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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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objektiven und des subjektiven Wertes fällt der des absoluten und
relativen so wenig zusammen, dass sowohl innerhalb der subjektiven
wie der objektiven Wertsetzungen der letztere Gegensatz sich entfalten
kann. -- Ich habe hier die Begriffe des Wertes und des Zweckes ziemlich
ungeschieden gebraucht; thatsächlich sind beide in diesem Zusammen-
hange nur verschiedene Seiten einer und derselben Erscheinung: die
Sachvorstellung, die nach ihrer theoretisch-gefühlsmässigen Bedeutung
ein Wert ist, ist nach ihrer praktisch-willensmässigen ein Zweck.

Die seelischen Energien nun, die die eine und die andere Art der
Werte und Zwecke setzen, sind sehr verschiedener Natur. Die Kre-
ierung eines Endzwecks ist unter allen Umständen nur durch eine
spontane Willensthat möglich, während einem Mittel sein relativer Wert
ebenso unbedingt nur vermittels theoretischer Erkenntnis zuerkannt
werden kann. Die Setzung des Zieles erfolgt aus dem Charakter, der
Stimmung, dem Interesse; den Weg aber schreibt uns die Natur der
Dinge vor; die Formel, die über so viele Lebensverhältnisse mächtig
ist: dass das Erste uns freisteht und wir beim Zweiten Knechte sind,
gilt deshalb nirgends ausgedehnter als auf dem teleologischen Gebiet.
Allein diese Entgegengesetztheit, in der sich das sehr mannigfaltige
Verhältnis unserer inneren Kräfte zum objektiven Sein offenbart, ver-
hindert keineswegs, dass einer und derselbe Inhalt aus der einen
Kategorie in die andere übertrete. Grade die Spontaneität der End-
zwecksetzung, zusammen mit der Thatsache, dass die Mittel psycho-
logisch an dem Werte ihres Zieles teilhaben, ermöglicht die Erscheinung,
dass das Mittel für unser Bewusstsein völlig den Charakter eines
definitiven, für sich befriedigenden Wertes annehmen kann. Obgleich
dies nur durch die Unabhängigkeit der letzten Willensinstanz in uns
von aller verstandesmässigen logischen Begründung möglich ist, so kann
die Thatsache selbst, so sehr sie der Zweckmässigkeit zuwiderzulaufen
scheint, derselben dennoch dienen. Es ist nämlich keineswegs aus-
gemacht, kann vielmehr nur bei ganz flüchtigem Hinsehen gelten, dass
wir unsere Zwecke am besten erreichen, wenn sie uns am klarsten als
solche bewusst sind. Um dies einzusehen, müssen wir den Begriff des
unbewussten Zweckes diskutieren. So schwierig und unvollkommen er
ist -- die damit ausgedrückte Thatsache: dass unser Handeln in der ge-
nauesten Anpassung an gewisse Endziele verläuft und ohne irgend
welche Wirksamkeit derselben völlig unverständlich ist, während in
unserem Bewusstsein von dieser Wirksamkeit nichts zu finden ist --
diese Thatsache wiederholt sich so unendlich oft und so unsere ganze
Daseinsart bestimmend, dass wir eine besondere Bezeichnung für sie
gar nicht entbehren können. Wir müssten sie nur mit dem Ausdruck

objektiven und des subjektiven Wertes fällt der des absoluten und
relativen so wenig zusammen, daſs sowohl innerhalb der subjektiven
wie der objektiven Wertsetzungen der letztere Gegensatz sich entfalten
kann. — Ich habe hier die Begriffe des Wertes und des Zweckes ziemlich
ungeschieden gebraucht; thatsächlich sind beide in diesem Zusammen-
hange nur verschiedene Seiten einer und derselben Erscheinung: die
Sachvorstellung, die nach ihrer theoretisch-gefühlsmäſsigen Bedeutung
ein Wert ist, ist nach ihrer praktisch-willensmäſsigen ein Zweck.

