höherem Masse den Charakter der Wertmünze erhielt. Die Eigen- schaft der Wertbeständigkeit also ist hier imstande, durch ihre rela- tive Höhe oder Erniedrigung die bisherigen Charaktere der Metallsub- stanzen als Geldwertträger völlig umzukehren. In diesem Sinne des Hinausragens des Stabilitätswertes über den Substanzwert hat man jetzt hervorgehoben, dass der Übergang eines Notenlandes zur Goldwährung keineswegs die Wiederaufnahme der Barzahlungen mit sich bringen müsste. In einem Lande wie Österreich etwa, dessen Noten kein Disagio gegen Silber mehr machen, wäre schon durch den Übergang zur blossen Goldrechnung der entscheidende Vorteil der Goldwährung, nämlich die Stabilisierung des Geldwertes, gewonnen: die Funktion der Substanz, auf die es ankommt, wäre so ganz ohne die Substanz selbst erreichbar. Und neuerdings hat das Interesse an der Beständig- keit des Geldwertes sogar zu der Forderung geführt, die metallische Deckung der Noten überhaupt abzuschaffen. Denn sobald diese be- stände, wäre für die verschiedenen Länder eine Gemeinsamkeit des Systems geschaffen, die den inneren Verkehr eines jeden all den Schwankungen in den politischen und wirtschaftlichen Schicksalen der anderen unterwirft! Ein ungedecktes Papiergeld biete durch seine Exportunfähigkeit nicht nur den Vorteil, überhaupt im Lande zu bleiben und für alle Unternehmungen daselbst bereit zu sein, sondern vor allem eine vollständige Wertbeständigkeit. So angreifbar diese Theorie ist, so zeigt ihre blosse Möglichkeit doch jene psychologische Lösung des Geldbegriffes von dem Substanzbegriff und seine wachsende Erfüllung durch die Vorstellung seiner funktionellen Dienste. Übrigens unter- liegen alle derartigen Funktionen des Geldes ersichtlich den Be- dingungen, unter denen seine allgemeine Auflösung in Funktionen steht: dass sie in jedem gegebenen Augenblick nur unvollkommen gelten und ihre Begriffe ein im Unendlichen liegendes Entwicklungs- ziel bezeichnen. Schon dadurch, dass die Werte, die es messen und deren gegenseitiges Verhältnis es ausdrücken soll, etwas bloss Psycho- logisches sind, wird ihm die Beständigkeit der Raum- oder Gewichts- masse versagt.
Indes rechnet die Praxis mit dieser Wertbeständigkeit als mit einer Thatsache angesichts der Frage, wie man sich bei der Wieder- erstattung eines Gelddarlehns zu verhalten habe, wenn inzwischen der Wert des Geldes sich geändert hat. Geschieht das etwa durch Sinken des Geldwertes überhaupt, so dass die gleiche Summe bei der Rück- gabe weniger wert ist, so wird dies von den Gesetzen nicht in Betracht gezogen; die identische Geldsumme gilt ohne weiteres als der iden- tische Wert. Wo die Münze sich selbst verschlechtert, sei es durch
höherem Maſse den Charakter der Wertmünze erhielt. Die Eigen- schaft der Wertbeständigkeit also ist hier imstande, durch ihre rela- tive Höhe oder Erniedrigung die bisherigen Charaktere der Metallsub- stanzen als Geldwertträger völlig umzukehren. In diesem Sinne des Hinausragens des Stabilitätswertes über den Substanzwert hat man jetzt hervorgehoben, daſs der Übergang eines Notenlandes zur Goldwährung keineswegs die Wiederaufnahme der Barzahlungen mit sich bringen müſste. In einem Lande wie Österreich etwa, dessen Noten kein Disagio gegen Silber mehr machen, wäre schon durch den Übergang zur bloſsen Goldrechnung der entscheidende Vorteil der Goldwährung, nämlich die Stabilisierung des Geldwertes, gewonnen: die Funktion der Substanz, auf die es ankommt, wäre so ganz ohne die Substanz selbst erreichbar. Und neuerdings hat das Interesse an der Beständig- keit des Geldwertes sogar zu der Forderung geführt, die metallische Deckung der Noten überhaupt abzuschaffen. Denn sobald diese be- stände, wäre für die verschiedenen Länder eine Gemeinsamkeit des Systems geschaffen, die den inneren Verkehr eines jeden all den Schwankungen in den politischen und wirtschaftlichen Schicksalen der anderen unterwirft! Ein ungedecktes Papiergeld biete durch seine Exportunfähigkeit nicht nur den Vorteil, überhaupt im Lande zu bleiben und für alle Unternehmungen daselbst bereit zu sein, sondern vor allem eine vollständige Wertbeständigkeit. So angreifbar diese Theorie ist, so zeigt ihre bloſse Möglichkeit doch jene psychologische Lösung des Geldbegriffes von dem Substanzbegriff und seine wachsende Erfüllung durch die Vorstellung seiner funktionellen Dienste. Übrigens unter- liegen alle derartigen Funktionen des Geldes ersichtlich den Be- dingungen, unter denen seine allgemeine Auflösung in Funktionen steht: daſs sie in jedem gegebenen Augenblick nur unvollkommen gelten und ihre Begriffe ein im Unendlichen liegendes Entwicklungs- ziel bezeichnen. Schon dadurch, daſs die Werte, die es messen und deren gegenseitiges Verhältnis es ausdrücken soll, etwas bloſs Psycho- logisches sind, wird ihm die Beständigkeit der Raum- oder Gewichts- maſse versagt.
