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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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liegenden Vergleichungspunkte wirksam, wenn Hans Sachs schon einen
Vertreter der allgemeinen Meinung den Schluss ziehen lässt: Gelt ist
auff erden der irdisch got. Der ganze Umfang derselben geht auf das
Grundmotiv für die Stellung des Geldes zurück: dass es das absolute
Mittel ist, das eben dadurch zu der psychologischen Bedeutung eines
absoluten Zweckes aufsteigt. Auf dem Boden der Weltanschauung,
die diese Untersuchungen vertreten, kann man mit einer schon be-
stehenden Formel sagen, das einzig Absolute sei die Relativität der
Dinge; und davon ist das Geld das stärkste und unmittelbarste Sym-
bol. Denn es ist die Relativität der Wirtschaftswerte in Substanz, es
ist die Bedeutung jedes einzelnen, die es als Mittel für den Erwerb
eines anderen hat -- aber wirklich diese blosse Bedeutung als
Mittel, losgelöst von ihrem singulären konkreten Träger. Aber eben
deshalb kann es psychologisch zu einem absoluten Werte werden, weil
es nicht die Auflösung in Relatives zu fürchten hat, derentwegen so
viele, von vornherein substanzielle Werte den Anspruch auf Absolutheit
nicht aufrechterhalten konnten. In dem Masse, in dem das Absolute
des Daseins (von dem ideellen Sinn der Dinge rede ich hier nicht)
sich in Bewegung, Beziehung, Entwicklung auflöst, treten für unsere
Wertbedürfnisse diese an die Stelle jenes. Das Gebiet der Wirtschaft
hat in dem psychologisch absoluten Wertcharakter des Geldes den
Typus dieser Entwicklung restlos exemplifiziert -- wobei, wie popu-
lären Missverständnissen gegenüber bemerkt werden mag, mit der
formellen Gleichheit der Entwicklungen auf allen Gebieten durchaus
nicht die Gleichheit ihrer Erfreulichkeit behauptet werden soll. --

Wenn der Endzweckcharakter des Geldes in einem Individuum
diejenige Intensität übersteigt, in der er der angemessene Ausdruck
für die Wirtschaftskultur seines Kreises ist, so entstehen die Erschei-
nungen der Geldgier und des Geizes. Ich betone ausdrücklich die
Abhängigkeit dieser Begriffe von den jeweiligen Wirtschaftsverhältnissen,
weil eben dasselbe absolute Mass von Leidenschaft im Erwerben und
im Festhalten des Geldes bei einer gewissen Bedeutung des Geldes
durchaus normal und adäquat sein, bei einer andern aber jenen hyper-
trophischen Kategorien angehören mag. Im allgemeinen wird die
Grenze für den Beginn der eigentlichen Geldgier bei sehr entwickelter
und lebhafter Geldwirtschaft sehr hoch liegen, auf primitiveren Stufen
aber verhältnismässig tief, während es sich mit dem Geiz umgekehrt
verhält: wer in engen und wenig geldwirtschaftlich bewegten Verhält-
nissen als sparsam und rationell in Geldausgaben gilt, wird in den
grossen Verhältnissen des schnellen Umsatzes, des leichten Verdienens
und Ausgebens bereits als geizig erscheinen. Schon daran zeigt sich,

Simmel, Philosophie des Geldes. 15

liegenden Vergleichungspunkte wirksam, wenn Hans Sachs schon einen
Vertreter der allgemeinen Meinung den Schluſs ziehen läſst: Gelt ist
auff erden der irdisch got. Der ganze Umfang derselben geht auf das
Grundmotiv für die Stellung des Geldes zurück: daſs es das absolute
Mittel ist, das eben dadurch zu der psychologischen Bedeutung eines
absoluten Zweckes aufsteigt. Auf dem Boden der Weltanschauung,
die diese Untersuchungen vertreten, kann man mit einer schon be-
stehenden Formel sagen, das einzig Absolute sei die Relativität der
Dinge; und davon ist das Geld das stärkste und unmittelbarste Sym-
bol. Denn es ist die Relativität der Wirtschaftswerte in Substanz, es
ist die Bedeutung jedes einzelnen, die es als Mittel für den Erwerb
eines anderen hat — aber wirklich diese bloſse Bedeutung als
Mittel, losgelöst von ihrem singulären konkreten Träger. Aber eben
deshalb kann es psychologisch zu einem absoluten Werte werden, weil
es nicht die Auflösung in Relatives zu fürchten hat, derentwegen so
viele, von vornherein substanzielle Werte den Anspruch auf Absolutheit
nicht aufrechterhalten konnten. In dem Maſse, in dem das Absolute
des Daseins (von dem ideellen Sinn der Dinge rede ich hier nicht)
sich in Bewegung, Beziehung, Entwicklung auflöst, treten für unsere
Wertbedürfnisse diese an die Stelle jenes. Das Gebiet der Wirtschaft
hat in dem psychologisch absoluten Wertcharakter des Geldes den
Typus dieser Entwicklung restlos exemplifiziert — wobei, wie popu-
lären Miſsverständnissen gegenüber bemerkt werden mag, mit der
formellen Gleichheit der Entwicklungen auf allen Gebieten durchaus
nicht die Gleichheit ihrer Erfreulichkeit behauptet werden soll. —