Die seelischen Energien nun, die die eine und die andere Art der
Werte und Zwecke setzen, sind sehr verschiedener Natur. Die Kre-
ierung eines Endzwecks ist unter allen Umständen nur durch eine
spontane Willensthat möglich, während einem Mittel sein relativer Wert
ebenso unbedingt nur vermittels theoretischer Erkenntnis zuerkannt
werden kann. Die Setzung des Zieles erfolgt aus dem Charakter, der
Stimmung, dem Interesse; den Weg aber schreibt uns die Natur der
Dinge vor; die Formel, die über so viele Lebensverhältnisse mächtig
ist: daſs das Erste uns freisteht und wir beim Zweiten Knechte sind,
gilt deshalb nirgends ausgedehnter als auf dem teleologischen Gebiet.
Allein diese Entgegengesetztheit, in der sich das sehr mannigfaltige
Verhältnis unserer inneren Kräfte zum objektiven Sein offenbart, ver-
hindert keineswegs, daſs einer und derselbe Inhalt aus der einen
Kategorie in die andere übertrete. Grade die Spontaneität der End-
zwecksetzung, zusammen mit der Thatsache, daſs die Mittel psycho-
logisch an dem Werte ihres Zieles teilhaben, ermöglicht die Erscheinung,
daſs das Mittel für unser Bewuſstsein völlig den Charakter eines
definitiven, für sich befriedigenden Wertes annehmen kann. Obgleich
dies nur durch die Unabhängigkeit der letzten Willensinstanz in uns
von aller verstandesmäſsigen logischen Begründung möglich ist, so kann
die Thatsache selbst, so sehr sie der Zweckmäſsigkeit zuwiderzulaufen
scheint, derselben dennoch dienen. Es ist nämlich keineswegs aus-
gemacht, kann vielmehr nur bei ganz flüchtigem Hinsehen gelten, daſs
wir unsere Zwecke am besten erreichen, wenn sie uns am klarsten als
solche bewuſst sind. Um dies einzusehen, müssen wir den Begriff des
unbewuſsten Zweckes diskutieren. So schwierig und unvollkommen er
ist — die damit ausgedrückte Thatsache: daſs unser Handeln in der ge-
nauesten Anpassung an gewisse Endziele verläuft und ohne irgend
welche Wirksamkeit derselben völlig unverständlich ist, während in
unserem Bewuſstsein von dieser Wirksamkeit nichts zu finden ist —
diese Thatsache wiederholt sich so unendlich oft und so unsere ganze
Daseinsart bestimmend, daſs wir eine besondere Bezeichnung für sie
gar nicht entbehren können. Wir müſsten sie nur mit dem Ausdruck

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[214/0238] objektiven und des subjektiven Wertes fällt der des absoluten und relativen so wenig zusammen, daſs sowohl innerhalb der subjektiven wie der objektiven Wertsetzungen der letztere Gegensatz sich entfalten kann. — Ich habe hier die Begriffe des Wertes und des Zweckes ziemlich ungeschieden gebraucht; thatsächlich sind beide in diesem Zusammen- hange nur verschiedene Seiten einer und derselben Erscheinung: die Sachvorstellung, die nach ihrer theoretisch-gefühlsmäſsigen Bedeutung ein Wert ist, ist nach ihrer praktisch-willensmäſsigen ein Zweck. Die seelischen Energien nun, die die eine und die andere Art der Werte und Zwecke setzen, sind sehr verschiedener Natur. Die Kre- ierung eines Endzwecks ist unter allen Umständen nur durch eine spontane Willensthat möglich, während einem Mittel sein relativer Wert ebenso unbedingt nur vermittels theoretischer Erkenntnis zuerkannt werden kann. Die Setzung des Zieles erfolgt aus dem Charakter, der Stimmung, dem Interesse; den Weg aber schreibt uns die Natur der Dinge vor; die Formel, die über so viele Lebensverhältnisse mächtig ist: daſs das Erste uns freisteht und wir beim Zweiten Knechte sind, gilt deshalb nirgends ausgedehnter als auf dem teleologischen Gebiet. Allein diese Entgegengesetztheit, in der sich das sehr mannigfaltige Verhältnis unserer inneren Kräfte zum objektiven Sein offenbart, ver- hindert keineswegs, daſs einer und derselbe Inhalt aus der einen Kategorie in die andere übertrete. Grade die Spontaneität der End- zwecksetzung, zusammen mit der Thatsache, daſs die Mittel psycho- logisch an dem Werte ihres Zieles teilhaben, ermöglicht die Erscheinung, daſs das Mittel für unser Bewuſstsein völlig den Charakter eines definitiven, für sich befriedigenden Wertes annehmen kann. Obgleich dies nur durch die Unabhängigkeit der letzten Willensinstanz in uns von aller verstandesmäſsigen logischen Begründung möglich ist, so kann die Thatsache selbst, so sehr sie der Zweckmäſsigkeit zuwiderzulaufen scheint, derselben dennoch dienen. Es ist nämlich keineswegs aus- gemacht, kann vielmehr nur bei ganz flüchtigem Hinsehen gelten, daſs wir unsere Zwecke am besten erreichen, wenn sie uns am klarsten als solche bewuſst sind. Um dies einzusehen, müssen wir den Begriff des unbewuſsten Zweckes diskutieren. So schwierig und unvollkommen er ist — die damit ausgedrückte Thatsache: daſs unser Handeln in der ge- nauesten Anpassung an gewisse Endziele verläuft und ohne irgend welche Wirksamkeit derselben völlig unverständlich ist, während in unserem Bewuſstsein von dieser Wirksamkeit nichts zu finden ist — diese Thatsache wiederholt sich so unendlich oft und so unsere ganze Daseinsart bestimmend, daſs wir eine besondere Bezeichnung für sie gar nicht entbehren können. Wir müſsten sie nur mit dem Ausdruck

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/238>, abgerufen am 24.04.2024.