Indes rechnet die Praxis mit dieser Wertbeständigkeit als mit einer Thatsache angesichts der Frage, wie man sich bei der Wieder- erstattung eines Gelddarlehns zu verhalten habe, wenn inzwischen der Wert des Geldes sich geändert hat. Geschieht das etwa durch Sinken des Geldwertes überhaupt, so daſs die gleiche Summe bei der Rück- gabe weniger wert ist, so wird dies von den Gesetzen nicht in Betracht gezogen; die identische Geldsumme gilt ohne weiteres als der iden- tische Wert. Wo die Münze sich selbst verschlechtert, sei es durch
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höherem Maſse den Charakter der Wertmünze erhielt. Die Eigen-
schaft der Wertbeständigkeit also ist hier imstande, durch ihre rela-
tive Höhe oder Erniedrigung die bisherigen Charaktere der Metallsub-
stanzen als Geldwertträger völlig umzukehren. In diesem Sinne des
Hinausragens des Stabilitätswertes über den Substanzwert hat man jetzt
hervorgehoben, daſs der Übergang eines Notenlandes zur Goldwährung
keineswegs die Wiederaufnahme der Barzahlungen mit sich bringen
müſste. In einem Lande wie Österreich etwa, dessen Noten kein
Disagio gegen Silber mehr machen, wäre schon durch den Übergang
zur bloſsen Goldrechnung der entscheidende Vorteil der Goldwährung,
nämlich die Stabilisierung des Geldwertes, gewonnen: die Funktion
der Substanz, auf die es ankommt, wäre so ganz ohne die Substanz
selbst erreichbar. Und neuerdings hat das Interesse an der Beständig-
keit des Geldwertes sogar zu der Forderung geführt, die metallische
Deckung der Noten überhaupt abzuschaffen. Denn sobald diese be-
stände, wäre für die verschiedenen Länder eine Gemeinsamkeit des
Systems geschaffen, die den inneren Verkehr eines jeden all den
Schwankungen in den politischen und wirtschaftlichen Schicksalen der
anderen unterwirft! Ein ungedecktes Papiergeld biete durch seine
Exportunfähigkeit nicht nur den Vorteil, überhaupt im Lande zu bleiben
und für alle Unternehmungen daselbst bereit zu sein, sondern vor allem
eine vollständige Wertbeständigkeit. So angreifbar diese Theorie ist,
so zeigt ihre bloſse Möglichkeit doch jene psychologische Lösung des
Geldbegriffes von dem Substanzbegriff und seine wachsende Erfüllung
durch die Vorstellung seiner funktionellen Dienste. Übrigens unter-
liegen alle derartigen Funktionen des Geldes ersichtlich den Be-
dingungen, unter denen seine allgemeine Auflösung in Funktionen
steht: daſs sie in jedem gegebenen Augenblick nur unvollkommen
gelten und ihre Begriffe ein im Unendlichen liegendes Entwicklungs-
ziel bezeichnen. Schon dadurch, daſs die Werte, die es messen und
deren gegenseitiges Verhältnis es ausdrücken soll, etwas bloſs Psycho-
logisches sind, wird ihm die Beständigkeit der Raum- oder Gewichts-
maſse versagt.
Indes rechnet die Praxis mit dieser Wertbeständigkeit als mit
einer Thatsache angesichts der Frage, wie man sich bei der Wieder-
erstattung eines Gelddarlehns zu verhalten habe, wenn inzwischen der
Wert des Geldes sich geändert hat. Geschieht das etwa durch Sinken
des Geldwertes überhaupt, so daſs die gleiche Summe bei der Rück-
gabe weniger wert ist, so wird dies von den Gesetzen nicht in Betracht
gezogen; die identische Geldsumme gilt ohne weiteres als der iden-
tische Wert. Wo die Münze sich selbst verschlechtert, sei es durch
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/188>, abgerufen am 16.02.2025.
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