höchste Entwicklung das Bedürfnis nach ihr von der Bindung an bestimmte Zeiten gelöst und es zu einem beharrenden Zustand gemacht habe -- eben den Typus, den auch die Geldwirtschaft aufweist; denn das Bedürfnis nach Geld ist jetzt nicht mehr an bestimmte Veran- lassungen und Regelmässigkeiten geknüpft (waren doch noch vor drei bis vier Jahrhunderten grössere Geldsummen ausserhalb der regel- mässigen Wechselmessen kaum beschaffbar!) -- sondern ist eben die dauernde Verfassung und Notwendigkeit des Lebens.
Es kann als eine Ironie der historischen Entwicklung erscheinen, dass, wie ich hervorhob, in dem Augenblick, wo die inhaltlich be- friedigenden und abschliessenden Lebenszwecke hinwegfallen, grade derjenige Wert, der ausschliesslich ein Mittel und weiter nichts ist, an ihre Stelle hineinwächst und sich mit ihrer Form bekleidet. Allein in Wirklichkeit hat das Geld als das absolute Mittel und dadurch als der Einheitspunkt unzähliger Zweckreihen, in seiner psychologischen Form bedeutsame Beziehungen grade zu der Gottesvorstellung, die freilich die Psychologie nur aufdecken kann, weil es ihr Privilegium ist, keine Blasphemien begehen zu können. Der Gottesgedanke hat sein tieferes Wesen darin, dass alle Mannigfaltigkeiten und Gegensätze der Welt in ihm zur Einheit gelangen, dass er nach dem schönen Worte des Nikolaus von Kusa die Coincidentia oppositorum ist. Aus dieser Idee, dass alle Fremdheiten und Unversöhntheiten des Seins in ihm ihre Einheit und Ausgleichung finden, stammt der Friede, die Sicherheit, der allumfassende Reichtum des Gefühls, das mit der Vorstellung Gottes und dass wir ihn haben, mitschwebt. Unzweifelhaft haben die Empfindungen, die das Geld erregt, auf ihrem Gebiete eine psycho- logische Ähnlichkeit mit diesen. Indem das Geld immer mehr zum absolut zureichenden Ausdruck und Äquivalent aller Werte wird, erhebt es sich in abstrakter Höhe über die ganze weite Mannigfaltigkeit der Objekte, es wird zu dem Zentrum, in dem die entgegengesetztesten, fremdesten, fernsten Dinge ihr Gemeinsames finden und sich berühren; damit gewährt thatsächlich auch das Geld jene Erhebung über das Einzelne, jenes Zutrauen in seine Allmacht wie in die eines höchsten Prinzips, uns dieses Einzelne und Niedrigere in jedem Augenblicke gewähren, sich gleichsam wieder in dieses umsetzen zu können. Hat man doch die besondere Eignung und das Interesse der Juden für das Geldwesen in Beziehung zu ihrer "monotheistischen Schulung" gesetzt; ein Volks- naturell, seit Jahrtausenden daran gewöhnt, zu einem einheitlichen höchsten Wesen aufzublicken, an ihm -- insbesondere da es nur eine sehr relative Transszendenz besass -- den Ziel- und Schnittpunkt aller einzelnen Interessen zu haben, muss auch auf dem wirtschaftlichen Gebiete
höchste Entwicklung das Bedürfnis nach ihr von der Bindung an bestimmte Zeiten gelöst und es zu einem beharrenden Zustand gemacht habe — eben den Typus, den auch die Geldwirtschaft aufweist; denn das Bedürfnis nach Geld ist jetzt nicht mehr an bestimmte Veran- lassungen und Regelmäſsigkeiten geknüpft (waren doch noch vor drei bis vier Jahrhunderten gröſsere Geldsummen auſserhalb der regel- mäſsigen Wechselmessen kaum beschaffbar!) — sondern ist eben die dauernde Verfassung und Notwendigkeit des Lebens.
