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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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sogleich hier an, weil sie mit besonderer Unmittelbarkeit zeigt, in wie
praktische Wirklichkeiten sich jener abstrakte Charakter des Geldes
umsetzt.

Ich habe oben erwähnt, dass keineswegs immer nur ein bereits
feststehender Zweck die Vorstellung und Beschaffung der Mittel be-
dingt, dass vielmehr die Verfügung über Substanzen und Kräfte uns
oft genug erst dazu anregt, uns gewisse, durch sie vermittelbare Zwecke
zu setzen: nachdem der Zweck den Gedanken des Mittels geschaffen
hat, schafft das Mittel den Gedanken des Zwecks. In dem Werk-
zeug
, das ich als die gesteigertste Art des Mittels bezeichnete, wird
dies Verhältnis in eine zwar oft modifizierte, aber dafür gleichsam
chronische Form übergeführt. Während das Mittel in seiner gewöhn-
lichen und einfachen Gestalt sich an der Realisierung des Zwecks völlig
ausgelebt hat, seine Kraft und sein Interesse als Mittel nach geleistetem
Dienste einbüsst, ist es das Wesen des Werkzeugs, über seine einzelne
Anwendung hinaus zu beharren, oder: zu einer im voraus überhaupt
nicht feststellbaren Anzahl von Diensten berufen zu sein. Dies gilt
nicht nur für tausend Fälle der täglichen Praxis, wofür es keines Bei-
spiels bedarf, sondern auch in sehr komplizierten; wie oft sind mili-
tärische Organisationen, ausschliesslich zu Werkzeugen äusserer Macht-
entfaltung bestimmt, in den Dienst innerpolitischer Zwecke der Dynastie
gestellt worden, die denen ihres Ursprungs völlig entgegengesetzt
waren, vor allem: wie oft wächst ein Verhältnis zwischen Menschen,
das zu bestimmten Einzelzwecken gestiftet wurde, zum Träger sehr viel
weitergehender, ganz anders charakterisierter Inhalte aus; so dass man
wohl sagen kann, jede dauernde Organisation zwischen Menschen --
familiärer, wirtschaftlicher, religiöser, politischer, geselliger Art -- hat
die Tendenz, sich Zwecke anzubilden, zu denen sie von vorn-
herein nicht bestimmt war. Nun liegt einerseits auf der Hand, dass
ein Werkzeug -- ceteris paribus -- um so bedeutsamer und wertvoller
sein wird, zu einer je grösseren Anzahl von Zwecken es eventuell
dienen kann, ein je grösserer Kreis von Möglichkeiten seine Wirklich-
keit umgiebt; andrerseits, dass das Werkzeug in eben demselben Mass
an sich indifferenter, farbloser, allem einzelnen gegenüber objektiver
werden und in weiterer Distanz von jedem besonderen Zweckinhalt
stehen muss. Indem das Geld als das Mittel schlechthin die letztere
Bedingung in vollkommenem Masse erfüllt, gewinnt es aus dem ersteren
Gesichtspunkt eine sehr gesteigerte Wichtigkeit. Man kann das zu-
nächst so formulieren, dass der Wert des einzelnen Geldquantums über
den Wert jedes einzelnen bestimmten Gegenstandes hinausragt, der
dafür einzutauschen ist: denn es gewährt die Chance, statt dieses

Simmel, Philosophie des Geldes. 13

sogleich hier an, weil sie mit besonderer Unmittelbarkeit zeigt, in wie
praktische Wirklichkeiten sich jener abstrakte Charakter des Geldes
umsetzt.

