grössten und unsolidesten Kredite knüpfte, bis zu dem Gründungsfieber der 5-Milliardenzeit in Deutschland. Dass so Geld und Kredit ihre Bedeutung gegenseitig steigern, bedeutet nur ihr Berufensein zu dem- selben funktionellen Dienst; so dass, wenn er an der Entwicklung des einen stärker hervortritt, auch das andere zu der gleichen Lebhaftig- keit der Bewegung veranlasst wird. Dies widerspricht also gar nicht der anderen Relation zwischen ihnen, wonach der Kredit das bare Geld überflüssig macht: so hören wir, dass in England schon 1838 trotz der ungeheuer gestiegenen Produktion weniger bares Geld vor- handen gewesen sei als 50 Jahre früher, ja in Frankreich weniger als vor der Revolution. Zwischen zwei Erscheinungen, die demselben Grundmotiv entspriessen, ist dieses Doppelverhältnis: sich einerseits gegenseitig zu steigern, sich andrerseits zu verdrängen und zu er- setzen -- durchaus begreiflich und keineswegs selten. Ich erinnere daran, wie das Fundamentalgefühl der Liebe sich sinnlich und geistig äussern kann und zwar derart, dass diese Erscheinungsweisen sich gegenseitig stärken, aber auch so, dass eine von ihnen die andere aus- zuschliessen strebt, und dass oft grade ein Wechselspiel zwischen diesen beiden Möglichkeiten das Grundgefühl am tiefsten und lebendigsten verwirklicht; ich erinnere daran, wie die verschiedenen Bethätigungen des Erkenntnistriebes, sowohl wenn sie sich gegenseitig hervorrufen, wie wenn sie sich gegenseitig verdrängen, gleichmässig die Einheit des grundlegenden Interesses bekunden; endlich, die politischen Energien in einer Gruppe verdichten sich je nach Naturell und Milieu der Einzelnen zu divergenten Parteien, aber sie zeigen ihr Kraftmass ebenso in der Leidenschaft des Kampfes zwischen diesen, wie darin, dass das Interesse des Ganzen sie gelegentlich zu gemeinsamer Aktion zu vereinheitlichen im stande ist. So weist die Bedeutung des Kredits: einerseits mit der Bargeldzirkulation in einem Verhältnis gegenseitiger Anregung zu stehen, andrerseits dieselbe zu ersetzen, nur auf die Ein- heit des Dienstes hin, den beide zu leisten haben.
An die Stelle der Vermehrung der Geldsubstanz, die durch die Stei- gerung des Umsatzes erfordert scheint, tritt immer mehr die Vermehrung seiner Umlaufsgeschwindigkeit. Ich führte früher an, dass schon im Jahre 1890 die französische Bank auf Kontokorrent das 135 fache der thatsächlich darauf eingezahlten Gelder umgesetzt hat (54 Mil- liarden auf 400 Millionen Francs), die deutsche Reichsbank sogar das 190 fache. Man macht sich im allgemeinen selten klar, mit wie un- glaublich wenig Substanz das Geld seine Dienste leistet. Die auf- fällige Erscheinung, dass bei Ausbruch eines Krieges oder sonstiger Katastrophen das Geld verschwindet, als ob es in die Erde gesunken
gröſsten und unsolidesten Kredite knüpfte, bis zu dem Gründungsfieber der 5-Milliardenzeit in Deutschland. Daſs so Geld und Kredit ihre Bedeutung gegenseitig steigern, bedeutet nur ihr Berufensein zu dem- selben funktionellen Dienst; so daſs, wenn er an der Entwicklung des einen stärker hervortritt, auch das andere zu der gleichen Lebhaftig- keit der Bewegung veranlaſst wird. Dies widerspricht also gar nicht der anderen Relation zwischen ihnen, wonach der Kredit das bare Geld überflüssig macht: so hören wir, daſs in England schon 1838 trotz der ungeheuer gestiegenen Produktion weniger bares Geld vor- handen gewesen sei als 50 Jahre früher, ja in Frankreich weniger als vor der Revolution. Zwischen zwei Erscheinungen, die demselben Grundmotiv entsprieſsen, ist dieses Doppelverhältnis: sich einerseits gegenseitig zu steigern, sich andrerseits zu verdrängen und zu er- setzen — durchaus begreiflich und keineswegs selten. Ich erinnere daran, wie das Fundamentalgefühl der Liebe sich sinnlich und geistig äuſsern kann und zwar derart, daſs diese Erscheinungsweisen sich gegenseitig stärken, aber auch so, daſs eine von ihnen die andere aus- zuschlieſsen strebt, und daſs oft grade ein Wechselspiel zwischen diesen beiden Möglichkeiten das Grundgefühl am tiefsten und lebendigsten verwirklicht; ich erinnere daran, wie die verschiedenen Bethätigungen des Erkenntnistriebes, sowohl wenn sie sich gegenseitig hervorrufen, wie wenn sie sich gegenseitig verdrängen, gleichmäſsig die Einheit des grundlegenden Interesses bekunden; endlich, die politischen Energien in einer Gruppe verdichten sich je nach Naturell und Milieu der Einzelnen zu divergenten Parteien, aber sie zeigen ihr Kraftmaſs ebenso in der Leidenschaft des Kampfes zwischen diesen, wie darin, daſs das Interesse des Ganzen sie gelegentlich zu gemeinsamer Aktion zu vereinheitlichen im stande ist. So weist die Bedeutung des Kredits: einerseits mit der Bargeldzirkulation in einem Verhältnis gegenseitiger Anregung zu stehen, andrerseits dieselbe zu ersetzen, nur auf die Ein- heit des Dienstes hin, den beide zu leisten haben.
