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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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gleich dies allgemein als richtig und heilsam beurteilt und acceptiert
wurde, galt der Thaler doch weiterhin wegen der leichteren Ver-
teilung und Rechnung
noch lange 48 Schillinge. Es ist auf einer
viel höheren und komplizierten Stufe dasselbe, wenn die Börsen jetzt
bei Rentenpapieren, die in grösseren und kleineren Abschnitten aus-
gegeben sind, die letzteren etwas höher zu notieren pflegen, als die
ersteren, weil jene mehr gesucht sind und dem kleineren Ver-
kehr besser dienen -- obgleich der Wert pro rata der genau gleiche
ist. Ja im Jahre 1749 erklärte ein Komitee für Münzzwecke in den
amerikanischen Kolonien: in Ländern mit unausgebildeter Wirtschaft,
die mehr konsumieren als produzieren, müsse das Geld immer schlechter
sein als das ihrer reicheren Nachbarn, weil es sonst unvermeidlich
diesen zuflösse. Dieser Fall ist also die Steigerung und Aufgipfelung
der spezifischen Thatsache des vorhererwähnten, in dem die Eignung
einer bestimmten Geldform zu Berechnungen und Ausgleichungen dieser
Form einen Wert verschafft, der absichtlich weit über den sachlich
gültigen gehoben wird. Die funktionelle Zweckmässigkeit des Geldes
ist hier über seinen Substanzwert bis zur Umkehrung seiner Bedeutung
hinausgewachsen. Hierhin gehören, als Beweise für die Überwucherung
des Metallwertes durch den Funktionswert, alle die Fälle, in denen
das völlig minderwertige Kleingeld dem Edelmetall gegenüber einen
manchmal unglaublichen Preis behauptet hat. Das kommt z. B. in
Goldgräberdistrikten vor, wo die gewonnenen Reichtümer einen leb-
haften Verkehr erzeugen, ohne dass man in ihnen doch das Tausch-
mittel für die kleineren Bedürfnisse des Tages hätte. So war unter
den Goldgräbern in Brasilien am Ende des 17. Jahrhunderts eine Not
um kleine Münze ausgebrochen, die der König von Portugal benutzte,
um Silbergeld gegen ein ungeheures Agio in Gold hinüberzuschaffen.
Später ist es auch in Kalifornien wie in Australien vorgekommen, dass
die Goldgräber, um nur Kleingeld zu haben, seinen 2 bis 16 fachen
Metallwert dafür in Gold bezahlt haben. Die ärgsten Erscheinungen
dieser Art bietet der jetzige -- ganz neuerdings, wie man sagt, in
der Reform begriffene -- Münzzustand in der Türkei. Dort existiert
weder Nickel- noch Kupfergeld, sondern als Kleingeld nur jammer-
volle Silberlegierungen: Altiliks, Beschliks und Metalliques, die alle in
einer für den Verkehr völlig unzureichenden Masse vorhanden sind.
Die Folge davon ist, dass diese Münzen, deren nominellen Wert die
Regierung selbst 1880 um ungefähr die Hälfte herabsetzte, diesen fast
unverändert behalten haben und gegen Gold gar kein nennenswertes
Disagio machen, ja die Metalliques, die für das schlechteste in der
ganzen Welt kursierende Geldzeichen gehalten werden, stehen zeit-

gleich dies allgemein als richtig und heilsam beurteilt und acceptiert
wurde, galt der Thaler doch weiterhin wegen der leichteren Ver-
teilung und Rechnung
noch lange 48 Schillinge. Es ist auf einer
viel höheren und komplizierten Stufe dasselbe, wenn die Börsen jetzt
bei Rentenpapieren, die in gröſseren und kleineren Abschnitten aus-
gegeben sind, die letzteren etwas höher zu notieren pflegen, als die
ersteren, weil jene mehr gesucht sind und dem kleineren Ver-
kehr besser dienen — obgleich der Wert pro rata der genau gleiche
ist. Ja im Jahre 1749 erklärte ein Komitee für Münzzwecke in den
amerikanischen Kolonien: in Ländern mit unausgebildeter Wirtschaft,
die mehr konsumieren als produzieren, müsse das Geld immer schlechter
sein als das ihrer reicheren Nachbarn, weil es sonst unvermeidlich
diesen zuflösse. Dieser Fall ist also die Steigerung und Aufgipfelung
der spezifischen Thatsache des vorhererwähnten, in dem die Eignung
einer bestimmten Geldform zu Berechnungen und Ausgleichungen dieser
Form einen Wert verschafft, der absichtlich weit über den sachlich
gültigen gehoben wird. Die funktionelle Zweckmäſsigkeit des Geldes
ist hier über seinen Substanzwert bis zur Umkehrung seiner Bedeutung
hinausgewachsen. Hierhin gehören, als Beweise für die Überwucherung
des Metallwertes durch den Funktionswert, alle die Fälle, in denen
das völlig minderwertige Kleingeld dem Edelmetall gegenüber einen
manchmal unglaublichen Preis behauptet hat. Das kommt z. B. in
Goldgräberdistrikten vor, wo die gewonnenen Reichtümer einen leb-
haften Verkehr erzeugen, ohne daſs man in ihnen doch das Tausch-
mittel für die kleineren Bedürfnisse des Tages hätte. So war unter
den Goldgräbern in Brasilien am Ende des 17. Jahrhunderts eine Not
um kleine Münze ausgebrochen, die der König von Portugal benutzte,
um Silbergeld gegen ein ungeheures Agio in Gold hinüberzuschaffen.
