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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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hier das soziologische Verhältnis zwischen einer grossen Gruppe und
einzelnen, ihr fremd gegenüberstehenden Individuen; diese werden
eben durch die Beziehungslosigkeit zu den konkreteren Interessen auf
das Geldgeschäft mit jenen hingewiesen. Gewiss wird in den meisten
Fällen dieses Verhältnis sich zwischen Eingeborenen und Fremden
herstellen; wo aber, wie in Antwerpen, die Fremden die grosse zu-
sammenhängende Gruppe und die Eingeborenen die dazwischen ver-
sprengte Minorität bilden, da zeigt sich an dem Ergebnis, dass die
gleiche soziologische Ursache die gleiche Folge hat, während die Frage,
welches der Elemente grade an der Lokalität eingeboren und welches
fremd ist, an sich hierfür bedeutungslos ist. Weit über die sozusagen
privaten Gründe hinaus, aus denen der einzelne Fremde innerhalb einer
Gruppe zum Handel und zuhöchst zum Geldhandel designiert scheint,
begegnen uns die ersten grossen Transaktionen der neuzeitlichen
Bankiers, im 16. Jahrhundert, als durchaus im Ausland sich abspielend.
Das Geld ist von der lokalen Beschränktheit der meisten teleologischen
Reihen emanzipiert, weil es das Mittelglied von jedem beliebigen Aus-
gangspunkt zu jedem beliebigen Endpunkt ist; und wenn, so möchte
man fast sagen, jedes Element des historischen Seins diejenige Wirkungs-
form sucht, in der es sein Spezifisches, die grade ihm eigentümliche
Stärke am reinsten ausdrücken kann, so drängt dieses früheste moderne
Grosskapital, wie in dem Expansionsstreben jugendlichen Übermutes, zu
einer Verwendung, in der ihm seine raumüberspringende Macht, seine
Überall-Verwendbarkeit, seine Parteilosigkeit zum stärksten Bewusst-
sein kam. Der Hass des Volkes auf die grossen Finanzhäuser hing
wesentlich damit zusammen, dass ihre Besitzer und meistens auch ihre
Vertreter Fremde zu sein pflegten: es war der Hass des nationalen
Empfindens gegen das Internationale, der Einseitigkeit, die sich ihres
spezifischen Wertes bewusst ist, und sich dabei von einer indifferenten,
charakterlosen Macht vergewaltigt fühlt, deren Wesen ihr im Fremden
als solchem personifiziert wurde. Dazu kam, diese Tendenz des Geldes
gleichsam objektivierend, dass die ungeheure Ausdehnung der Geld-
geschäfte damals den unendlichen Kriegen entstammte, zwischen dem
Kaiser und dem französischen König, den Religionskriegen in den
Niederlanden, Deutschland und Frankreich u. s. w. Der Krieg, der
unmittelbar nur reine unproduktive Bewegung ist, bemächtigte sich der
Geldmittel vollständig und bewirkte eine völlige Überwucherung des
soliden Warenhandels -- der stets mehr lokal gebunden ist -- durch
den Geldhandel. Ja, der Weg des Grosskapitals ins Ausland wurde
auf diesem Umwege direkt landesverräterisch. Die französischen Könige
haben lange mit Hülfe von florentiner Bankiers Krieg gegen Italien geführt,