Es kann als eine Ironie der historischen Entwicklung erscheinen, daſs, wie ich hervorhob, in dem Augenblick, wo die inhaltlich be- friedigenden und abschlieſsenden Lebenszwecke hinwegfallen, grade derjenige Wert, der ausschlieſslich ein Mittel und weiter nichts ist, an ihre Stelle hineinwächst und sich mit ihrer Form bekleidet. Allein in Wirklichkeit hat das Geld als das absolute Mittel und dadurch als der Einheitspunkt unzähliger Zweckreihen, in seiner psychologischen Form bedeutsame Beziehungen grade zu der Gottesvorstellung, die freilich die Psychologie nur aufdecken kann, weil es ihr Privilegium ist, keine Blasphemien begehen zu können. Der Gottesgedanke hat sein tieferes Wesen darin, daſs alle Mannigfaltigkeiten und Gegensätze der Welt in ihm zur Einheit gelangen, daſs er nach dem schönen Worte des Nikolaus von Kusa die Coincidentia oppositorum ist. Aus dieser Idee, daſs alle Fremdheiten und Unversöhntheiten des Seins in ihm ihre Einheit und Ausgleichung finden, stammt der Friede, die Sicherheit, der allumfassende Reichtum des Gefühls, das mit der Vorstellung Gottes und daſs wir ihn haben, mitschwebt. Unzweifelhaft haben die Empfindungen, die das Geld erregt, auf ihrem Gebiete eine psycho- logische Ähnlichkeit mit diesen. Indem das Geld immer mehr zum absolut zureichenden Ausdruck und Äquivalent aller Werte wird, erhebt es sich in abstrakter Höhe über die ganze weite Mannigfaltigkeit der Objekte, es wird zu dem Zentrum, in dem die entgegengesetztesten, fremdesten, fernsten Dinge ihr Gemeinsames finden und sich berühren; damit gewährt thatsächlich auch das Geld jene Erhebung über das Einzelne, jenes Zutrauen in seine Allmacht wie in die eines höchsten Prinzips, uns dieses Einzelne und Niedrigere in jedem Augenblicke gewähren, sich gleichsam wieder in dieses umsetzen zu können. Hat man doch die besondere Eignung und das Interesse der Juden für das Geldwesen in Beziehung zu ihrer „monotheistischen Schulung“ gesetzt; ein Volks- naturell, seit Jahrtausenden daran gewöhnt, zu einem einheitlichen höchsten Wesen aufzublicken, an ihm — insbesondere da es nur eine sehr relative Transszendenz besaſs — den Ziel- und Schnittpunkt aller einzelnen Interessen zu haben, muſs auch auf dem wirtschaftlichen Gebiete
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[223/0247]
höchste Entwicklung das Bedürfnis nach ihr von der Bindung an
bestimmte Zeiten gelöst und es zu einem beharrenden Zustand gemacht
habe — eben den Typus, den auch die Geldwirtschaft aufweist; denn
das Bedürfnis nach Geld ist jetzt nicht mehr an bestimmte Veran-
lassungen und Regelmäſsigkeiten geknüpft (waren doch noch vor drei
bis vier Jahrhunderten gröſsere Geldsummen auſserhalb der regel-
mäſsigen Wechselmessen kaum beschaffbar!) — sondern ist eben die
dauernde Verfassung und Notwendigkeit des Lebens.
Es kann als eine Ironie der historischen Entwicklung erscheinen,
daſs, wie ich hervorhob, in dem Augenblick, wo die inhaltlich be-
friedigenden und abschlieſsenden Lebenszwecke hinwegfallen, grade
derjenige Wert, der ausschlieſslich ein Mittel und weiter nichts ist, an
ihre Stelle hineinwächst und sich mit ihrer Form bekleidet. Allein in
Wirklichkeit hat das Geld als das absolute Mittel und dadurch als der
Einheitspunkt unzähliger Zweckreihen, in seiner psychologischen Form
bedeutsame Beziehungen grade zu der Gottesvorstellung, die freilich
die Psychologie nur aufdecken kann, weil es ihr Privilegium ist, keine
Blasphemien begehen zu können. Der Gottesgedanke hat sein tieferes
Wesen darin, daſs alle Mannigfaltigkeiten und Gegensätze der Welt
in ihm zur Einheit gelangen, daſs er nach dem schönen Worte des
Nikolaus von Kusa die Coincidentia oppositorum ist. Aus dieser Idee,
daſs alle Fremdheiten und Unversöhntheiten des Seins in ihm ihre
Einheit und Ausgleichung finden, stammt der Friede, die Sicherheit,
der allumfassende Reichtum des Gefühls, das mit der Vorstellung
Gottes und daſs wir ihn haben, mitschwebt. Unzweifelhaft haben die
Empfindungen, die das Geld erregt, auf ihrem Gebiete eine psycho-
logische Ähnlichkeit mit diesen. Indem das Geld immer mehr zum
absolut zureichenden Ausdruck und Äquivalent aller Werte wird, erhebt
es sich in abstrakter Höhe über die ganze weite Mannigfaltigkeit der
Objekte, es wird zu dem Zentrum, in dem die entgegengesetztesten,
fremdesten, fernsten Dinge ihr Gemeinsames finden und sich berühren;
damit gewährt thatsächlich auch das Geld jene Erhebung über das Einzelne,
jenes Zutrauen in seine Allmacht wie in die eines höchsten Prinzips,
uns dieses Einzelne und Niedrigere in jedem Augenblicke gewähren,
sich gleichsam wieder in dieses umsetzen zu können. Hat man doch
die besondere Eignung und das Interesse der Juden für das Geldwesen
in Beziehung zu ihrer „monotheistischen Schulung“ gesetzt; ein Volks-
naturell, seit Jahrtausenden daran gewöhnt, zu einem einheitlichen
höchsten Wesen aufzublicken, an ihm — insbesondere da es nur eine
sehr relative Transszendenz besaſs — den Ziel- und Schnittpunkt aller
einzelnen Interessen zu haben, muſs auch auf dem wirtschaftlichen Gebiete
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/247>, abgerufen am 23.11.2024.
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