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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Wenn wir nachher sehen werden, dass die Blasiertheit grade umgekehrt
die Abstumpfung gegen die Besonderheiten und sachlichen Reize der
Dinge zum Schatten des Geldreichtums macht, so ist dies kein Beweis
gegen jenen Zusammenhang, sondern nur einer für das Wesen des
Geldes: durch seine Entfernung von jeder eigenen Bestimmtheit die
völlig entgegengesetzt verlaufenden Fäden des inneren und äusseren
Lebens aufzunehmen und jedem in der ihm eigenen Richtung ein
Werkzeug entschiedenerer Herausbildung und Darstellung zu sein. Darin
liegt die unvergleichliche Bedeutung des Geldes für die Entwicklungs-
geschichte des praktischen Geistes; mit ihm ist die bisher äusserste
Verminderung der Besonderheit und Einseitigkeit aller empirischen
Gebilde erreicht. Was man die Tragik der menschlichen Begriffs-
bildung nennen könnte: dass der höhere Begriff die Weite, mit der er
eine wachsende Anzahl von Einzelheiten umfasst, mit wachsender Leere
an Inhalt bezahlen muss, gewinnt im Geld sein vollkommenes prak-
tisches Gegenbild, d. h. die Daseinsform, deren Seiten Allgemeingültig-
keit und Inhaltlosigkeit sind, ist im Geld zu einer realen Macht ge-
worden, deren Verhältnis zu aller Entgegengesetztheit der Verkehrs-
objekte und ihrer seelischen Umgebungen gleichmässig als Dienen wie
als Herrschen zu deuten ist. Das Superadditum des Geldbesitzes ist
nichts als eine einzelne Erscheinung dieses, man möchte sagen, meta-
physischen Wesens des Geldes, dass es über jede Einzelverwendung
seiner hinausreicht und, weil es das absolute Mittel ist, die Möglich-
keit aller Werte als den Wert aller Möglichkeiten zur Geltung bringt.

Aus dem Wirkungsbereich dieses Verhältnisses will ich nur noch
eine zweite Reihe herausheben. Die über alle spezifischen Zwecke
erhabene Mittelsbedeutung des Geldes hat zur Folge, dass es das In-
teressenzentrum und die eigentliche Domäne solcher Individuen und
Klassen wird, deren soziale Stellung sie von vielerlei persönlichen und
spezifischen Zielen ausschliesst. Dass den römischen Freigelassenen die
volle bürgerliche Stellung mit allen ihren Chancen fehlte, bewirkte es,
dass sie sich mit Vorliebe auf das Geldgeschäft warfen. In der Türkei
sind die Armenier, ein oft verfolgter und verachteter Volksstamm, viel-
fach die Händler und Geldleute -- grade wie es in Spanien unter ähn-
lichen Verhältnissen die Moriskos waren. In Indien sind diese Er-
scheinungen häufig: einerseits sind die sozial sehr zurückgedrängten
und sonst mit scheuer Zurückhaltung auftretenden Parsen meistens
Wechsler oder Bankiers, andrerseits, in manchen Teilen Südindiens,
sind die Geldgeschäfte und Reichtümer in den Händen der Tschettis,
einer Mischkaste, die wegen mangelnder Kastenreinheit ein sehr ge-
ringes Ansehen hat. So warfen sich die Hugenotten in ihrer ex-

Wenn wir nachher sehen werden, daſs die Blasiertheit grade umgekehrt
die Abstumpfung gegen die Besonderheiten und sachlichen Reize der
Dinge zum Schatten des Geldreichtums macht, so ist dies kein Beweis
gegen jenen Zusammenhang, sondern nur einer für das Wesen des
Geldes: durch seine Entfernung von jeder eigenen Bestimmtheit die
völlig entgegengesetzt verlaufenden Fäden des inneren und äuſseren
Lebens aufzunehmen und jedem in der ihm eigenen Richtung ein
Werkzeug entschiedenerer Herausbildung und Darstellung zu sein. Darin
liegt die unvergleichliche Bedeutung des Geldes für die Entwicklungs-
geschichte des praktischen Geistes; mit ihm ist die bisher äuſserste
Verminderung der Besonderheit und Einseitigkeit aller empirischen
Gebilde erreicht. Was man die Tragik der menschlichen Begriffs-
bildung nennen könnte: daſs der höhere Begriff die Weite, mit der er
eine wachsende Anzahl von Einzelheiten umfaſst, mit wachsender Leere
an Inhalt bezahlen muſs, gewinnt im Geld sein vollkommenes prak-
tisches Gegenbild, d. h. die Daseinsform, deren Seiten Allgemeingültig-
keit und Inhaltlosigkeit sind, ist im Geld zu einer realen Macht ge-
worden, deren Verhältnis zu aller Entgegengesetztheit der Verkehrs-
objekte und ihrer seelischen Umgebungen gleichmäſsig als Dienen wie
als Herrschen zu deuten ist. Das Superadditum des Geldbesitzes ist
nichts als eine einzelne Erscheinung dieses, man möchte sagen, meta-
physischen Wesens des Geldes, daſs es über jede Einzelverwendung
seiner hinausreicht und, weil es das absolute Mittel ist, die Möglich-
keit aller Werte als den Wert aller Möglichkeiten zur Geltung bringt.