Später ist es auch in Kalifornien wie in Australien vorgekommen, daſs
die Goldgräber, um nur Kleingeld zu haben, seinen 2 bis 16 fachen
Metallwert dafür in Gold bezahlt haben. Die ärgsten Erscheinungen
dieser Art bietet der jetzige — ganz neuerdings, wie man sagt, in
der Reform begriffene — Münzzustand in der Türkei. Dort existiert
weder Nickel- noch Kupfergeld, sondern als Kleingeld nur jammer-
volle Silberlegierungen: Altiliks, Beschliks und Metalliques, die alle in
einer für den Verkehr völlig unzureichenden Masse vorhanden sind.
Die Folge davon ist, daſs diese Münzen, deren nominellen Wert die
Regierung selbst 1880 um ungefähr die Hälfte herabsetzte, diesen fast
unverändert behalten haben und gegen Gold gar kein nennenswertes
Disagio machen, ja die Metalliques, die für das schlechteste in der
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[162/0186] gleich dies allgemein als richtig und heilsam beurteilt und acceptiert wurde, galt der Thaler doch weiterhin wegen der leichteren Ver- teilung und Rechnung noch lange 48 Schillinge. Es ist auf einer viel höheren und komplizierten Stufe dasselbe, wenn die Börsen jetzt bei Rentenpapieren, die in gröſseren und kleineren Abschnitten aus- gegeben sind, die letzteren etwas höher zu notieren pflegen, als die ersteren, weil jene mehr gesucht sind und dem kleineren Ver- kehr besser dienen — obgleich der Wert pro rata der genau gleiche ist. Ja im Jahre 1749 erklärte ein Komitee für Münzzwecke in den amerikanischen Kolonien: in Ländern mit unausgebildeter Wirtschaft, die mehr konsumieren als produzieren, müsse das Geld immer schlechter sein als das ihrer reicheren Nachbarn, weil es sonst unvermeidlich diesen zuflösse. Dieser Fall ist also die Steigerung und Aufgipfelung der spezifischen Thatsache des vorhererwähnten, in dem die Eignung einer bestimmten Geldform zu Berechnungen und Ausgleichungen dieser Form einen Wert verschafft, der absichtlich weit über den sachlich gültigen gehoben wird. Die funktionelle Zweckmäſsigkeit des Geldes ist hier über seinen Substanzwert bis zur Umkehrung seiner Bedeutung hinausgewachsen. Hierhin gehören, als Beweise für die Überwucherung des Metallwertes durch den Funktionswert, alle die Fälle, in denen das völlig minderwertige Kleingeld dem Edelmetall gegenüber einen manchmal unglaublichen Preis behauptet hat. Das kommt z. B. in Goldgräberdistrikten vor, wo die gewonnenen Reichtümer einen leb- haften Verkehr erzeugen, ohne daſs man in ihnen doch das Tausch- mittel für die kleineren Bedürfnisse des Tages hätte. So war unter den Goldgräbern in Brasilien am Ende des 17. Jahrhunderts eine Not um kleine Münze ausgebrochen, die der König von Portugal benutzte, um Silbergeld gegen ein ungeheures Agio in Gold hinüberzuschaffen. Später ist es auch in Kalifornien wie in Australien vorgekommen, daſs die Goldgräber, um nur Kleingeld zu haben, seinen 2 bis 16 fachen Metallwert dafür in Gold bezahlt haben. Die ärgsten Erscheinungen dieser Art bietet der jetzige — ganz neuerdings, wie man sagt, in der Reform begriffene — Münzzustand in der Türkei. Dort existiert weder Nickel- noch Kupfergeld, sondern als Kleingeld nur jammer- volle Silberlegierungen: Altiliks, Beschliks und Metalliques, die alle in einer für den Verkehr völlig unzureichenden Masse vorhanden sind. Die Folge davon ist, daſs diese Münzen, deren nominellen Wert die Regierung selbst 1880 um ungefähr die Hälfte herabsetzte, diesen fast unverändert behalten haben und gegen Gold gar kein nennenswertes Disagio machen, ja die Metalliques, die für das schlechteste in der ganzen Welt kursierende Geldzeichen gehalten werden, stehen zeit-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/186>, abgerufen am 26.04.2024.