Wenn der Endzweckcharakter des Geldes in einem Individuum
diejenige Intensität übersteigt, in der er der angemessene Ausdruck
für die Wirtschaftskultur seines Kreises ist, so entstehen die Erschei-
nungen der Geldgier und des Geizes. Ich betone ausdrücklich die
Abhängigkeit dieser Begriffe von den jeweiligen Wirtschaftsverhältnissen,
weil eben dasselbe absolute Maſs von Leidenschaft im Erwerben und
im Festhalten des Geldes bei einer gewissen Bedeutung des Geldes
durchaus normal und adäquat sein, bei einer andern aber jenen hyper-
trophischen Kategorien angehören mag. Im allgemeinen wird die
Grenze für den Beginn der eigentlichen Geldgier bei sehr entwickelter
und lebhafter Geldwirtschaft sehr hoch liegen, auf primitiveren Stufen
aber verhältnismäſsig tief, während es sich mit dem Geiz umgekehrt
verhält: wer in engen und wenig geldwirtschaftlich bewegten Verhält-
nissen als sparsam und rationell in Geldausgaben gilt, wird in den
groſsen Verhältnissen des schnellen Umsatzes, des leichten Verdienens
und Ausgebens bereits als geizig erscheinen. Schon daran zeigt sich,

Simmel, Philosophie des Geldes. 15
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[225/0249] liegenden Vergleichungspunkte wirksam, wenn Hans Sachs schon einen Vertreter der allgemeinen Meinung den Schluſs ziehen läſst: Gelt ist auff erden der irdisch got. Der ganze Umfang derselben geht auf das Grundmotiv für die Stellung des Geldes zurück: daſs es das absolute Mittel ist, das eben dadurch zu der psychologischen Bedeutung eines absoluten Zweckes aufsteigt. Auf dem Boden der Weltanschauung, die diese Untersuchungen vertreten, kann man mit einer schon be- stehenden Formel sagen, das einzig Absolute sei die Relativität der Dinge; und davon ist das Geld das stärkste und unmittelbarste Sym- bol. Denn es ist die Relativität der Wirtschaftswerte in Substanz, es ist die Bedeutung jedes einzelnen, die es als Mittel für den Erwerb eines anderen hat — aber wirklich diese bloſse Bedeutung als Mittel, losgelöst von ihrem singulären konkreten Träger. Aber eben deshalb kann es psychologisch zu einem absoluten Werte werden, weil es nicht die Auflösung in Relatives zu fürchten hat, derentwegen so viele, von vornherein substanzielle Werte den Anspruch auf Absolutheit nicht aufrechterhalten konnten. In dem Maſse, in dem das Absolute des Daseins (von dem ideellen Sinn der Dinge rede ich hier nicht) sich in Bewegung, Beziehung, Entwicklung auflöst, treten für unsere Wertbedürfnisse diese an die Stelle jenes. Das Gebiet der Wirtschaft hat in dem psychologisch absoluten Wertcharakter des Geldes den Typus dieser Entwicklung restlos exemplifiziert — wobei, wie popu- lären Miſsverständnissen gegenüber bemerkt werden mag, mit der formellen Gleichheit der Entwicklungen auf allen Gebieten durchaus nicht die Gleichheit ihrer Erfreulichkeit behauptet werden soll. — Wenn der Endzweckcharakter des Geldes in einem Individuum diejenige Intensität übersteigt, in der er der angemessene Ausdruck für die Wirtschaftskultur seines Kreises ist, so entstehen die Erschei- nungen der Geldgier und des Geizes. Ich betone ausdrücklich die Abhängigkeit dieser Begriffe von den jeweiligen Wirtschaftsverhältnissen, weil eben dasselbe absolute Maſs von Leidenschaft im Erwerben und im Festhalten des Geldes bei einer gewissen Bedeutung des Geldes durchaus normal und adäquat sein, bei einer andern aber jenen hyper- trophischen Kategorien angehören mag. Im allgemeinen wird die Grenze für den Beginn der eigentlichen Geldgier bei sehr entwickelter und lebhafter Geldwirtschaft sehr hoch liegen, auf primitiveren Stufen aber verhältnismäſsig tief, während es sich mit dem Geiz umgekehrt verhält: wer in engen und wenig geldwirtschaftlich bewegten Verhält- nissen als sparsam und rationell in Geldausgaben gilt, wird in den groſsen Verhältnissen des schnellen Umsatzes, des leichten Verdienens und Ausgebens bereits als geizig erscheinen. Schon daran zeigt sich, Simmel, Philosophie des Geldes. 15

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/249>, abgerufen am 28.03.2024.