hier das soziologische Verhältnis zwischen einer groſsen Gruppe und
einzelnen, ihr fremd gegenüberstehenden Individuen; diese werden
eben durch die Beziehungslosigkeit zu den konkreteren Interessen auf
das Geldgeschäft mit jenen hingewiesen. Gewiſs wird in den meisten
Fällen dieses Verhältnis sich zwischen Eingeborenen und Fremden
herstellen; wo aber, wie in Antwerpen, die Fremden die groſse zu-
sammenhängende Gruppe und die Eingeborenen die dazwischen ver-
sprengte Minorität bilden, da zeigt sich an dem Ergebnis, daſs die
gleiche soziologische Ursache die gleiche Folge hat, während die Frage,
welches der Elemente grade an der Lokalität eingeboren und welches
fremd ist, an sich hierfür bedeutungslos ist. Weit über die sozusagen
privaten Gründe hinaus, aus denen der einzelne Fremde innerhalb einer
Gruppe zum Handel und zuhöchst zum Geldhandel designiert scheint,
begegnen uns die ersten groſsen Transaktionen der neuzeitlichen
Bankiers, im 16. Jahrhundert, als durchaus im Ausland sich abspielend.
Das Geld ist von der lokalen Beschränktheit der meisten teleologischen
Reihen emanzipiert, weil es das Mittelglied von jedem beliebigen Aus-
gangspunkt zu jedem beliebigen Endpunkt ist; und wenn, so möchte
man fast sagen, jedes Element des historischen Seins diejenige Wirkungs-
form sucht, in der es sein Spezifisches, die grade ihm eigentümliche
Stärke am reinsten ausdrücken kann, so drängt dieses früheste moderne
Groſskapital, wie in dem Expansionsstreben jugendlichen Übermutes, zu
einer Verwendung, in der ihm seine raumüberspringende Macht, seine
Überall-Verwendbarkeit, seine Parteilosigkeit zum stärksten Bewuſst-
sein kam. Der Haſs des Volkes auf die groſsen Finanzhäuser hing
wesentlich damit zusammen, daſs ihre Besitzer und meistens auch ihre
Vertreter Fremde zu sein pflegten: es war der Haſs des nationalen
Empfindens gegen das Internationale, der Einseitigkeit, die sich ihres
spezifischen Wertes bewuſst ist, und sich dabei von einer indifferenten,
charakterlosen Macht vergewaltigt fühlt, deren Wesen ihr im Fremden
als solchem personifiziert wurde. Dazu kam, diese Tendenz des Geldes
gleichsam objektivierend, daſs die ungeheure Ausdehnung der Geld-
geschäfte damals den unendlichen Kriegen entstammte, zwischen dem
Kaiser und dem französischen König, den Religionskriegen in den
Niederlanden, Deutschland und Frankreich u. s. w. Der Krieg, der
unmittelbar nur reine unproduktive Bewegung ist, bemächtigte sich der
Geldmittel vollständig und bewirkte eine völlige Überwucherung des
soliden Warenhandels — der stets mehr lokal gebunden ist — durch
den Geldhandel. Ja, der Weg des Groſskapitals ins Ausland wurde
auf diesem Umwege direkt landesverräterisch. Die französischen Könige
haben lange mit Hülfe von florentiner Bankiers Krieg gegen Italien geführt,

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[210/0234] hier das soziologische Verhältnis zwischen einer groſsen Gruppe und einzelnen, ihr fremd gegenüberstehenden Individuen; diese werden eben durch die Beziehungslosigkeit zu den konkreteren Interessen auf das Geldgeschäft mit jenen hingewiesen. Gewiſs wird in den meisten Fällen dieses Verhältnis sich zwischen Eingeborenen und Fremden herstellen; wo aber, wie in Antwerpen, die Fremden die groſse zu- sammenhängende Gruppe und die Eingeborenen die dazwischen ver- sprengte Minorität bilden, da zeigt sich an dem Ergebnis, daſs die gleiche soziologische Ursache die gleiche Folge hat, während die Frage, welches der Elemente grade an der Lokalität eingeboren und welches fremd ist, an sich hierfür bedeutungslos ist. Weit über die sozusagen privaten Gründe hinaus, aus denen der einzelne Fremde innerhalb einer Gruppe zum Handel und zuhöchst zum Geldhandel designiert scheint, begegnen uns die ersten groſsen Transaktionen der neuzeitlichen Bankiers, im 16. Jahrhundert, als durchaus im Ausland sich abspielend. Das Geld ist von der lokalen Beschränktheit der meisten teleologischen Reihen emanzipiert, weil es das Mittelglied von jedem beliebigen Aus- gangspunkt zu jedem beliebigen Endpunkt ist; und wenn, so möchte man fast sagen, jedes Element des historischen Seins diejenige Wirkungs- form sucht, in der es sein Spezifisches, die grade ihm eigentümliche Stärke am reinsten ausdrücken kann, so drängt dieses früheste moderne Groſskapital, wie in dem Expansionsstreben jugendlichen Übermutes, zu einer Verwendung, in der ihm seine raumüberspringende Macht, seine Überall-Verwendbarkeit, seine Parteilosigkeit zum stärksten Bewuſst- sein kam. Der Haſs des Volkes auf die groſsen Finanzhäuser hing wesentlich damit zusammen, daſs ihre Besitzer und meistens auch ihre Vertreter Fremde zu sein pflegten: es war der Haſs des nationalen Empfindens gegen das Internationale, der Einseitigkeit, die sich ihres spezifischen Wertes bewuſst ist, und sich dabei von einer indifferenten, charakterlosen Macht vergewaltigt fühlt, deren Wesen ihr im Fremden als solchem personifiziert wurde. Dazu kam, diese Tendenz des Geldes gleichsam objektivierend, daſs die ungeheure Ausdehnung der Geld- geschäfte damals den unendlichen Kriegen entstammte, zwischen dem Kaiser und dem französischen König, den Religionskriegen in den Niederlanden, Deutschland und Frankreich u. s. w. Der Krieg, der unmittelbar nur reine unproduktive Bewegung ist, bemächtigte sich der Geldmittel vollständig und bewirkte eine völlige Überwucherung des soliden Warenhandels — der stets mehr lokal gebunden ist — durch den Geldhandel. Ja, der Weg des Groſskapitals ins Ausland wurde auf diesem Umwege direkt landesverräterisch. Die französischen Könige haben lange mit Hülfe von florentiner Bankiers Krieg gegen Italien geführt,

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/234>, abgerufen am 21.11.2024.