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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Institutionen, durch deren Benutzung der Einzelne Zwecke erreichen
kann, zu denen sein bloss persönliches Können niemals zureichen würde.
Ganz abgesehen von dem Allerallgemeinsten: dass das Teilhaben am
Staat durch den äusseren Schutz, den er gewährt, überhaupt die Be-
dingung für die Mehrzahl individueller Zweckhandlungen ist -- so ver-
schaffen etwa die besonderen Einrichtungen des Zivilrechts dem Wollen
des Einzelnen Realisierungsmöglichkeiten, die ihm sonst völlig versagt
blieben. Indem sein Wille den Umweg über die Rechtsform des Ver-
trags, des Testaments, der Adoption u. s. w. einschlägt, benutzt er ein
von der Allgemeinheit hergestelltes Werkzeug, das seine eigene Kraft
vervielfältigt, ihre Wirkungslinien verlängert, ihre Resultate sichert.
Aus den Wechselwirkungen der Vielen entstehen, indem das Zufällige
sich gegenseitig abschleift und die Gleichmässigkeit der Interessen eine
Summierung der Beiträge gestattet, objektive Einrichtungen, die gleich-
sam die Zentralstation für unzählige teleologische Kurven der Individuen
bilden und diesen ein völlig zweckmässiges Werkzeug für die Er-
streckung derselben auf sonst Unerreichbares bieten. So verhält es
sich auch mit dem kirchlichen Kultus: er ist ein von der Gesamtheit
der Kirche bereitetes, die für dieselbe typischen Empfindungen
objektivierendes Werkzeug -- gewiss ein Umweg für die innen und
oben gelegenen Endziele der Religiosität, aber der Umweg über ein
Werkzeug, das, im Unterschiede von allen materiellen Werkzeugen,
sein ganzes Wesen darin hat, bloss Werkzeug zu jenen Zielen zu
sein, die das Individuum für sich allein, d. h. auf direktem Wege,
nicht glaubt gewinnen zu können.

Und damit ist endlich der Punkt erreicht, an dem das Geld in
den Verwebungen der Zwecke seinen Platz findet. Ich muss mit All-
bekanntem beginnen. Beruht aller wirtschaftliche Verkehr darauf, dass
ich etwas haben will, was sich zur Zeit im Besitze eines anderen be-
findet, und dass er es mir überlässt, wenn ich ihm dafür etwas über-
lasse, was ich besitze und er haben will: so liegt auf der Hand, dass
das letztgenannte Glied dieses zweiseitigen Prozesses sich nicht immer
einstellen wird, wenn das erste auftaucht; unzähligemal werde ich den
Gegenstand a begehren, der sich im Besitz von A befindet, während
der Gegenstand oder die Leistung b, die ich gern dafür hingäbe, für
A völlig reizlos ist; oder aber die gegenseitig angebotenen Güter werden
wohl beiderseitig begehrt, allein über die Quanta, in denen sie sich
gegenseitig entsprechen, lässt sich durch unmittelbares Aneinander-
halten eine Einigung nicht erzielen. Deshalb ist es für die höchst-
mögliche Erreichung unserer Zwecke von grösstem Werte, dass ein
Mittelglied in die Kette der Zwecke eingefügt werde, in welches ich b

Institutionen, durch deren Benutzung der Einzelne Zwecke erreichen
kann, zu denen sein bloſs persönliches Können niemals zureichen würde.
Ganz abgesehen von dem Allerallgemeinsten: daſs das Teilhaben am
Staat durch den äuſseren Schutz, den er gewährt, überhaupt die Be-
dingung für die Mehrzahl individueller Zweckhandlungen ist — so ver-
schaffen etwa die besonderen Einrichtungen des Zivilrechts dem Wollen
des Einzelnen Realisierungsmöglichkeiten, die ihm sonst völlig versagt
blieben. Indem sein Wille den Umweg über die Rechtsform des Ver-
trags, des Testaments, der Adoption u. s. w. einschlägt, benutzt er ein
von der Allgemeinheit hergestelltes Werkzeug, das seine eigene Kraft
vervielfältigt, ihre Wirkungslinien verlängert, ihre Resultate sichert.
Aus den Wechselwirkungen der Vielen entstehen, indem das Zufällige
sich gegenseitig abschleift und die Gleichmäſsigkeit der Interessen eine
Summierung der Beiträge gestattet, objektive Einrichtungen, die gleich-
sam die Zentralstation für unzählige teleologische Kurven der Individuen
bilden und diesen ein völlig zweckmäſsiges Werkzeug für die Er-
streckung derselben auf sonst Unerreichbares bieten. So verhält es
sich auch mit dem kirchlichen Kultus: er ist ein von der Gesamtheit
der Kirche bereitetes, die für dieselbe typischen Empfindungen
objektivierendes Werkzeug — gewiſs ein Umweg für die innen und
oben gelegenen Endziele der Religiosität, aber der Umweg über ein
Werkzeug, das, im Unterschiede von allen materiellen Werkzeugen,
sein ganzes Wesen darin hat, bloſs Werkzeug zu jenen Zielen zu
sein, die das Individuum für sich allein, d. h. auf direktem Wege,
nicht glaubt gewinnen zu können.

