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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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fast ausschliesslich das Ausgeben, aber nicht den Erwerb des Reich-
tums -- freilich schon deshalb, weil an die numerisch weit überragenden
Urproduzenten, die Sklaven, sich überhaupt kein soziales oder ethisches
Interesse knüpfte. Nur jenes, nicht dieses gebe, wie Aristoteles meint,
Gelegenheit zur Entfaltung positiver Sittlichkeit. Das harmoniert völlig
mit seiner und Platos Meinung über das Geld, in dem beide nur
ein notwendiges Übel erblicken. Denn wo die Wertbetonung aus-
schliesslich auf der Konsumtion liegt, enthüllt das Geld seinen in-
differenten und leeren Charakter besonders deutlich, weil es mit dem
Endzweck der Wirtschaft unmittelbar kon
iert wird; als Produktions-
mittel rückt es von jenem weiter ab, es wird rings von anderen Mitteln
umgeben, gegen die gehalten es eine ganz andere relative Bedeutung
besitzt. Dieser Unterschied in dem Sinne des Geldes geht auf die
letzten Entscheidungen in dem Geiste der Epochen zurück. Das Be-
wusstseins-Übergewicht des konsumtiven Interesses über das produktive
ging, wie eben erwähnt, von dem Vorwiegen agrarischer Produktion
aus und der Grundbesitz, die relativ unverlierbare und durch das Ge-
setz geschützteste Substanz, war der einzige, der dem Griechen das
Beharren und die Einheit seines Lebensgefühls gewährleisten konnte.
Darin war der Grieche doch noch Orientale, dass er sich die Kontinuität
des Lebens nicht anders vorstellen konnte, denn als die Ausfüllung der
Zeitreihe mit festen und beharrenden Inhalten: das war das Haften am
Substanzbegriff, das die ganze griechische Philosophie charakterisiert.
Völlig entgegengesetzt ist die moderne Anschauung, die die Einheit
und den Zusammenhang des Lebens in dem Kräftespiel und der gesetz-
lichen Aufeinanderfolge der inhaltlich abwechslungsvollsten Momente
erblickt. Die ganze Mannigfaltigkeit und Bewegtheit unseres Lebens
hebt uns nicht das Gefühl seiner Einheit auf -- wenigstens prinzipiell
nicht, sondern nur in Fällen, die wir selbst als Abirrungen oder Un-
zulänglichkeiten empfinden -- ja grade von jener wird es getragen, zu
stärkstem Bewusstsein gebracht. Aber diese dynamische Einheit war
den Griechen fremd; derselbe Grundzug, der ihre ästhetischen Ideale
in den Formen der Architektur und der Plastik gipfeln liess, der ihre
Weltanschauung zu der Begrenztheit und Abrundung des Kosmos und
zur Perhorreszierung der Unendlichkeit führte -- eben dieser liess sie
die Kontinuität des Daseins nur als eine substanzielle anerkennen, die
sich an den Grundbesitz anlehnt und an ihm verwirklicht, wie jene
moderne am Geld mit seiner fliessenden, sich stets aus sich heraus-
setzenden, die Gleichheit des Wesens neben der höchsten und ab-
wechselndsten Mannigfaltigkeit der Äquivalente darstellenden Natur.
Dazu kam, um das eigentliche, auf das Geld basierte Handelsgeschäft