Ich habe oben erwähnt, daſs keineswegs immer nur ein bereits
feststehender Zweck die Vorstellung und Beschaffung der Mittel be-
dingt, daſs vielmehr die Verfügung über Substanzen und Kräfte uns
oft genug erst dazu anregt, uns gewisse, durch sie vermittelbare Zwecke
zu setzen: nachdem der Zweck den Gedanken des Mittels geschaffen
hat, schafft das Mittel den Gedanken des Zwecks. In dem Werk-
zeug
, das ich als die gesteigertste Art des Mittels bezeichnete, wird
dies Verhältnis in eine zwar oft modifizierte, aber dafür gleichsam
chronische Form übergeführt. Während das Mittel in seiner gewöhn-
lichen und einfachen Gestalt sich an der Realisierung des Zwecks völlig
ausgelebt hat, seine Kraft und sein Interesse als Mittel nach geleistetem
Dienste einbüſst, ist es das Wesen des Werkzeugs, über seine einzelne
Anwendung hinaus zu beharren, oder: zu einer im voraus überhaupt
nicht feststellbaren Anzahl von Diensten berufen zu sein. Dies gilt
nicht nur für tausend Fälle der täglichen Praxis, wofür es keines Bei-
spiels bedarf, sondern auch in sehr komplizierten; wie oft sind mili-
tärische Organisationen, ausschlieſslich zu Werkzeugen äuſserer Macht-
entfaltung bestimmt, in den Dienst innerpolitischer Zwecke der Dynastie
gestellt worden, die denen ihres Ursprungs völlig entgegengesetzt
waren, vor allem: wie oft wächst ein Verhältnis zwischen Menschen,
das zu bestimmten Einzelzwecken gestiftet wurde, zum Träger sehr viel
weitergehender, ganz anders charakterisierter Inhalte aus; so daſs man
wohl sagen kann, jede dauernde Organisation zwischen Menschen —
familiärer, wirtschaftlicher, religiöser, politischer, geselliger Art — hat
die Tendenz, sich Zwecke anzubilden, zu denen sie von vorn-
herein nicht bestimmt war. Nun liegt einerseits auf der Hand, daſs
ein Werkzeug — ceteris paribus — um so bedeutsamer und wertvoller
sein wird, zu einer je gröſseren Anzahl von Zwecken es eventuell
dienen kann, ein je gröſserer Kreis von Möglichkeiten seine Wirklich-
keit umgiebt; andrerseits, daſs das Werkzeug in eben demselben Maſs
an sich indifferenter, farbloser, allem einzelnen gegenüber objektiver
werden und in weiterer Distanz von jedem besonderen Zweckinhalt
stehen muſs. Indem das Geld als das Mittel schlechthin die letztere
Bedingung in vollkommenem Maſse erfüllt, gewinnt es aus dem ersteren
Gesichtspunkt eine sehr gesteigerte Wichtigkeit. Man kann das zu-
nächst so formulieren, daſs der Wert des einzelnen Geldquantums über
den Wert jedes einzelnen bestimmten Gegenstandes hinausragt, der
dafür einzutauschen ist: denn es gewährt die Chance, statt dieses

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[193/0217] sogleich hier an, weil sie mit besonderer Unmittelbarkeit zeigt, in wie praktische Wirklichkeiten sich jener abstrakte Charakter des Geldes umsetzt. Ich habe oben erwähnt, daſs keineswegs immer nur ein bereits feststehender Zweck die Vorstellung und Beschaffung der Mittel be- dingt, daſs vielmehr die Verfügung über Substanzen und Kräfte uns oft genug erst dazu anregt, uns gewisse, durch sie vermittelbare Zwecke zu setzen: nachdem der Zweck den Gedanken des Mittels geschaffen hat, schafft das Mittel den Gedanken des Zwecks. In dem Werk- zeug, das ich als die gesteigertste Art des Mittels bezeichnete, wird dies Verhältnis in eine zwar oft modifizierte, aber dafür gleichsam chronische Form übergeführt. Während das Mittel in seiner gewöhn- lichen und einfachen Gestalt sich an der Realisierung des Zwecks völlig ausgelebt hat, seine Kraft und sein Interesse als Mittel nach geleistetem Dienste einbüſst, ist es das Wesen des Werkzeugs, über seine einzelne Anwendung hinaus zu beharren, oder: zu einer im voraus überhaupt nicht feststellbaren Anzahl von Diensten berufen zu sein. Dies gilt nicht nur für tausend Fälle der täglichen Praxis, wofür es keines Bei- spiels bedarf, sondern auch in sehr komplizierten; wie oft sind mili- tärische Organisationen, ausschlieſslich zu Werkzeugen äuſserer Macht- entfaltung bestimmt, in den Dienst innerpolitischer Zwecke der Dynastie gestellt worden, die denen ihres Ursprungs völlig entgegengesetzt waren, vor allem: wie oft wächst ein Verhältnis zwischen Menschen, das zu bestimmten Einzelzwecken gestiftet wurde, zum Träger sehr viel weitergehender, ganz anders charakterisierter Inhalte aus; so daſs man wohl sagen kann, jede dauernde Organisation zwischen Menschen — familiärer, wirtschaftlicher, religiöser, politischer, geselliger Art — hat die Tendenz, sich Zwecke anzubilden, zu denen sie von vorn- herein nicht bestimmt war. Nun liegt einerseits auf der Hand, daſs ein Werkzeug — ceteris paribus — um so bedeutsamer und wertvoller sein wird, zu einer je gröſseren Anzahl von Zwecken es eventuell dienen kann, ein je gröſserer Kreis von Möglichkeiten seine Wirklich- keit umgiebt; andrerseits, daſs das Werkzeug in eben demselben Maſs an sich indifferenter, farbloser, allem einzelnen gegenüber objektiver werden und in weiterer Distanz von jedem besonderen Zweckinhalt stehen muſs. Indem das Geld als das Mittel schlechthin die letztere Bedingung in vollkommenem Maſse erfüllt, gewinnt es aus dem ersteren Gesichtspunkt eine sehr gesteigerte Wichtigkeit. Man kann das zu- nächst so formulieren, daſs der Wert des einzelnen Geldquantums über den Wert jedes einzelnen bestimmten Gegenstandes hinausragt, der dafür einzutauschen ist: denn es gewährt die Chance, statt dieses Simmel, Philosophie des Geldes. 13

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/217>, abgerufen am 23.11.2024.