte sich sogar ein Kölner Patrizier des 13. Jahrhunderts — muſste die Ausnutzung einer so mystischen und unberechenbaren Macht, wie das Kapital war, als etwas sittlich bedenk- liches, als ein vergewaltigender Miſsbrauch erscheinen. Und wie so oft irrige Vorurteile den davon Betroffenen in ihre Bewahrheitung hineintreiben, so verfielen die handelsaristokratischen Geschlechter dieser Zeit thatsächlich dem gewissenlosen Miſsbrauch ihrer Macht, dessen Art und Umfang eben durch die Neuheit des Geldkapitals und die Frische seines Eindrucks auf ganz anders konstruierte Verhältnisse möglich war. Damit hängt es zusammen, daſs das niedere Volk — vom Mittelalter an bis in das 19. Jahrhundert hinein — sich die Ent-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/257>, abgerufen am 03.05.2024.