fast ausschlieſslich das Ausgeben, aber nicht den Erwerb des Reich-
tums — freilich schon deshalb, weil an die numerisch weit überragenden
Urproduzenten, die Sklaven, sich überhaupt kein soziales oder ethisches
Interesse knüpfte. Nur jenes, nicht dieses gebe, wie Aristoteles meint,
Gelegenheit zur Entfaltung positiver Sittlichkeit. Das harmoniert völlig
mit seiner und Platos Meinung über das Geld, in dem beide nur
ein notwendiges Übel erblicken. Denn wo die Wertbetonung aus-
schlieſslich auf der Konsumtion liegt, enthüllt das Geld seinen in-
differenten und leeren Charakter besonders deutlich, weil es mit dem
Endzweck der Wirtschaft unmittelbar kon
iert wird; als Produktions-
mittel rückt es von jenem weiter ab, es wird rings von anderen Mitteln
umgeben, gegen die gehalten es eine ganz andere relative Bedeutung
besitzt. Dieser Unterschied in dem Sinne des Geldes geht auf die
letzten Entscheidungen in dem Geiste der Epochen zurück. Das Be-
wuſstseins-Übergewicht des konsumtiven Interesses über das produktive
ging, wie eben erwähnt, von dem Vorwiegen agrarischer Produktion
aus und der Grundbesitz, die relativ unverlierbare und durch das Ge-
setz geschützteste Substanz, war der einzige, der dem Griechen das
Beharren und die Einheit seines Lebensgefühls gewährleisten konnte.
Darin war der Grieche doch noch Orientale, daſs er sich die Kontinuität
des Lebens nicht anders vorstellen konnte, denn als die Ausfüllung der
Zeitreihe mit festen und beharrenden Inhalten: das war das Haften am
Substanzbegriff, das die ganze griechische Philosophie charakterisiert.
Völlig entgegengesetzt ist die moderne Anschauung, die die Einheit
und den Zusammenhang des Lebens in dem Kräftespiel und der gesetz-
lichen Aufeinanderfolge der inhaltlich abwechslungsvollsten Momente
erblickt. Die ganze Mannigfaltigkeit und Bewegtheit unseres Lebens
hebt uns nicht das Gefühl seiner Einheit auf — wenigstens prinzipiell
nicht, sondern nur in Fällen, die wir selbst als Abirrungen oder Un-
zulänglichkeiten empfinden — ja grade von jener wird es getragen, zu
stärkstem Bewuſstsein gebracht. Aber diese dynamische Einheit war
den Griechen fremd; derselbe Grundzug, der ihre ästhetischen Ideale
in den Formen der Architektur und der Plastik gipfeln lieſs, der ihre
Weltanschauung zu der Begrenztheit und Abrundung des Kosmos und
zur Perhorreszierung der Unendlichkeit führte — eben dieser lieſs sie
die Kontinuität des Daseins nur als eine substanzielle anerkennen, die
sich an den Grundbesitz anlehnt und an ihm verwirklicht, wie jene
moderne am Geld mit seiner flieſsenden, sich stets aus sich heraus-
setzenden, die Gleichheit des Wesens neben der höchsten und ab-
wechselndsten Mannigfaltigkeit der Äquivalente darstellenden Natur.
Dazu kam, um das eigentliche, auf das Geld basierte Handelsgeschäft

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[219/0243] fast ausschlieſslich das Ausgeben, aber nicht den Erwerb des Reich- tums — freilich schon deshalb, weil an die numerisch weit überragenden Urproduzenten, die Sklaven, sich überhaupt kein soziales oder ethisches Interesse knüpfte. Nur jenes, nicht dieses gebe, wie Aristoteles meint, Gelegenheit zur Entfaltung positiver Sittlichkeit. Das harmoniert völlig mit seiner und Platos Meinung über das Geld, in dem beide nur ein notwendiges Übel erblicken. Denn wo die Wertbetonung aus- schlieſslich auf der Konsumtion liegt, enthüllt das Geld seinen in- differenten und leeren Charakter besonders deutlich, weil es mit dem Endzweck der Wirtschaft unmittelbar kon iert wird; als Produktions- mittel rückt es von jenem weiter ab, es wird rings von anderen Mitteln umgeben, gegen die gehalten es eine ganz andere relative Bedeutung besitzt. Dieser Unterschied in dem Sinne des Geldes geht auf die letzten Entscheidungen in dem Geiste der Epochen zurück. Das Be- wuſstseins-Übergewicht des konsumtiven Interesses über das produktive ging, wie eben erwähnt, von dem Vorwiegen agrarischer Produktion aus und der Grundbesitz, die relativ unverlierbare und durch das Ge- setz geschützteste Substanz, war der einzige, der dem Griechen das Beharren und die Einheit seines Lebensgefühls gewährleisten konnte. Darin war der Grieche doch noch Orientale, daſs er sich die Kontinuität des Lebens nicht anders vorstellen konnte, denn als die Ausfüllung der Zeitreihe mit festen und beharrenden Inhalten: das war das Haften am Substanzbegriff, das die ganze griechische Philosophie charakterisiert. Völlig entgegengesetzt ist die moderne Anschauung, die die Einheit und den Zusammenhang des Lebens in dem Kräftespiel und der gesetz- lichen Aufeinanderfolge der inhaltlich abwechslungsvollsten Momente erblickt. Die ganze Mannigfaltigkeit und Bewegtheit unseres Lebens hebt uns nicht das Gefühl seiner Einheit auf — wenigstens prinzipiell nicht, sondern nur in Fällen, die wir selbst als Abirrungen oder Un- zulänglichkeiten empfinden — ja grade von jener wird es getragen, zu stärkstem Bewuſstsein gebracht. Aber diese dynamische Einheit war den Griechen fremd; derselbe Grundzug, der ihre ästhetischen Ideale in den Formen der Architektur und der Plastik gipfeln lieſs, der ihre Weltanschauung zu der Begrenztheit und Abrundung des Kosmos und zur Perhorreszierung der Unendlichkeit führte — eben dieser lieſs sie die Kontinuität des Daseins nur als eine substanzielle anerkennen, die sich an den Grundbesitz anlehnt und an ihm verwirklicht, wie jene moderne am Geld mit seiner flieſsenden, sich stets aus sich heraus- setzenden, die Gleichheit des Wesens neben der höchsten und ab- wechselndsten Mannigfaltigkeit der Äquivalente darstellenden Natur. Dazu kam, um das eigentliche, auf das Geld basierte Handelsgeschäft

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/243>, abgerufen am 23.11.2024.