Und damit ist endlich der Punkt erreicht, an dem das Geld in
den Verwebungen der Zwecke seinen Platz findet. Ich muſs mit All-
bekanntem beginnen. Beruht aller wirtschaftliche Verkehr darauf, daſs
ich etwas haben will, was sich zur Zeit im Besitze eines anderen be-
findet, und daſs er es mir überläſst, wenn ich ihm dafür etwas über-
lasse, was ich besitze und er haben will: so liegt auf der Hand, daſs
das letztgenannte Glied dieses zweiseitigen Prozesses sich nicht immer
einstellen wird, wenn das erste auftaucht; unzähligemal werde ich den
Gegenstand a begehren, der sich im Besitz von A befindet, während
der Gegenstand oder die Leistung b, die ich gern dafür hingäbe, für
A völlig reizlos ist; oder aber die gegenseitig angebotenen Güter werden
wohl beiderseitig begehrt, allein über die Quanta, in denen sie sich
gegenseitig entsprechen, läſst sich durch unmittelbares Aneinander-
halten eine Einigung nicht erzielen. Deshalb ist es für die höchst-
mögliche Erreichung unserer Zwecke von gröſstem Werte, daſs ein
Mittelglied in die Kette der Zwecke eingefügt werde, in welches ich b

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[190/0214] Institutionen, durch deren Benutzung der Einzelne Zwecke erreichen kann, zu denen sein bloſs persönliches Können niemals zureichen würde. Ganz abgesehen von dem Allerallgemeinsten: daſs das Teilhaben am Staat durch den äuſseren Schutz, den er gewährt, überhaupt die Be- dingung für die Mehrzahl individueller Zweckhandlungen ist — so ver- schaffen etwa die besonderen Einrichtungen des Zivilrechts dem Wollen des Einzelnen Realisierungsmöglichkeiten, die ihm sonst völlig versagt blieben. Indem sein Wille den Umweg über die Rechtsform des Ver- trags, des Testaments, der Adoption u. s. w. einschlägt, benutzt er ein von der Allgemeinheit hergestelltes Werkzeug, das seine eigene Kraft vervielfältigt, ihre Wirkungslinien verlängert, ihre Resultate sichert. Aus den Wechselwirkungen der Vielen entstehen, indem das Zufällige sich gegenseitig abschleift und die Gleichmäſsigkeit der Interessen eine Summierung der Beiträge gestattet, objektive Einrichtungen, die gleich- sam die Zentralstation für unzählige teleologische Kurven der Individuen bilden und diesen ein völlig zweckmäſsiges Werkzeug für die Er- streckung derselben auf sonst Unerreichbares bieten. So verhält es sich auch mit dem kirchlichen Kultus: er ist ein von der Gesamtheit der Kirche bereitetes, die für dieselbe typischen Empfindungen objektivierendes Werkzeug — gewiſs ein Umweg für die innen und oben gelegenen Endziele der Religiosität, aber der Umweg über ein Werkzeug, das, im Unterschiede von allen materiellen Werkzeugen, sein ganzes Wesen darin hat, bloſs Werkzeug zu jenen Zielen zu sein, die das Individuum für sich allein, d. h. auf direktem Wege, nicht glaubt gewinnen zu können. Und damit ist endlich der Punkt erreicht, an dem das Geld in den Verwebungen der Zwecke seinen Platz findet. Ich muſs mit All- bekanntem beginnen. Beruht aller wirtschaftliche Verkehr darauf, daſs ich etwas haben will, was sich zur Zeit im Besitze eines anderen be- findet, und daſs er es mir überläſst, wenn ich ihm dafür etwas über- lasse, was ich besitze und er haben will: so liegt auf der Hand, daſs das letztgenannte Glied dieses zweiseitigen Prozesses sich nicht immer einstellen wird, wenn das erste auftaucht; unzähligemal werde ich den Gegenstand a begehren, der sich im Besitz von A befindet, während der Gegenstand oder die Leistung b, die ich gern dafür hingäbe, für A völlig reizlos ist; oder aber die gegenseitig angebotenen Güter werden wohl beiderseitig begehrt, allein über die Quanta, in denen sie sich gegenseitig entsprechen, läſst sich durch unmittelbares Aneinander- halten eine Einigung nicht erzielen. Deshalb ist es für die höchst- mögliche Erreichung unserer Zwecke von gröſstem Werte, daſs ein Mittelglied in die Kette der Zwecke eingefügt werde, in welches ich b

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/214>, abgerufen am 28.03.2024.