Aus dem Wirkungsbereich dieses Verhältnisses will ich nur noch
eine zweite Reihe herausheben. Die über alle spezifischen Zwecke
erhabene Mittelsbedeutung des Geldes hat zur Folge, daſs es das In-
teressenzentrum und die eigentliche Domäne solcher Individuen und
Klassen wird, deren soziale Stellung sie von vielerlei persönlichen und
spezifischen Zielen ausschlieſst. Daſs den römischen Freigelassenen die
volle bürgerliche Stellung mit allen ihren Chancen fehlte, bewirkte es,
daſs sie sich mit Vorliebe auf das Geldgeschäft warfen. In der Türkei
sind die Armenier, ein oft verfolgter und verachteter Volksstamm, viel-
fach die Händler und Geldleute — grade wie es in Spanien unter ähn-
lichen Verhältnissen die Moriskos waren. In Indien sind diese Er-
scheinungen häufig: einerseits sind die sozial sehr zurückgedrängten
und sonst mit scheuer Zurückhaltung auftretenden Parsen meistens
Wechsler oder Bankiers, andrerseits, in manchen Teilen Südindiens,
sind die Geldgeschäfte und Reichtümer in den Händen der Tschettis,
einer Mischkaste, die wegen mangelnder Kastenreinheit ein sehr ge-
ringes Ansehen hat. So warfen sich die Hugenotten in ihrer ex-

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[204/0228] Wenn wir nachher sehen werden, daſs die Blasiertheit grade umgekehrt die Abstumpfung gegen die Besonderheiten und sachlichen Reize der Dinge zum Schatten des Geldreichtums macht, so ist dies kein Beweis gegen jenen Zusammenhang, sondern nur einer für das Wesen des Geldes: durch seine Entfernung von jeder eigenen Bestimmtheit die völlig entgegengesetzt verlaufenden Fäden des inneren und äuſseren Lebens aufzunehmen und jedem in der ihm eigenen Richtung ein Werkzeug entschiedenerer Herausbildung und Darstellung zu sein. Darin liegt die unvergleichliche Bedeutung des Geldes für die Entwicklungs- geschichte des praktischen Geistes; mit ihm ist die bisher äuſserste Verminderung der Besonderheit und Einseitigkeit aller empirischen Gebilde erreicht. Was man die Tragik der menschlichen Begriffs- bildung nennen könnte: daſs der höhere Begriff die Weite, mit der er eine wachsende Anzahl von Einzelheiten umfaſst, mit wachsender Leere an Inhalt bezahlen muſs, gewinnt im Geld sein vollkommenes prak- tisches Gegenbild, d. h. die Daseinsform, deren Seiten Allgemeingültig- keit und Inhaltlosigkeit sind, ist im Geld zu einer realen Macht ge- worden, deren Verhältnis zu aller Entgegengesetztheit der Verkehrs- objekte und ihrer seelischen Umgebungen gleichmäſsig als Dienen wie als Herrschen zu deuten ist. Das Superadditum des Geldbesitzes ist nichts als eine einzelne Erscheinung dieses, man möchte sagen, meta- physischen Wesens des Geldes, daſs es über jede Einzelverwendung seiner hinausreicht und, weil es das absolute Mittel ist, die Möglich- keit aller Werte als den Wert aller Möglichkeiten zur Geltung bringt. Aus dem Wirkungsbereich dieses Verhältnisses will ich nur noch eine zweite Reihe herausheben. Die über alle spezifischen Zwecke erhabene Mittelsbedeutung des Geldes hat zur Folge, daſs es das In- teressenzentrum und die eigentliche Domäne solcher Individuen und Klassen wird, deren soziale Stellung sie von vielerlei persönlichen und spezifischen Zielen ausschlieſst. Daſs den römischen Freigelassenen die volle bürgerliche Stellung mit allen ihren Chancen fehlte, bewirkte es, daſs sie sich mit Vorliebe auf das Geldgeschäft warfen. In der Türkei sind die Armenier, ein oft verfolgter und verachteter Volksstamm, viel- fach die Händler und Geldleute — grade wie es in Spanien unter ähn- lichen Verhältnissen die Moriskos waren. In Indien sind diese Er- scheinungen häufig: einerseits sind die sozial sehr zurückgedrängten und sonst mit scheuer Zurückhaltung auftretenden Parsen meistens Wechsler oder Bankiers, andrerseits, in manchen Teilen Südindiens, sind die Geldgeschäfte und Reichtümer in den Händen der Tschettis, einer Mischkaste, die wegen mangelnder Kastenreinheit ein sehr ge- ringes Ansehen hat. So warfen sich die Hugenotten in ihrer ex-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/228>, abgerufen am 27.04.2024.