An die Stelle der Vermehrung der Geldsubstanz, die durch die Stei- gerung des Umsatzes erfordert scheint, tritt immer mehr die Vermehrung seiner Umlaufsgeschwindigkeit. Ich führte früher an, daſs schon im Jahre 1890 die französische Bank auf Kontokorrent das 135 fache der thatsächlich darauf eingezahlten Gelder umgesetzt hat (54 Mil- liarden auf 400 Millionen Francs), die deutsche Reichsbank sogar das 190 fache. Man macht sich im allgemeinen selten klar, mit wie un- glaublich wenig Substanz das Geld seine Dienste leistet. Die auf- fällige Erscheinung, daſs bei Ausbruch eines Krieges oder sonstiger Katastrophen das Geld verschwindet, als ob es in die Erde gesunken
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gröſsten und unsolidesten Kredite knüpfte, bis zu dem Gründungsfieber
der 5-Milliardenzeit in Deutschland. Daſs so Geld und Kredit ihre
Bedeutung gegenseitig steigern, bedeutet nur ihr Berufensein zu dem-
selben funktionellen Dienst; so daſs, wenn er an der Entwicklung des
einen stärker hervortritt, auch das andere zu der gleichen Lebhaftig-
keit der Bewegung veranlaſst wird. Dies widerspricht also gar nicht
der anderen Relation zwischen ihnen, wonach der Kredit das bare
Geld überflüssig macht: so hören wir, daſs in England schon 1838
trotz der ungeheuer gestiegenen Produktion weniger bares Geld vor-
handen gewesen sei als 50 Jahre früher, ja in Frankreich weniger als
vor der Revolution. Zwischen zwei Erscheinungen, die demselben
Grundmotiv entsprieſsen, ist dieses Doppelverhältnis: sich einerseits
gegenseitig zu steigern, sich andrerseits zu verdrängen und zu er-
setzen — durchaus begreiflich und keineswegs selten. Ich erinnere
daran, wie das Fundamentalgefühl der Liebe sich sinnlich und geistig
äuſsern kann und zwar derart, daſs diese Erscheinungsweisen sich
gegenseitig stärken, aber auch so, daſs eine von ihnen die andere aus-
zuschlieſsen strebt, und daſs oft grade ein Wechselspiel zwischen diesen
beiden Möglichkeiten das Grundgefühl am tiefsten und lebendigsten
verwirklicht; ich erinnere daran, wie die verschiedenen Bethätigungen
des Erkenntnistriebes, sowohl wenn sie sich gegenseitig hervorrufen, wie
wenn sie sich gegenseitig verdrängen, gleichmäſsig die Einheit des
grundlegenden Interesses bekunden; endlich, die politischen Energien
in einer Gruppe verdichten sich je nach Naturell und Milieu der
Einzelnen zu divergenten Parteien, aber sie zeigen ihr Kraftmaſs
ebenso in der Leidenschaft des Kampfes zwischen diesen, wie darin,
daſs das Interesse des Ganzen sie gelegentlich zu gemeinsamer Aktion
zu vereinheitlichen im stande ist. So weist die Bedeutung des Kredits:
einerseits mit der Bargeldzirkulation in einem Verhältnis gegenseitiger
Anregung zu stehen, andrerseits dieselbe zu ersetzen, nur auf die Ein-
heit des Dienstes hin, den beide zu leisten haben.
An die Stelle der Vermehrung der Geldsubstanz, die durch die Stei-
gerung des Umsatzes erfordert scheint, tritt immer mehr die Vermehrung
seiner Umlaufsgeschwindigkeit. Ich führte früher an, daſs schon
im Jahre 1890 die französische Bank auf Kontokorrent das 135 fache
der thatsächlich darauf eingezahlten Gelder umgesetzt hat (54 Mil-
liarden auf 400 Millionen Francs), die deutsche Reichsbank sogar das
190 fache. Man macht sich im allgemeinen selten klar, mit wie un-
glaublich wenig Substanz das Geld seine Dienste leistet. Die auf-
fällige Erscheinung, daſs bei Ausbruch eines Krieges oder sonstiger
Katastrophen das Geld verschwindet, als ob es in die Erde gesunken
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/194>, abgerufen am 22.11.2024.
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